Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, sprang ich aus dem Bett. Ich zog mich schnell an. An der Tür drehte ich mich noch einmal um. Ich hörte das Wasser rauschen und sah auf das Bett. Diese Nacht würde ich sicher nicht so schnell vergessen.
Mein Büro wartete am nächsten Morgen um acht auf mich wie jeden Tag. ›Projektmanagerin‹ stand unter meinem Namen an der Tür. Zusammen mit zwei anderen Namen, denen meiner beiden männlichen Kollegen. Wir waren der sogenannte ›Projektleiterpool‹.
Meine Arbeit war mehr Teil meines Lebens, als ich es mir oft eingestehen wollte. Ich fühlte mich unwohl, wenn ich mich allzu lange davon fernhalten musste, zum Beispiel durch Urlaub oder Krankheit. Danach war ich oft wieder richtiggehend froh, wenn ich an meinen Schreibtisch zurückkehren konnte. Und oft hatte mir einzig und allein die Arbeit über meine privaten Krisen hinweggeholfen.
»Wo soll ich bloß anfangen? Guck dir das an!« Mein Kollege Markus ließ sein übliches Lamento los, sobald er mich sah.
Ich musste unwillkürlich lächeln. Auch wenn ich privat so gut wie nichts mit meinen Kollegen zu tun hatte, konnte ich mich doch nicht enthalten, sie auf eine gewisse Art zu mögen. Dass wir uns gut verstanden, erleichterte vieles.
»Ach, Markus, du bist doch nicht der Einzige, der viel zu tun hat. Wir sind schließlich alle mit Arbeit bis über die Ohren eingedeckt.« Meine Antwort entsprach seinen Erwartungen ebenso wie meinen üblichen Verhaltensweisen.
Es war schon ein eingespieltes Ritual. Er hörte mir nur mit halbem Ohr zu ebenso wie ich seine über den ganzen Tag verteilten ständigen Bemerkungen halb ignorierte oder automatisch beantwortete. Das gab uns ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und lenkte uns nicht zu sehr ab. Arbeitsmäßig waren wir mit völlig verschiedenen Projekten beschäftigt, sodass ein inhaltlicher Austausch kaum stattfand.
Mein zweiter Kollege kam in seiner üblichen ruhigen Art durch die Tür und sah mich. »Guten Morgen«, sagte er, was – wie ich wusste – nur die Einleitung zu einem Arbeitsgespräch sein konnte. Ich hatte mich nicht getäuscht. »Hast du schon gesehen, was ich dir auf den Schreibtisch gelegt habe?«
Ich drehte mich um und sah seinen Bericht auf einem Berg anderer Papiere liegen, mit denen die Schreibtischunterlage bedeckt war. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, habe ich nicht. Ich bin gerade erst gekommen.« Ich ging zum Schreibtisch und blätterte schnell durch die Seiten. »Du hast die Planung angepasst, wie wir es gestern besprochen hatten?«
Er nickte. »Und ich habe die Änderungen ins Konzept aufgenommen, die du wolltest. Ich glaube, damit wirst du das Projekt um 20-30 Personentage verkürzen. Das siehst du in der Planung. Ich habe einen neuen Ausdruck gemacht.«
»Okay.« Ich lächelte ihm etwas zerstreut zu, weil mein Blick schon auf das nächste Papier fiel, das unter seinem zum Vorschein gekommen war. Meine Gedanken wanderten ab zu Variantenvorschlägen und Lösungen. Ich hatte mit der Arbeit begonnen.
Sie lenkte mich den Tag über auch wirklich gut von dem Erlebnis der letzten Nacht ab. Danach jedoch war der Rest des Tages nur noch eine einzige Tortur. Wo ich ging und stand, sah ich ihr Gesicht vor mir. Ihre Augen, wie sie mich angeblitzt hatten, und manchmal ihre Hände, wie sie . . . Bloß nicht darüber nachdenken! Ich sehnte mich nach ihr, ich konnte sie nicht vergessen. Körperlich kam ich mir vor wie eine Süchtige auf Entzug. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn mir auf dem Nachhauseweg jemand Dope angeboten hätte. Verliebt in eine Nutte – na wunderbar!
Ich hatte es mir so gesittet vorgestellt, unser nächstes Wiedersehen. In ein paar Wochen würde ich durch die Stadt gehen. Zufällig würde ich sie treffen. Wir würden uns freundlich begrüßen, im Eiscafé einen Bananensplit zusammen essen, über unsere gemeinsamen Erlebnisse plaudern – Weißt du noch, damals, als ich dich so schön befriedigt habe? – und uns für den nächsten Kaffeeplausch verabreden. Eine richtig nette, unkomplizierte Freundschaft. Das konnte ich in den Wind schreiben! In ein paar Wochen würde ich tot sein.
In der letzten Nacht hatte ich kaum geschlafen, auch nachdem ich zu Hause angekommen war. Den Tag über hatte ich vor lauter Arbeit nicht bemerkt, dass mein Appetit erheblich nachgelassen hatte, aber jetzt registrierte ich, dass ich selbst das übliche gemeinsame Mittagessen mit meinen Kollegen hatte ausfallen lassen. Kein Essen, kein Schlaf – wie lange hielt das ein Mensch wohl aus? In der irren Hoffnung, sie heute schon ›zufällig‹ zu treffen, rannte ich nun nach Feierabend ziellos durch die Stadt. Den Bananensplit aß ich auch – man muss dem Schicksal ja schließlich eine Chance geben.
Als es dunkel wurde, gab ich auf. Zu Hause in meinem Bett warf ich mich ruhelos herum. Ich hatte den Eindruck, ich hätte kein Auge zugetan, aber plötzlich war es Morgen. Ich kochte Kaffee, trank ihn, kochte noch mal Kaffee und trank auch den. Meine Nerven dankten es mir mit unterschwelligem Zittern. Seit vorgestern hatte ich nichts als diesen vorweggenommenen Bananensplit gegessen.
Ich rief in der Firma an und meldete mich ab. In diesem Zustand war ich nicht arbeitsfähig. Ich wollte nicht in die Stadt gehen, das würde mich wieder dazu verleiten, sie zu suchen. Also lief ich wie eine wildgewordene Tigerin im Käfig in meiner Wohnung herum. Vom Balkon zum Fenster, vom Fenster zum Balkon.
Ich sah auf die Uhr. Es war acht Uhr morgens. Viel zu früh, um jemanden wie sie anzurufen. Bis neun hielt ich es aus. Dann nahm ich die Karte mit der Telefonnummer hervor. Um Viertel nach neun rief ich sie an. Wahrscheinlich würde sie noch schlafen, bei den langen Nächten . . .
Sie meldete sich mit ihrer Nummer. Sie hörte sich ziemlich wach an.
Ich meldete mich auch, mit meinem Namen und weniger wach.
»Ja?«, fragte sie abwartend.
»Ich möchte . . .« Was sollte ich nur sagen? »Kann ich . . .?« Ich wollte doch keinen Termin von ihr, jedenfalls nicht ›offiziell‹.
»Du möchtest kommen?«, fragte sie ruhig.
»Ja.« Das war Schwerstarbeit. Ich atmete heftig aus.
»Wann?«, fragte sie wieder im selben ruhigen Ton.
Am liebsten sofort! Aber so konnte ich ihr das natürlich nicht sagen. »Heute?«, fragte ich deshalb, indem ich ihren Ton zu imitieren versuchte. Aber sie konnte es wesentlich besser.
»Ja, das geht. – Um elf Uhr?« Sie wartete auf meine Antwort.
»Ich wollte eigentlich jetzt gleich in die Stadt . . .«
»Nein.« Sie lehnte sehr bestimmt ab. »Vorher habe ich keine Zeit.«
Das hieß, sie hatte wahrscheinlich jetzt eine Kundin bei sich oder wartete auf eine! Kann man auf eine Nutte eifersüchtig sein? Ich konnte! Um antworten zu können, schluckte ich den Kloß in meinem Hals herunter. Mit halbwegs normaler Stimme – so hoffte ich wenigstens – sagte ich: »Gut. Also dann um elf.«
Sie legte auf. Ohne ein Wort. Sie war sicher nicht allein gewesen! Meine Phantasie gaukelte mir quälende Bilder vor. Während sie mit mir telefoniert hatte, hatte die andere Frau sie bereits ausgezogen, sie gestreichelt und geküsst. Aber hätte ich das nicht merken müssen? Ihre Stimme hatte so ruhig geklungen. Mach dir nichts vor! Sie ist eine Nutte – sie empfindet nichts dabei! So? Das hatte ich aber ganz anders in Erinnerung!
Der Minutenzeiger der Uhr schien auf Stunden eingestellt zu sein. Jedes Mal, wenn ich hochblickte, schien es mir, als hätte er sich kaum bewegt. Ich zog mich mindestens fünfmal um. Obwohl in meinem Kleiderschrank nicht allzu viel Abwechslung herrschte.
Hemden und Hosen in verschiedenen Variationen. Röcke oder Kleider besaß ich eh nicht. Zuerst erschien mir die Jeans zu leger, dann wieder die Bundfaltenhose zu fein. Das karierte Flanellhemd war zu rustikal und das seidene zu empfindlich bezüglich Schweißflecken.
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