Ich halte mich aber nicht allzu lange auf und folge weiter den Muschelzeichen. Ich bin überrascht, wie zuverlässig durch so eine große Stadt die Beschilderung des Jakobsweges erfolgt. Es geht weiter durch Vororte, und urplötzlich bin ich an einem Bach und gehe durch unberührte Natur, fernab von jeglichem Straßenlärm und Häuserschluchten.
Bald erreiche ich Compesières mit seiner großen Kirche, der ehemaligen Johanniterkomturei. An einer Kreuzung komme ich zu einer Metallkiste, aus der könnte ich den letzten Stempel der Schweiz bekommen, es ist aber der gleiche wie in der Kirche. Danach kommt ein unscheinbarer kleiner Bach mit einer kleinen Brücke. Er bildet die Grenze von der Schweiz nach Frankreich. Über den Bach überquere ich die EU-Außengrenze! Ade, Schweiz!
Ade, Schweiz
Impressionen Schweiz
Kloster Einsiedeln
Genfersee
Blick auf den Sarnersee
Vatertagspanorama
Frankreich
Via Gebennensis Genf–Le Puy
Feldkreuz
France
Chanaz
… ein kleiner Schritt über den Bach, ein großer Schritt zurück in die EU. Ich kann wieder gewohnt mit Euro bezahlen, beim Telefonieren hab ich keine teuren Zusatzkosten mehr. Vieles ist einfacher …
In Frankreich habe ich jetzt ca. 1200 km zu gehen, bis ich über die Pyrenäen Spanien erreiche. Aber jetzt freue ich mich erst einmal auf viele hoffentlich schöne Tage in Frankreich. Hier fühle ich mich immer sehr wohl. Die Menschen, die Lebensart, das Land mit seinen vielfältigen Kulturen. Nicht zuletzt der schöne Klang der französischen Sprache – ein Erlebnis für meine Ohren.
Leider kann ich die Sprache, mal abgesehen von ein paar lebensnotwendigen Vokabeln, nicht selbst sprechen. Mehrere Versuche, diese zu erlernen, schlugen fehl. Das erste Mal bereits in der Realschule als Wahlfach. Aber leider musste ich während des Französischunterrichtes immer die Hausaufgaben für die Folgestunde in Algebra von meinem Nachbarn abschreiben. Aus heutiger Sicht etwas blamabel, seinerzeit jedoch sehr praktisch und bequem. Mit den Folgen daraus bezüglich meiner Sprachkenntnisse muss ich mich leider bis heute abkämpfen … selber schuld!
Frohgemut gehe ich unter blauem Himmel auf Feldwegen die ersten Kilometer auf der Via Gebennensis bis nach Neydens. In der Kirche ist eine schöne Marienstatue zu sehen. Überhaupt wird die Mutter Maria in dieser Region sehr verehrt, wie ich in den nächsten Tagen noch des Öfteren in den Kirchen und am Straßenrand beobachten kann. Als Pilger hätte ich mich natürlich auf den ersten Stempel in Frankreich für mein Pilgerbuch gefreut. Aber das ist hier in den Kirchen eher die Ausnahme, wie ich leider bald feststellen muss. Meist gibt es Pilgerstempel in den Touristeninformationen, Rathäusern oder in den Herbergen und Restaurants.
Vor der Kirche mache ich eine kleine Pause und stärke mich mit einem Apfel. Bald kommt ein deutsches Ehepaar aus der Nähe von Aalen anmarschiert. Sie machen täglich Etappen zwischen 30 und 40 km. Na denn, ich wünsche ihnen Buen Camino, einen guten Weg. Mit großer Eile ziehen sie schon wieder voller Energie davon und verschwinden schnell aus meinem Sichtfeld. Die werde ich voraussichtlich nicht wiedersehen, bei meinen bescheidenen Etappenlängen von durchschnittlich ca. 20–25 km.
Später überholt mich auf dem immer wieder ansteigenden Weg ein Australier, ungefähr in meinem Alter, und kurz vor Le Mont Sion, an einem steinigen Abstieg, überhole ich ein portugiesisches Ehepaar mittleren Alters. Während ich im Ort nach einem Zimmer frage, ziehen die zwei Portugiesen weiter in die Herberge nach Charly. Das war ursprünglich auch mein Ziel, aber meine Ferse rät mir wegen einer Blase, die ich mir dummerweise daheim mit neuen Halbschuhen zugezogen habe, zur Vorsicht.
Im Hotel Rey bekomme ich ein schönes Zimmer zu einem bevorzugten Pilgerpreis inklusive Abendessen, Frühstück und Wegzehrung. Ich genieße die erfrischende Dusche und versorge meine rechte Ferse mit Salbe und Pflaster. Danach begebe ich mich in die Hotellobby und bekomme nach freundlichen Diskussionen alle Zutaten für ein erfrischendes Radler. Die Dame am Service war dieser Mischung dann so zugetan, dass sie das gleich sorgsam mit dem Mischungsverhältnis aufgeschrieben hat.
Zwischenzeitlich sind einige Pilger eingetroffen. Drei Schwarzwälder zusammen mit einem Schweizer, der schon bekannte Australier und ein Engländer, welcher in der Schweiz lebt. Ein älteres Hamburger Ehepaar nimmt am Stehtisch einen Imbiss ein. Auf meinem kleinen Abendspaziergang unterhalten wir uns sehr angenehm. Sie machen sehr kurze Etappen und freuen sich, in ihrem Urlaub einige Tage auf diesem Weg zu gehen.
Neben dem Hotel ertönen weihnachtliche Klänge. Ich schaue nach und stelle fest, dass sich hier eine Art kleiner Freizeitpark mit weihnachtlichem Motto befindet. Ich liebe dieses Fest, aber halt alles zu seiner Zeit.
Nach dem Spaziergang lege ich mich noch etwas auf mein Bett und mache eine kleine Siesta. Das ist sehr erholsam, und ich genieße einfach den Moment.
Um 19.00 Uhr begebe ich mich in den Speiseraum. Ich bekomme einen kleinen Ecktisch zugewiesen und habe somit den ganzen Raum im Blick. Zuerst kommen die Gruppe mit den vier Männern aus dem Schwarzwald sowie Jacques aus der Schweiz. Danach mit eiligem Schritt Donal, der Australier. Der Engländer kommt mit einem jungen Mann. Wie sich später herausstellt, Vater und Sohn. Neben mir kommen zwei charmante Schweizer Pilgerinnen mittleren Alters, Claudia und Sonja. Eine herrliche Pilgerschar, welche sich hier im Raum befindet.
Weihnacht
Am kleinen Nachbartisch vor mir noch ein älteres französisches Ehepaar. Offensichtlich mit den Annehmlichkeiten des Lebens sehr vertraut. Zum Vorspeisenteller gibt es nicht das übliche Getränk zum Menü. Monsieur bestellt nach vorheriger Verkostung eine edle Flasche Weißwein und zum Hauptgang nach dem gleichen Prozedere eine edle Flasche Rotwein. Madame erhält davon auch je ein kleines Gläschen, bevorzugt jedoch eher das edle Mineralwasser.
Wir erheben gelegentlich das Glas, prosten uns höflich zu und erfreuen uns lächelnd an einem schönen Abend. Unterhalten können wir uns mangels gegenseitiger Sprachkenntnisse leider nicht.
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