Also packe ich meinen Rucksack für zwei Tage und merke dabei, dass ich bis auf das Schnellwaschmittel aus der Tube nicht weniger benötige als bei der geplanten dreiwöchigen Tour. Der Rucksack wiegt genauso viel.
Mit dem Zug fahre ich am 14. Mai nach Giengen und gehe zwei Etappen auf dem Nürnberger Jakobsweg über Nerenstetten in meine alte Heimat Oberelchingen. Wunderbares Wetter erwartet mich, und beim Anstieg von Giengen auf die Albhochfläche komme ich gleich ins Schwitzen. Als Belohnung erwartet mich jedoch ein neu angelegter Rastplatz, auf dem ich mich gleich niederlasse und ein Rucksackvesper genieße.
Da kommt plötzlich ein Wandersmann mit Pilgerstab daher und fragt „Wanderer oder Pilger?“. Auf meine Antwort „Pilger“ legt er seinen Rucksack für eine kleine Pause ab. Es ist ein angenehmer Zeitgenosse. Raffael heißt er und kommt aus Marktredwitz. Geboren in Spanien, aber seit über 50 Jahren in Franken. Er ist vor über zwei Wochen zu Hause gestartet und möchte den Weg bis nach Santiago „ganz“ gehen. Er ist bereits den Camino del Norte, den Camino Francés und den spanischen Weg von Sevilla nach Santiago jeweils „ganz“ gegangen. Die Pyrenäen hat er vom Mittelmeer bis zum Atlantik der Länge nach „ganz“ durchwandert. Wir treffen uns über den Tag noch des Öfteren, und abends haben wir auch das gleiche Nachtquartier im „Adler“ in Nerenstetten.
Wir verabschieden uns mit einem freudigen „Buen Camino“.
Die Strecke durch das Lonetal und über die angrenzenden Höhenzüge der Schwäbischen Alb ist wunderschön zu pilgern. Die Steigungen sind kurz, und es geht immer sehr gemächlich nach oben. Ich genieße die Sonne und bin zufrieden.
In Hürben treffe ich den spanisch-fränkischen Pilgerfreund wieder, und wir gehen gemeinsam ein Stück entlang des „Jakobswegle“. Hier werden um den Kagberg auf einer Länge von 2,5 km der Jakobsweg und seine Besonderheiten beschrieben. Sozusagen Pilgern im Maßstab 1 : 1000.
Bei der Charlottenhöhle mache ich am Kiosk des Infohauses eine Kaffeepause. Über die Lone gehe ich leichtsinnigerweise über ein paar Wackersteine. Die sind so glitschig, dass ich danach gleich ein Dankgebet nach oben schicke, dass ich nicht in der Lone gelandet bin. Verdient hätte ich es gehabt.
Die angekündigten Regenwolken lassen Gott sei Dank auf sich warten. So kann ich auch meine Mittagspause in Lindenau im Biergarten bei einer wunderbaren schwäbischen Hochzeitssuppe genießen. Auch hier habe ich wieder kurz Gesellschaft von Raffael und erfahre viel von seinen bisherigen Pilgertouren.
Kurz vor Setzingen ist es dann doch so weit. Ich muss die Dienste meines Regenponchos bemühen. Ein Gewitter zieht noch lautstark in angemessener Entfernung an mir vorbei. Die folgenden Regenwolken haben jedoch offensichtlich auf mich gewartet, um mir einen göttlichen Segen von oben zu verabreichen.
Um ca. 15.15 Uhr erreiche ich mein Quartier in Nerenstetten. Raffael sitzt schon in der Wirtsstube. Da geselle ich mich gleich mit einem Glas Radler zu ihm, bevor ich mich auf mein einfaches, aber sauberes und gemütliches Zimmer zu einer kleinen Siesta zurückziehe.
Abends treffen wir uns wieder bei einem wunderbaren Abendessen zu Preisen, die ich schon lange nicht mehr auf einer Speisekarte gelesen habe. Das ist doch sehr angenehm auf so einer kleinen Tour.
Am zweiten Tag führt mich der Pilgerweg durch Wälder nach Osterstetten und von dort über Albeck entlang von Wiesen und Äckern in meine alte Heimat nach Oberelchingen. Schön, hier als Pilger anzukommen. Auf dem Weg zur Kirche, vorbei an meinem früheren Wohnhaus, treffe ich den Pfarrer bei einem Mittagsspaziergang. Er ruft mir schon von Weitem lachend entgegen, wo ich meine Harmonika habe. Wir begrüßen uns herzlich.
In der Kirche genieße ich ein paar ruhige, besinnliche Momente zur Stärkung der Seele, bevor ich mich in die Klosterbräustuben zur Stärkung meines Leibes begebe. Ein gutes Essen und ein kühles Glas Bier. Hier im Biergarten, von dem aus auch meine große Pilgertour ihren Anfang nahm, ist es gut sein.
Zwei schöne Pilgertage gehen zu Ende. Sie waren kein Ersatz für meinen geplanten Pilgerweg. Aber mit Sicherheit sind sie ein wichtiges Bindeglied für meinen weiteren Weg nach Santiago de Compostela. Durch diese zwei Tage habe ich meine Pilgerreise dieses Jahr nicht beendet, sondern gedanklich fortgeführt.
Ich freue mich schon, wenn im nächsten Mai dann auf meiner großen Tour wieder der Ruf erschallt:
„Buen Camino!“
28. Pilgertag, Samstag, 28.04.2018
Morges–Genf: 22 km, Gesamt: 601 km
Na ja, wider Erwarten hat sich die Fortsetzung meiner Pilgerreise doch um ein Jahr verzögert. Und auch dieses Jahr ging der Start nicht ganz ohne Reibungsverluste ab.
Eigentlich wollte ich am Anreisetag, also gestern, gleich vom Bahnhof weg meine Etappe starten. Aber in Singen beim Umsteigen in den nächsten Zug hab ich meinen Schrittzähler auf einer Metallbank geschrottet. Und im Zug habe ich dann bemerkt, dass ich meinen Reiseführer zu Hause im Kopierer vergessen habe, weil ich meiner Gattin die Reiseroute kopiert habe. Sch…ande über mein Haupt.
Also führt mich mein Weg nach der Ankunft in Morges zuerst in die Tourist-Info, um ein Sport- und Büchergeschäft zu erfragen. Beides gibt es in der Fußgängerzone. Ein Pilgerquartier wie geplant in Allaman ist jedoch leider schon belegt. So übernachte ich gleich hier in Morges, gehe ins Städtchen und kaufe einen richtig tollen Schrittzähler. Der ist sogar besser als mein alter.
Und in einem Bücherladen bekomme ich einen französischen Reiseführer der Via Gebennensis. Das ist der Weg von Genf bis nach Le Puy en Velay. Den Text verstehe ich zwar nicht, aber dafür hat er richtig tolle Landkarten abgedruckt. Und wegen der Quartiere hab ich eine Broschüre der französischen Freunde des Jakobsweges. Darin sind alle Herbergen, Pensionen und Hotels genauestens und aktuell aufgelistet. So bin ich wieder gut ausgerüstet und genieße einen herrlichen Sonnentag am Genfersee.
Heute Morgen kann ich nach einem netten Plausch an der Hotelrezeption gut ausgeruht endlich meine diesjährige Pilgerreise starten. Direkt vor dem Hotel ist ein lebhafter Wochenmarkt aufgebaut. Da gibt es alles, was das Herz begehrt. Wurst, Käse, Brot, Obst, alte Uhren, Bücher, alte Schüsseln … fast wie bei unserem Jahrmarkt.
Prominente Hochzeit
Vorbei am Rathaus sehe ich die große Tafel, auf welcher über die Eheschließung der berühmten Audrey Hepburn hier an diesem Ort berichtet wird. Wieder eine Berühmtheit, deren Weg ich kreuze. Da kommt mir doch der Gedanke, mir mal Aufkleber mit der Inschrift „Pilger Sepp war auch hier“ zu besorgen. Wäre doch für die Nachwelt eine wichtige Information, oder etwa nicht?
Ich genieße die morgendliche Ruhe und erfreue mich an wunderschönen Parkanlagen entlang des Sees. Vorbei am großen Jachthafen erreiche ich bald St-Prex mit seinen zwei Kirchen.
Park in Morges
In beiden bekomme ich erfreulicherweise meine ersten Pilgerstempel dieses Jahr. Sehr gerne hätte ich noch eine Kerze angezündet, was jedoch mangels Feuerzeug nicht möglich war, obwohl die anwesenden Kommunionskinder und ihre Leiterin die ganze Kirche nach einer Feuerquelle abgesucht haben. Aber der Versuch zählt auch …
In Buchillon komme ich am Ortsausgang an einer kleinen Halle mit gemütlichem Vorplatz vorbei. Ich lasse mich auf einer Bank nieder und genieße zufrieden einen saftigen Apfel. Ein dunkelfarbiger Junge dreht auf seinem Fahrrad einige Runden um den Platz und hat seine kleine Schwester im Schlepptau. Diese kommt zu mir, erzählt mir freudig aus ihrem Leben und stellt mir offensichtlich auch viele Fragen. Da sie jedoch nur Französisch spricht, kann ich sie leider nicht verstehen, und auf meine Antwort – „Je suis allemand“ –, ich bin deutsch, zählt sie alle Länder Europas von Deutschland über Frankreich, Italien, Spanien bis England usw. in französischer Sprache auf. Dabei leuchten ihre großen lustigen Kulleraugen, dass man unwillkürlich herzlich mitlachen muss.
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