Auf dem gefliesten Boden im Eingangsbereich des Hochhauses lag ein Packen verschnürter Gratis-Zeitungen. Eine Reihe mit Briefkästen auf der einen Wandseite, eine Klingelanlage mit Namensschildchen auf der anderen. Maik steckte die flache Hand so tief wie möglich in Zorans Briefkastenschlitz und fand die mit Klebeband an der Rückwand befestigten Ersatzschlüssel.
Der Fahrstuhl wartete schon, er stieg ein und drückte den Knopf für das achte Stockwerk, die Türen schlossen sich und der Aufzug setzte sich in Bewegung.
Auf der Etage roch es nach Essigreiniger. Eine anonyme Tür reihte sich an die andere. Vor Zorans Wohnung blieb er stehen und lehnte sich mit dem Ohr gegen das Türblatt. Von drinnen war nichts zu hören. Er drückte auf den Klingelknopf an der Wand neben der Tür, hörte es in der Wohnung schellen und trat einen Schritt zurück.
»Der ist nicht da!«, hörte Maik jemanden sagen, fuhr erschrocken herum und sah einen alten Mann in Hausschuhen vor einer offenen Tür am anderen Ende des Flurs stehen. Der Nachbar hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah lauernd zu ihm herüber. »Schon seit Tagen ist der nicht da.«
»Ach ja?«
»Ja, seit Tagen. Den kriegt man eh kaum zu Gesicht. Und den Flur putzt er auch nicht. Sind Sie ein Freund von dem?«
»Ich ... bin von den Stadtwerken«, erwiderte Maik und wusste, dass der Alte ihm kein Wort glaubte. Sein Rucksack und der zusammengerollte Schlafsack lehnten an der Flurwand.
»So, so, von den Stadtwerken also, na dann ...« Der Alte zog sich wieder in seine Wohnung zurück. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, hörte Maik, wie der Mann von innen zweimal abschloss.
In Zorans Wohnung roch es nach kaltem Rauch und Schweißfüßen. Maik öffnete das Wohnzimmerfenster und ließ frische Luft herein, Regenwolken schoben sich vor die Sonne über der Frankfurter Skyline am anderen Mainufer.
Die kleine Wohnung war spärlich möbliert: ein niedriger Wohnzimmertisch, eine durchgesessene Couch, eine schäbige Pressspan-Kommode auf der ein Fernseher stand. Brandlöcher im Teppich, ein überquellender Aschenbecher, leere Bierdosen.
In der Küche stapelte sich schmutziges Geschirr in der Spüle, auf einem alten Wirtshaustisch in der Ecke standen noch mehr leere Bierdosen und eine halbvolle Flasche Jim Beam. Maik schraubte den Verschluss ab, roch an der Öffnung, dann nahm er einen kräftigen Schluck. Der Whisky brannte im Rachen, verbreitete aber sofort angenehme Wärme in seinem Bauch. In Zorans Kühlschrank fand er eine Flasche Cola light, ein paar Eier und Tomaten sowie einen Schnippel Wurst und eine Packung Weißbrot.
Dann fiel ihm etwas ein.
Maik kehrte ins Wohnzimmer zurück, zog die Couch von der Wand und kippte sie um. An der Unterseite war ein kleines Päckchen mit mehreren Lagen silbernem Panzerband festgemacht. Er entfernte das Klebeband und fand die Pistole, die sich Zoran vor ein paar Monaten auf dem Schwarzmarkt in Tschechien gekauft hatte. Eine russische Makarow, 9 Millimeter.
Maik ließ das Magazin aus dem Griff der Waffe gleiten. Acht Schuss, das sollte eigentlich genügen. Er hatte ohnehin nicht die Absicht, damit zu schießen, aber da er nicht wusste, was die nächsten Tage bringen würden, war es sicher keine schlechte Idee, auf alles vorbereitet zu sein. Außerdem war es immer noch möglich, dass Zoran hier auftauchte.
Maik ging mit der Pistole in der Hand zur Wohnungstür, schloss ab und ließ den Schlüssel stecken. Die Wolken über Frankfurt hatten sich verdichtet und als er die Waffe im Wohnzimmer auf den Tisch legte, besprenkelten dicke Regentropfen das Fenster.
Er wusste, dass es unklug war, hier zu bleiben, aber er wollte nicht noch eine Nacht im alten Präsidium verbringen. Die Aussicht, in einem richtigen Bett schlafen zu können, war einfach zu verlockend. Im Schlafzimmer zog er Zorans Bettzeug ab und legte seinen Schlafsack auf die Matratze.
Am Abend saß er vor dem Fernseher, die Pistole neben sich auf dem Sofa. Er hatte die Reste aus dem Kühlschrank gegessen und den Whisky getrunken. Unten an der Straße gab es eine Tankstelle, an der er sich noch mit etwas Proviant und Zigaretten hätte versorgen können, aber er wollte nicht, dass ihn der neugierige Nachbar ein- und ausgehen sah.
In einer der Schubladen hatte er etwas Tabak, Blättchen und sogar ein bisschen Gras gefunden und sich daraus einen krummen Joint gedreht. Bis gegen halb elf zappte er sich durch die Programme, dann legte er sich in Unterwäsche, aber mit der Pistole in Griffweite, ins Bett und fiel schnell in einen unruhigen Schlaf, aus dem er mehrmals vollkommen desorientiert erwachte. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, die Nacht hier zu verbringen. Er glaubte schon, überhaupt nicht mehr richtig zur Ruhe zu kommen, als er in den frühen Morgenstunden doch noch in einen tiefen, traumlosen Schlaf versank, aus dem ihn gegen halb zehn der Klingelton seines Handys weckte.
Der Mann schwieg noch einen Moment, nachdem Maik sich gemeldet hatte, dann berichtete er ansatzlos von Zorans Tod und dass die Polizei die Leiche seines Freundes in einer Kneipe im Bahnhofsviertel gefunden habe.
»Mit heruntergelassenen Hosen auf dem Scheißhaus«, knurrte der Anrufer und Maik spürte, wie ihm schlecht wurde. Das Koks sei aber immer noch nicht aufgetaucht, fügte der Mann hinzu, er habe also noch eine Chance.
Chance, dachte Maik. Du hast keine Chance, also nutze sie. Zoran musste das Koks versteckt haben, so viel war klar – aber wo?
Er stieg aus dem Bett und dachte beim Duschen darüber nach. Ihm fielen einige mögliche Verstecke ein, aber irgendwie glaubte er nicht recht daran, dass er dort die Tasche finden würde. Als er sich abtrocknete, fiel ihm siedend heiß noch etwas ganz anderes ein: Wenn die Bullen Zoran gefunden hatten, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie seine Identität herausbekamen, und das würde sie auf direktem Weg hierher führen ...
Maik beeilte sich damit, in seine Klamotten zu kommen, packte seine Sachen und verließ die Wohnung. Er fuhr mit dem Aufzug nach unten und trat vor den Wohnblock, als er einen Streifenwagen um die Ecke biegen sah.
Aus sicherer Entfernung beobachtete er, wie die Beamten ausstiegen und im Haus verschwanden.
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