Verschwendung |
Beschreibung |
Beispiel |
Muda |
Verschwendung |
Transport Bestände (Inventory) Bewegung (Motion) Warten Überproduktion (Overproduction) falsche Technologie (Overengineering) Nacharbeit (Defects)1 |
Muri |
Überbeanspruchung |
unrealistische Fristen falsche Markteinschätzung (Nachfrage) schlechter Ausbildungsgrad |
Mura |
Unausgeglichenheit |
Folge aus Muda und Muri Ermüdungserscheinungen im Team |
Tab. 3:
Das 3M des Toyota-Produktionssystems
Ein weiteres Gestaltungsprinzip ist die Standardisierung.Durch Standardisierung versucht man, möglichst alle unnötigen Arbeitsschritte aus dem Prozess zu entfernen. Dadurch soll zum einen die Effizienz erhöht werden, zum anderen aber natürlich auch die Qualität. Standardisiert wird alles, was wiederholt durchgeführt wird und festen Abläufen und Fertigungsschritten zugeordnet werden kann.
Das Null-Fehler-Prinzipist ein weiterer wichtiger Aspekt. Dieses hat zur Folge, dass jeder Mitarbeiter die Möglichkeit hat, die komplette Produktion anzuhalten, wenn er einen Fehler entdeckt. Dann ist jeder Beteiligte angehalten, an der Behebung des Fehlers mitzuwirken. Vorher wird nicht weiter produziert. Was auf den ersten Blick wie Verschwendung erscheinen mag, weil andere Produktionsschritte vielleicht gar nicht betroffen sind von dem aufgetretenen Fehler, ist eine Grundlage für die hohe Qualität, die so erreicht wurde.
Natürlich sollten Fehler, die das gesamte System lahmlegen, die absolute Ausnahme darstellen. Denn der möglichst geschmeidige Flussder Arbeit durch das System ist ein weiteres Gestaltprinzip von Ganzheitlichen Produktionssystemen. Dieser Fluss wird immer wieder auf möglichst geringe Durchlaufzeiten hin optimiert und angepasst.
Ein grundlegender Bestandteil ist auch das Pull-Prinzip.Dieses sieht vor, dass Arbeit jeweils vom nächsten Prozessschritt gezogen wird und nicht vom vorherigen in den nächsten Schritt gedrückt wird. Somit fließt die Arbeit im Optimalfall, durch einen Kundenauftrag gezogen, durch das Fertigungssystem.
Ein sehr anschauliches und greifbares Beispiel für diese Art der Produktion können Sie in dem Roman „Das Ziel“ von Eliyahu Goldratt (Goldratt/Cox 2013) nachlesen. Hier wird die Geschichte eines Fabrikleiters erzählt, dessen Fabrik kurz vor dem Aus steht, weil der Konzern schlechte Zahlen schreibt. Durch einen glücklichen Zufall trifft der Fabrikleiter seinen ehemaligen Physikprofessor wieder, der ihn dadurch beeindruckt, dass er nicht nur ziemlich schnell durchschaut hat, wie schlecht es um die Fabrik eigentlich steht, sondern dem Fabrikleiter auch ein paar Denkanstöße mit auf den Weg gibt. Im Laufe der Geschichte arbeitet der Fabrikleiter immer enger mit dem Professor zusammen und lernt so die Grundzüge der Theory of Constraints kennen, die Sie später noch genauer ansehen werden (siehe Seite 57). So lernt er zum Beispiel, warum Überproduktion ein Problem darstellt und in welchen unterschiedlichen Erscheinungsformen sich Muda zeigt.2
Lean spielt seine Stärken in der Produktion aus. Hier sind sehr viele Dinge geradlinig und vorhersehbar. Zu den Zeiten, als das Toyota Produktionssystem erfunden wurde, befand man sich noch in der Taylorwanne. Und in vielen Produktionsbereichen, die standardisierte Produkte herstellen, besteht diese Taylorwanne auch noch heute. Da, wo wenig Variabilität gefordert ist, hat man es mit komplizierten Systemen zu tun, und dort funktioniert eine Lean Produktion sehr gut. Müsste man hingegen täglich sehr flexibel auf seinen Kunden neu eingehen, weil er etwas komplett anderes fordert, dann müsste man auch täglich seine Produktionsstraße anpassen. Zwar gibt es gewisse Kundenwünsche, die auch in der Produktion viele Produkte zu Unikaten machen, aber diese sind vorhersehbar und durch Techniken wie Just-in-Time (JIT) Produktion behandelbar.
Die ersten beobachteten Ansätze, die schon sehr viele der Prinzipien und Werte reflektierten, die auch heute als „agil“ gelten, gehen zurück bis in das Jahr 1976. In diesem Jahr forderte das Unternehmen Canon von seinen Mitarbeitern eine technisch auf dem neusten Stand befindliche Kamera herzustellen, die aber mindestens 30 % günstiger sein sollte als alle bisher auf dem Markt befindlichen Produkte. Und das mit massivem Zeitdruck, denn es war harter Überlebenskampf in einem stark umkämpften Wettbewerb. Um das Ende vorwegzunehmen, das Team war erfolgreich. Heute ist Canon ganz vorne mit dabei, wenn es um Digitalfotografie und entsprechende Kameras geht. Damals jedoch stand man vor einer großen Herausforderung, die man mit den vorherrschenden tayloristischen Strukturen nicht lösen konnte.
Wie die meisten anderen Unternehmen in dieser Zeit, war auch Canon sehr klassisch aufgestellt. Es gab spezialisierte Fachabteilungen, die für bestimmte Aufgaben zuständig waren. Hatten sie ihre Aufgabe erledigt, wurde diese ausführlich dokumentiert und an die Nachbarabteilung übergeben, die den folgenden Entwicklungsschritt ausführte und dann ebenfalls die Ergebnisse übergab. Um ein Produkt komplett zu revolutionieren, mussten neue Ideen her und schnelle Entscheidungen getroffen werden.
Das Erfolgsgeheimnis, wie es den Mitarbeitern bei Canon gelang, diese große Herausforderung zu meistern, kann man in einem populären Artikel von Hirotaka Takeuchi und Ikujiro Nonaka nachlesen (Takeuchi/Nonaka 1986). In ihrer Veröffentlichung mit dem Namen „The new new product development game“ beschreiben sie ihre gesammelten Beobachtungen aus verschiedenen Unternehmen. Neben dem Beispiel von Canon finden sich hier auch Beschreibungen des Vorgehens bei Honda, Fuji-Xerox und NEC. Takeuchi und Nonaka konnten dabei Muster erkennen, die sich durch alle Beispiele hindurchzogen. Diese verdichteten sie und verwendeten auch erstmals in einem Paper die Parallele zu Rugby. Dort gibt es eine Phase im Spiel, wo das Team die Köpfe zusammensteckt, ganz fokussiert ist, und die nächsten Schritte vorbereitet. Sie sprechen immer vom „Rugby-Ansatz“, aber auch das Wort „Scrum“ Scrumtaucht hier schon auf. Diese Bezeichnung sollte ein paar Jahre später von anderen Pionieren der Agilität wieder aufgegriffen werden.
Das Missverständnis mit dem Wasserfall
In vielen großen Unternehmen gibt es Fachabteilungen für bestimmte Aufgaben. Dies ergibt Sinn, weil es Fachleuten erlaubt, sich auf ihre Spezialgebiete zu konzentrieren. Ab einer bestimmten Größe braucht es noch Zwischenpositionen, also Manager, die darauf achten, dass die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen reibungslos funktioniert. Wie Sie eingangs schon gesehen haben, gibt es eine Reihe von Abteilungen, die Schnittstellen haben, an denen sie die Arbeit an die nächste Abteilung übergeben.
So geht zum Beispiel ein Vertreter der Verkaufsabteilung zum Kunden und fragt ihn, was er benötigt. Der Kunde erklärt ihm jetzt eine fixe Idee und der Verkäufer kehrt zurück mit einem Katalog von Anforderungen. Diesen übergibt er nun einem Kollegen aus der Analyseabteilung und er selbst geht wieder nach draußen und besucht einen anderen Kunden. Sein Job ist an dieser Stelle für dieses Projekt erledigt. Der Analyst aus der Analyseabteilung setzt sich nun mit seinen Kollegen zusammen und diskutiert die Anforderungen. Sie schauen, was alles in das vorherrschende Konzept passt und ob und wann es umgesetzt werden kann. Wenn die Pläne konkreter werden, schreiben sie ihre Anmerkungen in ein Dokument und lassen es per Hauspost den Kollegen aus der Spezifikationsabteilung zukommen. Dann setzen sie sich zusammen und schauen sich den Anforderungskatalog eines anderen Kunden an. Die Mitarbeiter aus der Spezifikationsabteilung sehen sich das übergebene Dokument an und fangen an, sich Gedanken über die konkrete Umsetzung zu machen. Am Ende haben sie eine sehr schöne Funktionsbeschreibung, die Antworten auf die meisten Fragen zu bieten hat. Dieses umfangreiche Dokument wird dann der Entwicklungsabteilung zukommen lassen. Hier sitzen die Experten für die Umsetzung zusammen. Sie lesen sich die Funktionsbeschreibung durch und schreiten zur Tat. Schnell entsteht ein richtig schönes Produkt, welches sie jetzt, zusammen mit ein paar Kommentaren, welche Besonderheiten beachtet werden müssen, an die Qualitätssicherung übergeben. Hier wird das neue Produkt auf Herz und Nieren getestet. Wenn alle Tests erfolgreich durchlaufen sind, dann erfolgt eine Übergabe an eine Verkaufsabteilung, die das Produkt zum Kunden transportiert.
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