Als er gleich nach Verlassen der Autobahn die Kehren in Angriff nahm, begann er zu hoffen, dass sein Sohn die ganzen zehn Tage schlafen würde, und dachte, was sie wohl machen würden, an die Situationen, in denen sie allein sein und sich anschauen würden.
Er stellte sich vor, wie sie beide abends im Bett lagen, er noch wach und Pietro schlafend, im gleichen Rhythmus atmend, ganz nah. Er bekam große Lust auf einen Espresso, wollte anhalten, sich die Beine vertreten, das Panorama genießen, so anders als gewöhnlich, die Berge im Hintergrund, der Himmel durchsichtig, die Wälder und Niederungen, die Obstbäume und die Wiesen, die so grün waren, dass sie künstlich wirkten. Er bekam große Lust zurückzufahren, zurück zu ihr.
Sie fuhren an einem See entlang, im glatten Wasser spiegelte sich der jetzt wolkenlose Himmel, die Kurven wurden sanfter, gesäumt von Schildern in einer fremden Sprache, von bunten Blumen an den Fenstern der Häuser.
Das Hotel war aus hellem Holz, wahrscheinlich Fichte, wie die Bäume, die die Mauern und den Schotterweg zum Eingang säumten; in der Mitte eines Gartens, der sich zu beiden Seiten erstreckte, gab es Blumenrabatten, und am Ende, hinter einem steinigen Parkplatz, stand das gemütliche Hauptgebäude.
Er hielt an, und die Handbremse weckte Pietro, der sich die Augen rieb und sich dann umsah.
Ettore nahm ihn auf den Arm und wandte sich zum Eingang; auf der Schwelle wartete eine Frau, die sich die Hände an der Schürze abtrocknete, sie trug eine Brille und die fast grauen Haare im Nacken zu einem strengen Knoten geschlungen und sah aus wie eine Nonne, eine von denen, die immer nach gutem Essen riechen, mit aller Liebe und Geduld gekocht.
Kommt herein, sagte sie, ich gebe euch gleich die Zimmerschlüssel; dann fragte sie, ob sie zu Mittag gegessen hätten.
Ettore blieb stehen, sah das Kind an und sagte, nein, wir müssen noch essen.
Das Zimmer war klein, wie erwartet, roch nach Holz und nach Alter, es gab ein Kinderbett, das perfekt hierher passte, ein einziges Fenster mit Blick auf den See und die Wälder.
Auch das große Bett war aus Holz, ein Ehebett, das Bad war sauber, und auf dem Waschbecken standen künstliche Blumen. Ettore setzte seinen Sohn auf den Teppichboden und fragte sich, ob es richtig sei, ein zehn Monate altes Kind auf dem Boden eines Hotelzimmers sitzen zu lassen.
Durchs Fenster kam ein guter Geruch, er packte die Koffer aus, holte als Estes die Spielsachen heraus und betrachtete Pietro, der an seinem Stoffstück lutschte. Er betrachtete seinen Sohn, so ruhig und kein bisschen beunruhigt über das Fehlen der Mutter, und räumte die Kleider in den Schrank, der nach Mottenkugeln roch.
Alles wird gut gehen, sagte er sich.
Auf der Seite des Nachttischs mit dem Telefon setzte er sich aufs Bett, hob den Hörer ab, hielt ihn ans Ohr, klemmte ihn mit der Schulter fest, lauschte dem Tuten auf der anderen Seite; er spielte mit dem Spiralkabel, schob seinen Zeigefinger hinein, seufzte und legte wieder auf.
Er streckte sich aus, betrachtete seinen Sohn, die kleinen, noch nicht ausgewachsenen Zähne, dann sagte er, komm, lass uns essen gehen.
Sie gewöhnten sich rasch ein in diesen Ferientagen. Sie wachten auf, unterhielten sich, frühstückten, spazierten die Dorfstraßen entlang bis zum See, der jeden Tag die Farbe wechselte, setzten sich in einem der wenigen geöffneten Cafés unter den gestreiften Sonnenschirm und betrachteten die Berge und Wälder, das ruhige Wasser und die Enten, die weiter rechts im Schilf paddelten.
Ettore zeigte sie Pietro, der eine Weile brauchte, bis er sie wahrnahm, dann zeigte auch er mit dem Finger darauf und lächelte, die Sonne erschien zwischen den Wolken, die dichter wirkten im Vergleich zu denen bei ihnen in der Ebene, weniger drohend. Es war, als könnte man hier freier atmen, trotz der Gipfel und Wälder rundherum.
Am Abend, wenn Pietro eingeschlafen war, stellte sich Ettore manchmal im Zimmer ans Fenster, blickte hinaus in die Dunkelheit, auf die Umrisse der Bäume und Beete im Garten, die wenigen Lichter hier und da, und der Anblick versöhnte und ängstigte ihn, sodass er danach fast die ganze Nacht auf dem Bett saß und das Telefon anstarrte. Dann hustete das Kind oder wachte auf oder röchelte. Ettore fürchtete, es könne etwas Ernstes sein, ein Rest Keuchhusten, also trat er an das Bettchen und nahm seinen Sohn auf, drückte ihn an die Brust, und erst dann gelang es ihm, einzuschlafen.
Die Frau war freundlich und nett, sie umsorgte sie, im Speisesaal sah sie sie teilnehmend und nachsichtig an, auch wenn das Kind weinte und dann hustete und dann gleichzeitig weinte und hustete.
An jenem Morgen war es ruhig, spielte mit einem grünen Plastiklöffelchen und schob die Brösel des Apfelkuchens hin und her, es hatte die schmalen Augen, die langen Wimpern, den verdrossenen Mund und das angespannte Kinn seiner Mutter, hatte an jenem Morgen ihren Gesichtsausdruck, und während Ettore es auf dem Stuhl vorgebeugt anstarrte und den Kaffee vergaß, der im Tässchen kalt wurde, dachte er daran, wie schön sie in dem Nachthemd war, das er ihr geschenkt hatte. Dachte an das Fieber, an ihre Energielosigkeit, als er zu ihr trat, nachdem das Kind endlich eingeschlafen war, als er sich zu ihr aufs Bett gesetzt und gefragt hatte, wie es ihr gehe.
Schlecht, hatte sie geantwortet, ich habe keine Kraft, für nichts.
Ich koche dir eine Brühe.
Das kannst du doch gar nicht.
Ich tu rein, was ich finde.
Zum Beispiel?
Was weiß ich, das Fleisch, das noch da ist, das Gemüse, das da ist.
Dann hol mir doch lieber eine Pizza.
Aber nein, ich töte die Tauben, die nehme ich und stecke sie samt Federn in den Topf, damit es auch nach was schmeckt.
Er dachte an ihr Lächeln, an ihre Art, sich auf die Seite zu drehen, ihm zu sagen, er solle ins Bett kommen, sich ausruhen, denn morgen würde er früh aufstehen und fahren müssen.
Er fühlte, wie sich die Tränen einen Weg durch die geschlossenen Lider bahnten, fühlte sie seine Wangen hinunterlaufen, und als er die Augen wieder öffnete, sah er die Frau vom Hotel vor sich stehen, ihren mütterlichen Körper, das runde, lächelnde Gesicht. Er sah, wie sie in die Knie ging, dann hörte er ihre Stimme mit dem seltsamen ausländischen Akzent.
Wenn du willst, passe ich heute auf das Kind auf.
Danke, sagte Ettore und lächelte sie traurig an.
Dann fuhr er sich mit einem Arm übers Gesicht, streichelte seinen Sohn und fragte ihn, ob er auch brav sein würde.
Es war frisch, die Vögel zwitscherten und zogen ihre Kreise am wolkenlosen Himmel, und alles war hell und leuchtete: die Blumen, der Kies auf dem Weg, auch die Geräusche und die Gerüche.
Er ging vor bis zur Straße, wenige Autos fuhren durch die engen Gassen des Dorfes, wenige Menschen standen vor den Geschäften, vor der Bäckerei. Ettore sog den Duft ein, der dort herauskam, und den Duft nach all dem Holz. Er ging weiter bis zu dem Gasthaus gegenüber einem Felsenbrunnen, der inmitten eines Beetes voll großer gelber Blumen stand.
Bei der jungen Bedienung bestellte er einen Espresso, dann noch einen Fruchtsaft und ein Brötchen mit Speck, er war allein im Lokal, das Licht fiel gedämpft durch die zugezogenen Gardinen an den Fenstern, es war kühl zwischen den Hirschköpfen an den Wänden und den anderen ausgestopften Tieren auf den Konsolen, einem Falken und einem Wiesel. Er aß im Stehen an der Theke, beobachtete die lustlosen Bewegungen des Mädchens, seine breiten Hüften, seinen gelangweilten Ausdruck.
Der Weg war rot-weiß gekennzeichnet, zwei parallele Linien markierten die Bäume entlang des schmalen Weges, eine Steintreppe führte in den Wald, die Stufen waren lose und in den Ritzen wuchs Gras. Oben angekommen, sah Ettore über seinem Kopf das dichte Gezweig majestätischer Tannen, die die Sonne verdunkelten, er legte die Arme um sich und tat das Einzige, was ihm sinnvoll erschien, er setzte einen Fuß vor den anderen, den Blick auf die Nadeln gerichtet, die den Pfad bedeckten, auf die Steine, die ab und zu herausragten, und bereute es, keinen Stock mitgenommen zu haben.
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