Funktionierende Software ist das wichtigste Fortschrittsmaß. Am Ende zählt das Ergebnis. Und nicht, wie viele Stunden auf der Planansicht noch übrig sind, wie viel Budget noch zur Verfügung steht. Das sind alles wichtige und gute Anhaltspunkte, um ein Projekt zu planen und zu messen. Was bringt es Ihnen aber, wenn Sie in der Zeit und im Budget geblieben sind, der Kunde Ihnen aber sagt, dass er mit dem Produkt so leider nichts anfangen kann. Daher sollte der Fokus aller Beteiligten immer auf dem Produkt selbst liegen und alle anderen Metriken als Unterstützung aber nicht als Ziel ansehen.
Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung. Die Auftraggeber, Entwickler und Benutzer sollten ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit halten können. Alle bisher genannten Prinzipien bauen darauf, dass das Team und die Kunden eng zusammenarbeiten und kollaborieren. Wenn man ständig unter Strom steht und die Nerven blank liegen, dann ist das keine gute Voraussetzung für gute Zusammenarbeit. Daher wird Wert daraufgelegt, dass das Tempo dauerhaft gehalten werden kann. Durch das Arbeiten in kleinen Iterationen und Zwischenschritten, zu denen man sich Feedback einholen kann, wird dann auch verhindert, dass man eine große Deadline6 ansteuert und zum Ende hin Überstunden ohne Ende ansammeln muss.
Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design fördert Agilität. Damit man auch kontinuierlich liefern kann und sich damit nicht dauerhaft unter Druck setzt, ist es sinnvoll, in Weiterbildung und technische Exzellenz zu investieren. So schafft man die Möglichkeit, mehr Arbeit in der gleichen Zeit zu schaffen. Dabei arbeitet das Team nicht härter sondern smarter. Dafür muss aber auch Zeit investiert werden, die von dem Rahmen gegeben werden muss. Sie sehen, dass die Balance von P (Produktion) und PK (Produktionskapazität) eine sehr wichtige Rolle spielt.
Einfachheit – die Kunst nicht getane Arbeit zu maximieren – ist essenziell. Einfachheit ist eine Kunst. Zugegebenermaßen fällt es nicht immer leicht, sich an dieses Prinzip zu halten. Wenn ein Team sich daran macht, die Anforderungen zu zerlegen, um sie in ihren Iterationen zu bearbeiten, sollte es immer im Hinterkopf haben, dass es nicht darum geht, alle erdenklichen Fälle abzudecken, sondern möglichst schnell eine Hypothese zu überprüfen und eine erste Version zu liefern. Hier greift auch wieder das Beispiel mit der Smartphone App, die von einer sehr einfachen Version ausgehend anwachsen kann zu einem sehr mächtigen Werkzeug. Es braucht einen Balanceakt zwischen Einfachheit und vorausschauendem Handeln. Damit dies gelingt ist es umso wichtiger, dass das Team an sich arbeitet und technische Exzellenz anstrebt.
Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams. Die Aufzählung ist wieder sehr softwarelastig, lässt sich aber durch alles ersetzen, was ein Team tun muss, um ein herausragendes Produkt zu erstellen. Die Kernaussage ist die, dass ein Team, das aus Experten besteht, die die Freiheit haben, ihre Arbeit so zu organisieren, dass jeder sich voll einbringen kann, in der Regel solchen Teams überlegen sind, die nur Anweisungen befolgen.
In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann und passt sein Verhalten dementsprechend an. Das letzte der zwölf agilen Prinzipien bezieht sich auf den kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Das Team setzt sich regelmäßig mit der Zusammenarbeit auseinander und nimmt Anpassungen vor. Diese retrospektive Betrachtungsweise kennt man zwar auch aus klassischen Projekten, aber dort wird sie in der Regel erst zum Abschluss eines Projektes durchgeführt (auch bekannt als „Post Mortem“ oder „Lessons Learned“). Das Problem ist dabei oft, dass die handelnden Personen im nächsten Projekt nicht mehr zusammenarbeiten. Das Projekt selbst profitiert zudem leider nicht mehr von den neuen Erkenntnissen. In agilen Vorgehensweisen legt man daher sehr großen Wert darauf, sich regelmäßig zusammenzusetzen und eine Retrospektive durchzuführen.
Wenn Sie die vier Werte und die zwölf Prinzipien des Agilen Manifests genauer betrachten, so erkennen Sie, dass hier keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse niedergeschrieben wurden. Vieles von dem, was Sie hier gesehen haben, ist gesunder Menschenverstand oder durch Beobachtung erfahrbar. Zudem gab es, wie von Takeuchi und Nonaka schon 1986 berichtet, sehr viele Teams und Unternehmen, die diese Werte lebten und den Prinzipien folgten. Trotzdem bekam dies alles durch den Zusammenschluss und der Unterzeichnung des Agilen Manifests noch einmal eine ganz neue Dynamik. Das Agile Manifest ist der Startschuss für eine große Veränderung der Arbeitsweisen geworden und das Wort „Agilität“ ist in die Managementetagen der Unternehmen eingezogen.
Ein Blick in die agile Praxis: Kanban und ScrumScrum
Das Agile Manifest schreibt nicht vor, wie die Werte und Prinzipien in der Praxis umgesetzt werden sollen. Schon vor der Entstehung des Agilen Manifests gab es eine Reihe von Rahmenwerken (Frameworks), die es erleichtern sollten, entsprechend ähnlicher Prinzipien und Werte den Arbeitsalltag zu gestalten. Diese Rahmenwerke haben den Vorteil, dass sie den Anwendern ziemlich klare Leitplanken und Werkzeuge an die Hand geben, die dafür sorgen, dass sie den Prinzipien entsprechend handeln.
Die bekanntesten beiden Frameworksaus dem agilen Portfolio sind Kanban und Scrum. Von erfahreneren Anwendern werden auch gerne Kombinationen aus unterschiedlichen Rahmenwerken verwendet, wie zum Beispiel Scrum mit Elementen aus Kanban und dem Extreme Programming (xP).7
Um die Grundgedanken und das Zusammenspiel verschiedener Elemente besser zu verstehen, sehen wir uns im Folgenden einmal die beiden populärsten Frameworks genauer an.
Am Beispiel von KanbanKanban können Sie sehr schön erkennen, dass die Evolution agiler Frameworks und Methoden nicht erst mit dem Agilen Manifest als Startschuss erfolgt ist. Schon beim Toyota-Produktionssystem fand eine erste Form von Kanban statt. Und blickt man weiter in der Geschichte zurück, kann man sogar noch frühere Wurzeln finden.
Das Wort Kanban stammt aus dem Japanischen und ist eine Zusammensetzung aus den beiden Worten „kan“, was so viel wie Signal bedeutet, und „ban“, was Karte heißt. Somit hieße Kanban wörtlich übersetzt Signalkarte. Laut einer Geschichte, die David Anderson, einer der modernen Vertreter des Kanban, erzählt (Anderson 2011), diente eine Signalkarte schon zu frühen Zeiten zur optimalen Auslastung eines Systems. Ein solches System stellte beispielsweise ein Garten dar, wo man mit Hilfe von Signalkarten sicherstellte, dass nur eine für den Garten passende Menge an Besuchern sich auch in diesem aufhielten. Die Torwächter ließen nur dann einen neuen Gast in den Garten, wenn ein anderer wieder hinausging und seine Signalkarte zurückgab.
Das moderne Kanban hat mit den historischen Ansätzen zwar noch einige Elemente gemein, ist aber stärker angelehnt an das, was wir schon aus dem Lean-Umfeld kennengelernt haben. An dieser Stelle beziehe ich mich daher auf die Regeln und Prinzipien, des modernen Ansatzes, wie ihn Anderson beschreibt und verschiedene andere Praktiker ergänzt und weiterentwickelt haben.
Kanban zeichnet sich dadurch aus, dass man nicht notwendigerweise einen neuen Arbeitsablauf oder neue Rollen einführen muss, um mit Kanban zu starten. Ein Team oder ein Unternehmen, das Kanban anwenden möchte, kann mit dem Arbeitsablauf und den Prozessen starten, die sie gerade praktizieren. Dies senkt die Hürde für den Einstieg.
Zum erfolgreichen Arbeiten mit Kanban gilt es dann, sechs Praktiken in seinen Arbeitsalltag zu integrieren.
1 Visualisierung des Arbeitsflusses: Die erste Praktik besteht darin, den Fluss der Arbeit zu visualisieren. Dies geschieht in aller Regel mit Hilfe eines sogenannten Kanban-Boards. Auf diesem Board kann man in verschiedenen Spalten die einzelnen Schritte der Wertschöpfungskette visualisieren. Einzelne Aufgaben werden auf Papierkarten geschrieben und von einer Spalte in die nächste gezogen, je nachdem in welchem Arbeitsschritt sie sich gerade befinden. Wie Sie sehen, muss hier erst einmal nichts angepasst werden, da lediglich die aktuelle Vorgehensweise abgebildet wird. Hierbei ist es wichtig, die richtige Granularität für die einzelnen Schritte im Wertstrom zu finden, so dass sich eine ausreichende Transparenz ergibt.Abb. 13:Ein exemplarisches Kanban-Board
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