1935 wurde Wehner bei der damals noch jungen Plattenfirma Telefunken unter Vertrag genommen, die sich Bands sichern wollte, die noch bei keinem der Konkurrenzlabel untergekommen waren. In Aufnahmen, die er im Februar für Telefunken einspielte, firmierte seine Band als »Telefunken-Swing-Orchester«, und Gerhard Conrad erklärt in seiner Biographie des Bandleaders die Versuche von Musikern in jenen Jahren, den Funktionären der Reichsmusikkammer zu vermitteln, dass Swing »im Gegensatz zum Jazz kultiviert« sei.129 Ähnlich wie in den USA war es mittlerweile auch in Deutschland wichtig, einen klar erkennbaren Bandsound zu entwickeln, und so beschäftigte Wehner ab 1936 mit dem Geiger Walter Leschetitzky erstmals einen festen Arrangeur.
Wehners Band war schnell so bekannt, dass sie im Dezember 1935 für einen Orchesteraustausch nach Stockholm reiste, während der schwedische Bandleader Arne Hülphers in Berlin auftrat.130 Auch Wehner hatte einige Angriffe von Seiten der Reichsmusikkammer zu bestehen. Im Delphi gab es in jenen Jahren zwar »Aufpasser«, die Bescheid gaben, wenn sie vermuteten, dass einer von deren Kontrolleuren den Saal betrat.131 Trotzdem wurden Wehner Ermahnungen zugestellt, und er wird ganz froh gewesen sein, der Reglementierung im Juni 1937 auf einer Amerikafahrt des Ozeanriesen »Hansa« für eine Weile entkommen zu können, zumal dies den Musikern erlaubte, in New York einige amerikanische Swingbands live zu erleben.132 In Wehners Repertoire spiegelt sich diese Erfahrung etwa darin, dass er 1937 Jimmy Mundys Arrangement »Madhouse« für Benny Goodmans Orchester in einer notengetreuen Fassung nachspielte, wie Douglas McDougall damals im amerikanischen Magazin Down Beat berichtet. Vom Januar 1938 stammt »Dämmerung in der Türkei«, eine überaus gelungene Übertragung des von Raymond Scott mit seinem Quintett im Februar 1937 zuvor aufgenommenen »Twilight in Turkey«; die Aufnahme belegt exzellent eingespielte Satzgruppen, wenn sie auch ohne jedes Solo auskommt.
Wehners Band entwickelte mit den Jahren immer mehr an Routine, wie man etwa im »Aunt Hagar’s Blues« von September 1938 merkt. Was ihr immer noch fehlt, ist der amerikanische swing , der ja nicht so sehr durch die rhythmisch korrekte Setzung der Töne entsteht, sondern eher aus einem Gefühl für die dramaturgischen Bögen der Klein- und Großphrasen wie auch der gesamten Melodielinie. Nun wäre die einfachste Erklärung für den mangelnden swing bei Bands wie der von Wehner und anderen einfach die geringe Erfahrung in Verbindung mit fehlender Kenntnis des Originals. Dem steht entgegen, dass es ja durchaus Aufnahmen aus jenen Jahren gibt, die swingen, dass die Musiker also offenbar im Ansatz verstanden, worum es bei diesem so besonderen Phänomen des Jazz ging. Vielleicht also sollte man nicht von einem generellen Unvermögen deutscher Musiker, zu swingen, ausgehen, auch nicht davon, dass sie so steif spielten, um die Kontrolleure von der Reichsmusikkammer auszutricksen, sondern vielleicht ist diese klischeehaft genaue Betonung in Wahrheit ein Zugeständnis an den breiten Musikgeschmack, der mit der relaxten Wirkung des amerikanischen swing weniger anzufangen vermochte als mit der klaren Ansage. Vielleicht, meint man bei einer Aufnahme wie dem »Aunt Hagar’s Blues« zu ahnen, war dem Publikum die klare Form, eine eher traditionelle Sanglichkeit, ein klar akzentuiert statt virtuos verwischt gespielter Bläserchorus oder gar ein deutlich marschierender Rhythmus einfach vertrauter. Wehner spielte Schallplatten mit Peter Igelhoff, Eric Helgar und anderen populären Sängern ein, witzige bis harmlos schlüpfrige Texte, die seine Musik einerseits in die Tradition des Weimarer Kabaretts stellten, wie man etwa in »Meine Adelheid« vom Mai 1936 hört, andererseits in die des populären deutschen Schlagers, wenn er im September 1936 Peter Kreuders »Ich wollt’ ich wär ein Huhn« aufnimmt, das dieser für den im selben Jahr in die Kinos gekommenen Film Glückskinder geschrieben hatte.
Die Anpassung des Aufnahmerepertoires an die Regeln der Reichsmusikkammer sind in Wehners Diskographie deutlich nachzuvollziehen. Straffere Arrangements, deutsche Titel und deutschsprachiger Gesang, und nur in begründeten Ausnahmefällen eine Reverenz an amerikanische Originale, etwa 1940, als Wehner zwei Titel aus dem Hollywoodfilm Der Zauberer von Oz einspielte, nämlich »Over the Rainbow« und »We’re Off to See the Wizard«. Beide Titel allerdings wurden nur ein Vierteljahr später verboten und durften nur noch im Export verkauft werden.133 Deutschland befand sich ja seit dem 1. September 1939 im Krieg, der für Tanzkapellen aus mehreren Gründen spürbar war: Zum einen wurde sofort im ganzen Reich ein Tanzverbot erlassen, zum zweiten wurden etliche Musiker eingezogen. Teddy Kleindin, der für Herbert Müller als Saxophonist zur Band gestoßen war, erinnert sich allerdings auch, dass, als das Orchester im Februar 1939 wieder in Schweden engagiert war, das Repertoire, von Kontrolleuren ganz unbeaufsichtigt, auf amerikanische Titel umgestellt wurde und die Solisten weit mehr Freiraum für Improvisationen erhielten. Einen Eindruck von den Fähigkeiten der Musiker vermittelt der »Delphi Fox« von 1941, ein Arrangement des Trompeters Theo Ferstl und eine Hommage an den Delphi-Palast in Berlin, in dem Wehner seit Februar 1937 immer wieder aufgetreten war und dessen Besitzerin er im Mai 1941 geheiratet hatte.134 Der Bandleader hatte mittlerweile an den vormals so schweren Blechakzenten gearbeitet, die hier etwas weicher als sonst klingen, und seine Rhythmusgruppe swingt, four-to-the-beat, verlässlich. Wehner wurde 1941 eingezogen und zur Wehrmachtsbetreuung im besetzten Norwegen eingesetzt. Ende 1944 wurde er – aus bislang unbekannten Gründen – in ein Strafbataillon versetzt und an die Ostfront geschickt, von der er nicht zurückkam.
Wehners Orchester war eine von etlichen gefeierten Tanzkapellen, die in den 1930er Jahren meist von Berlin aus agierten, aber auf Tournee im gesamten Deutschen Reich zu hören waren. Andere Bands der Zeit, die einen ähnlich guten Ruf hatten, waren etwa die von Oskar Joost, Bernard Etté, James Kok oder Kurt Widmann. Ihrer aller Repertoire changierte zwischen an den amerikanischen Swing angelehntem Jazz und populärem deutschen Schlager. Der Idealfall eines Engagements für eines dieser Tanzorchester war ein Monatsengagement in einem Hotel oder großen Ballsaal. Tourneen führten in andere Städte, gern auch durch die Bäder, etwa an der Ostsee. Und auch der Rundfunk sendete regelmäßige Tanzmusikprogramme, die ab Mitte der 1930er Jahre vornehmlich deutsche Ensembles herausstellten.
Jammin’ mit der Goldenen Sieben
Der Trompeter Kurt Hohenberger(geb. um 1915) hatte seine Karriere bei Marek Weber, Dajos Béla und insbesondere Oskar Joost gemacht, mit dem er ab 1933 spielte und der eines der erfolgreichsten deutschen Tanzorchester der Zeit leitete. Vom September 1933 stammt Joosts Aufnahme »Orient Express« mit einem Solo des Xylophonvirtuosen Kurt Engel, ein durchgeplantes Arrangement, in dem einerseits selbst das Posaunensolo deutlich notiert ist, das andererseits mit der Nachahmung von typischen Zuggeräuschen wie dem Rattern der Räder und dem Signal der Dampfpfeife spielt, wie es zur selben Zeit auch Duke Ellington tat (und das schließlich eine kurze, nur leicht verschleierte »Hold that Tiger«-Sequenz aus dem »Tiger Rag« zum Schluss der Aufnahme enthält).
Kurt Hohenberger und sein Solisten-Orchester, um 1937. V. l. n. r.: Kurt Hohenberger, Hans Klagemann, Rudi Wegener, Detlev Lais, Fritz Schultz-Reichel, Ernst Höllerhagen
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