Das Buch in seiner vierten Auflage gibt weiterhin eine systematische und praxisnahe Einführung in die Grundlagen der Marktforschung, nun aber mit einer noch stärkeren Berücksichtigung der durch die Digitalisierung bedingten Veränderungen. Aufgabe der betriebsinternen wie -externen Marktforschung ist es zwar weiterhin, dem Marketing-Management relevante Informationen zur Entscheidungsunterstützung bereitzustellen. Es stehen ihr dazu heute aber neben den bewährten traditionellen Verfahren zusätzlich viele neue Instrumente zur Verfügung. Man denke etwa an die heutigen Möglichkeiten zur Sekundärforschung mittels Internet, die vereinfachte Durchführung einer internetbasierten Datenerhebung mittels ausgereifter Befragungs- und Beobachtungssoftware oder auch die vielen neuen Verfahren des Data Mining, des Machine Learning und des Deep Learning zur Auswertung und Nutzung umfassender Datenbestände. So erlauben es letztere heute nicht nur Datenmatrizen mit metrischen Inhalten, sondern zusätzlich auch Audio- und Videosequenzen, Bilder, Clickstreams oder Texte entscheidungsunterstützend, oft auch kontinuierlich und automatisiert, auszuwerten.
Wir tragen mit der neuen Auflage diesen Veränderungen durch aktuelle Überblicke Rechnung und führen zusätzlich in einzelne dieser neuen Verfahren sowie die Nutzung geeigneter Statistik-Programme (vor allem: R) ein. Das Kapitel zur Operationalisierung und Messung von Merkmalen ist ebenfalls an moderne Entwicklungen in der betrieblichen Praxis angepasst worden und enthält nun eine Darstellung der vielfältigen Messverfahren zur Dienstleistungsqualität. Neu sind auch Beispiele sowie eine einführende Darstellung zur qualitativen Datenanalyse und zur Durchführung und Auswertung von (Online-)Experimenten.
Das Stoffgebiet wird jedoch weiterhin – wie in den früheren Auflagen des geschätzten Kollegen Böhler – anhand der Arbeitsschritte vermittelt, die bei der Durchführung eines Marktforschungsprojekts im Studium und in der Unternehmenspraxis zu bewältigen sind:
• Formulierung des Marktforschungsproblems,
• Wahl des Forschungsdesigns,
• Bestimmung der Informationsquellen und der Erhebungsmethoden,
• Operationalisierung und Messung von Merkmalen am Beispiel der Dienstleistungsqualität,
• Auswahl von Erhebungseinheiten, Durchführung von Erhebungen, Datenaufbereitung und Datenanalyse sowie
• Ergebnisinterpretation und Weitergabe der Erkenntnisse.
Die genannten Ergänzungen wurden an den passenden Stellen integriert. Dem Wunsch vieler Leserinnen und Leser sowie dem Zeitgeist der Ko-Kreation in der akademischen Lehre entsprechend wurden alle Berechnungen neu so durchgeführt, dass der oder die Interessierte sie am eigenen Rechner mit R nachvollziehen kann. So sollen die Nutzerinnen und Nutzer dieses Lehrbuchs dazu angeregt und ermutigt werden, selbst eigene Erhebungen und/oder Auswertungen vorzunehmen oder sich vertiefend im Selbststudium mit den einzelnen methodischen und inhaltlichen Schwerpunkten des Buchs zu beschäftigen. Die langjährige Lehr- und Forschungspraxis an der Universität Bayreuth jedenfalls hat gezeigt, dass so für heutige Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Unternehmensvertreter der Lerneffekt besonders groß ist: Eine Überblicksveranstaltung und/oder ein Überblicksbuch führen an ein komplexes Thema ergänzt um erste (auch am Rechner) nachvollziehbare Erhebungen und Auswertungen heran. Dann folgt jedoch eine selbstständige Erprobung und Vertiefung unter Einbeziehung von Kolleginnen und Kollegen sowie des Internet zum Wissensaustausch und zur Rückkoppelung.
Die neue Auflage des Buchs soll eine komprimierte, mit vielen Beispielen angereicherte methodische und inhaltliche Darstellung der modernen Marktforschung bereitstellen. Das Lehrbuch bietet so eine Einführung für Studierende und andere Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, aber auch eine Orientierungshilfe für Praktiker. Vor allem aber wünschen wir uns, dass dieses Buch so zur Begeisterung für die Marktforschung animiert, wie Heymo Böhler dies in seinen Schriften, Vorlesungen und Vorträgen konnte. Den geschätzten Herausgebern dieser Reihe, dem Kollegen Hermann Diller und dem ebenfalls viel zu früh verstorbenen Kollegen Richard Köhler, möchten wir auch auf diesem Wege sehr herzlich für ihre Geduld und Anregungen zur Überarbeitung des Buches danken.
Bayreuth, im März 2021 |
Claas Christian Germelmann,Daniel Baier und Herbert Woratschek |
1 Die Aufgaben der Marktforschung im betrieblichen Informations- und Entscheidungssystem
1.1 Begriffliche Abgrenzung der Marktforschung
Geht man von einer marktorientierten Führungskonzeption aus, so ist es Hauptaufgabe der Marktforschung, dem Marketing-Management auf empirischem Wege die Informationsgrundlage für die absatzpolitische Ziel- und Maßnahmenplanung bereitzustellen. Daher wird im Weiteren folgende Marktforschungsdefinition zugrunde gelegt (in Anlehnung an Böhler 1995):
»Marktforschung ist die systematische Sammlung, Aufbereitung, Analyse und Interpretation von Daten über Märkte und Marktbeeinflussungsmöglichkeiten zum Zweck der Informationsgewinnung für Marketing-Entscheidungen.«
Marktforschung ist gekennzeichnet durch den systematischen Einsatz wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden. Ziel ist nicht nur die sorgfältige Beschreibung von Märkten, sondern auch die Gewinnung von Aussagen über Ursache-Wirkungsbeziehungen (z. B. »Wie wirkt der Einsatz von Marketing-Maßnahmen auf mögliche Abnehmer?«). Im Extremfall ist »wissenschaftliche« Forschung dadurch zu gewährleisten, dass (
Kap. 2.1 2.1 Formulierung und Beurteilung des Marktforschungsproblems 2.1.1 Marketing-Entscheidung und Marktforschungsproblem Der Wissensstand der Entscheider kann im Hinblick auf das Entscheidungsproblem beträchtlich variieren. Seine Bandbreite reicht vom bloßen Gefühl einer möglichen Bedrohung bis hin zu ganz konkreten Vorstellungen hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen, den in Frage kommenden Umweltsituationen und den Konsequenzen der Alternativen. Die an das Marketing-Entscheidungsproblem anknüpfende Formulierung des Marktforschungsproblems, d. h. die Fixierung der Marktforschungsziele und die Angabe der gewünschten Informationen, ist mit der wichtigste Arbeitsschritt im gesamten Forschungsprozess. Fehler, die hier gemacht werden, lassen sich auch nicht durch eine noch so gewissenhaft betriebene Datenerhebung und -auswertung beheben. Häufig ist jedoch festzustellen, dass trotz vager Vorstellungen hinsichtlich der zu lösenden Entscheidungen voreilig aufwendige Marktforschungsprojekte in die Wege geleitet werden. Dabei besteht die Gefahr, dass irrelevante Forschungsziele anvisiert und unbrauchbare Informationen geliefert werden.
)
• ihre Vorgehensweise öffentlich zugänglich und dadurch kritisierbar ist,
• das Ausmaß an Unsicherheit der Ergebnisse abgeschätzt werden kann und
• ein anerkannter Forschungsprozess zum Zuge kommt.
Selbstverständlich werden diese Kriterien in der Marketing-Praxis nicht immer vollends erfüllt. Man sollte sich dann aber darüber im Klaren sein, dass Abweichungen vom Regelwerk wissenschaftlicher Forschung die Qualität der Forschungsergebnisse beeinträchtigt. Man denke z. B. an unseriöse »Fernsehzuschauerbefragungen«, bei denen Anrufer über eine Hotline ihre Meinung kundtun, oder an aus dem Internet nach Registrierung kostenlos downloadbare »Marktübersichten« zweifelhafter Qualität, die vor allem der Gewinnung weitergebbarer Werbeadressen dienen.
Verbreitet ist in der Literatur auch eine Abgrenzung zwischen Marktforschung und Marketingforschung (Meffert 1992, S. 16; Köhler 1993, S. 2782; Decker und Wagner 2002, S. 4; Meffert et al. 2019, S. 173). Demnach unterscheiden sich »Marktforschung« und »Marketingforschung « durch ihren jeweiligen Untersuchungsgegenstand:
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