Ralf Schwob
Das Präsidium
Frankfurt Krimi
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Satz/E-Book: Julia Desch, Societäts-Verlag
Umschlaggestaltung: Julia Dorn, Societäts-Verlag
Umschlagabbildung: Karsten Ratzke, Wikimedia Commons
Printausgabe ISBN 978-3-95542-410-7
E-Book ISBN 978-3-95542-427-5
Wir brauchen Glück & Geld
Mehr Glück & Geld
Säckeweise Glück & Geld
Extrabreit
How do the angels get to sleep,
When the devil leaves the porchlight on.
Tom Waits
Für Ilka – weil du recht hast, wenn du irrst
Frankfurt am Main, März 2009
Endlich wieder AC/DC live in Deutschland. Das Konzert in der Festhalle war schon seit Monaten ausverkauft. Keine 12 Minuten hatte es gedauert, als im vergangenen Oktober die Karten in den Vorverkauf kamen, bis sie auch schon wieder weg waren.
Die Fans kamen mit der U-Bahn vom Hauptbahnhof oder sprangen aus Autos, die kurz vor der Halle hielten. Der Gewitterschriftzug der Band war überall auf dem Vorplatz zwischen dem Messeturm und den Absperrgittern der Halle zu sehen: auf Jeansjackenrücken, auf T-Shirts, auf Baseball Caps und Schals. Es war gerade mal 16 Uhr vorbei und noch taghell, aber vor der Halle hatte sich schon eine Menschentraube gebildet, im Kampf um die besten Plätze im Innenraum.
Maik hielt die beiden Tickets am ausgestreckten Arm in die Höhe und sah sich um. Ein paar Headbanger glotzten zu ihm rüber und stießen sich gegenseitig an, schienen aber nicht interessiert. Er überlegte, ob er vielleicht etwas rufen sollte, so wie es einige der anderen Schwarzmarkthändler taten. Aber eigentlich war ja klar, was er hier anbot. Man musste wohl nur ein bisschen Geduld haben.
Er ging ein paar Schritte, zeigte seine Tickets und blieb wieder stehen. Aus einer Gruppe Jeansjackenträger löste sich einer und kam auf ihn zu.
Der Typ war fast einen ganzen Kopf kleiner als Maik, hatte einen Fusselbart und trug eine Angus-Young-Kappe mit Teufelsohren.
»Was willstn dafür haben?«
»300 für beide«, sagte Maik. »Ist ’n Schnäppchen.«
»Ich brauch aber nur eine.«
»Okay, dann kostet’s aber mehr.«
»Wieviel?«
Maik tat einen Moment lang so, als würde er eine schwerwiegende Entscheidung treffen müssen, dann sagte er gönnerhaft: »170, weil du’s bist.«
Der Kleine machte ein Gesicht, als habe er auf eine Zitrone gebissen. »170 Euro? Echt jetzt?«
»Hör zu, nimm das Ticket oder lass es bleiben, aber diskutier nicht mit mir rum, okay?«
»Also, ich weiß nicht ...«
Maik zuckte mit den Achseln, sah sich demonstrativ um und hielt die Karten wieder in die Höhe.
»Ja, gut, okay«, hörte er den Kleinen hinter sich eifrig sagen, kaum dass er sich von ihm weggedreht hatte. »Ich nehm eine.«
Maik grinste. Der Kleine fingerte seine Brieftasche aus der Jeans, holte drei Fünfziger und einen Zwanziger heraus und gab sie Maik, der ihm im Gegenzug eine der Karten aushändigte.
»Die sieht aber komisch aus ...« Der Kleine musterte das Ticket argwöhnisch.
»Sind Pressekarten.«
»Echt jetzt?«
»Wenn ich’s dir sage. Wenn du Glück hast, kommste damit auch Backstage.«
Der Kleine nickte zögerlich, warf Maik noch einen kritischen Blick zu und verschwand dann in der Menge.
Wenn das mit der zweiten Karte genauso einfach lief, würde er das öfter machen. Mal hier vor der Festhalle, mal drüben in Offenbach, wenn ein Konzert in der Stadthalle ausverkauft war. Leicht verdiente Kohle ...
Leider lief es mit dem zweiten Ticket überhaupt nicht gut. Ein Typ handelte ihn auf einen Hunderter runter und hatte dann gar kein Geld dabei, und eine Tussi, die beim Reden die Kippe nicht aus dem Mund nahm, bot ihm allen Ernstes den regulären Preis abzüglich Vorverkaufsgebühr. Maik beschloss, noch eine Runde zu drehen und es dann später erneut zu versuchen, wenn der Markt ausgedünnt wäre, als plötzlich der Kleine mit dem Fusselbart wieder vor ihm stand. In seiner Begleitung war ein Ordner in gelber Signalweste sowie zwei grimmig dreinschauende Typen in schwarzen Lederjacken.
»Das ist gar keine Pressekarte, das ist eine Fälschung!«, schrie ihn der Fusselbart an, seine Stimme überschlug sich fast dabei.
Maik sah, wie der Ordner ein Funkgerät von seinem Gürtel nahm und eine Taste drückte.
»Ich will mein Geld wieder, du Arsch!«, brüllte der Kleine. Die beiden Lederjackentypen flankierten ihn mit verschränkten Armen.
»Okay, okay ... alles klar, kein Problem, Kumpel.« Maik hob beschwichtigend die Hände, dann griff er in seine Jackentasche und tat so, als suche er darin nach dem Geld.
Der Ordner drehte sich jetzt ein Stück von ihm weg und sprach in seine Handgurke, aus der Verbindungsrauschen zu hören war.
»Hab’s gleich«, sagte Maik.
Der Fusselbart presste die Lippen zusammen, aber die beiden Ledertypen entspannten sich etwas. Maik zog die geballte Faust aus der Tasche, hielt sie am angewinkelten Arm vor das Trio und spreizte den Mittelfinger ab. Dann rannte er los.
Maik rannte in Richtung Hauptbahnhof, der Verkehr auf der Ebert-Anlage war viel zu dicht, als dass er die Straße hätte überqueren können, also blieb ihm zunächst nichts anderes übrig, als einfach weiter geradeaus zu laufen. Am Kastor-Tower hatte er das Gefühl, seine Verfolger abgehängt zu haben und drehte sich kurz um. Die beiden Lederjacken waren deutlich zurückgeblieben, holten aber auf, und solange er auf offener Straße war, würden sie ihn auch nicht aus den Augen verlieren. Maik spürte schon jetzt seine Lungen brennen, lange würde er das Tempo nicht mehr durchhalten. Er konnte nur hoffen, dass die beiden Typen genauso starke Raucher waren wie er selbst. Bei dem einen schien das auch tatsächlich der Fall zu sein, denn als er sich zum zweiten Mal umdrehte, sah er nur noch einen der beiden knapp hinter sich, der allerdings schien ziemlich trainiert zu sein und holte beständig auf. Maik passierte die Matthäuskirche – kurz hinter deren Seiteneingang lag eine Hofeinfahrt, dessen Gittertor nicht ganz geschlossen war. Kurz entschlossen schlüpfte Maik hindurch und gelangte auf einen Hinterhof, in dem Unkraut zwischen aufgebrochenen Betonplatten hervorwuchs und ihm ein einstöckiger schmaler Querbau mit zugemauerten Fenstern Schutz bot.
Maik presste sich mit dem Rücken gegen die alte Mauer und lauschte auf die Schritte seines Verfolgers, aber das Einzige, was er hören konnte, war sein eigener abgehackter Atem, das Hämmern seines Pulsschlags in den Schläfen und das Rauschen seines Blutes in den Ohren. Er schloss für einen Moment die Augen, legte den Kopf in den Nacken und schnappte gierig nach Luft. Als er die Augen wieder öffnete, sah er den Turm der Matthäuskirche mit dem goldenen Kreuz obenauf, ein geradezu surrealer Anblick neben den verspiegelten Hochhausfassaden und dem alles überragenden Messeturm im Hintergrund.
Maik trat einen Schritt vor, spähte schnell um die Ecke des Mauervorsprungs und zog sich wieder zurück. Von seinem Verfolger war nichts mehr zu sehen. Offenbar hatte er Maiks Flucht in den Hof nicht bemerkt und war einfach geradeaus weiter gerannt. In der Ferne hörte er das gleichmäßige Verkehrsrauschen der Straße, ein kleiner Vogel hüpfte vor seinen Füßen über die gesplitterten Gehwegplatten und pickte hektisch in den Zwischenräumen herum.
Maiks Herzschlag und seine Atmung normalisierten sich wieder langsam. Er beschloss, noch ein bisschen weiter in den Hof zwischen den mehrstöckigen verwinkelten Gebäuden mit den vielen toten Fenstern vorzudringen. Der gelbe Fassadenanstrich war an einigen Stellen mit Graffitis beschmiert worden, hier und da bröckelte die Farbe von den Außenwänden. Maik hatte von diesem Ort gehört: Zwischen der Matthäuskirche und der Mainzer Landstraße erstreckte sich der Gebäudekomplex des alten Frankfurter Polizeipräsidiums, das seit einigen Jahren leer stand. Die Polizei war in ihr neues Hauptquartier an der Adickesallee umgezogen und seitdem vergammelte hier der alte labyrinthartige Kasten mit der historischen Fassade.
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