»Und deine Arbeit?«, fragte ich ihn zaghaft und unsicher, wie nahe ich ihm treten konnte, jederzeit bereit, dem Unerklärlichen aus dem Weg zu gehen.
»Ach, weißt du«, sagte er, als sei er nur ein paar Wochen fort gewesen und würde mit einem Kollegen reden, nicht mit seiner Frau und Geliebten. »Ach, weißt du, das Gleiche wie immer. Nichts wirklich Neues.« Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas mit Orangensaft – trank wirklich, um ihn zu genießen, und für eine Minute oder so gab es im Haus nichts anderen als seinen Genuss. Dann fragte er beiläufig, ob es noch andere Neuerungen im Haus gäbe.
Nach dem Frühstück saßen wir auf der Veranda, sahen zu, wie es in Strömen goss, wie sich Pfützen im Kräutergarten bildeten. Wir lasen eine Zeit lang, gingen dann zurück ins Haus und liebten uns. Es war eine Art monotones Ficken, wie in Trance, und nur angenehm, weil das Wetter uns in die eigenen vier Wände trieb. Auch wenn ich es bis zu diesem Punkt nicht recht hatte glauben wollen, so konnte ich mir jetzt nicht länger vormachen, mein Mann sei voll und ganz präsent.
Dann gab es Lunch und dann Fernsehen – ich stieß auf die Wiederholung eines Rennens für Zweimann-Boote – und weitere Plauderei. Er fragte nach einigen seiner Freunde, aber ich hatte keine Antworten. Ich hatte sie nie getroffen. Sie waren eigentlich nie meine Freunde gewesen; ich hatte Freundschaften nie gepflegt, ich hatte sie einfach von meinem Mann geerbt.
Wir versuchten uns an einem Quizspiel und lachten über einige der dümmeren Fragen. Dann wurde klar, dass er ein paar bizarre Wissenslücken hatte und wir hörten auf, während sich eine Art Schweigen zwischen uns ausbreitete. Er las die Zeitung und in seinen Lieblingszeitschriften, die sich angesammelt hatten, sah die Nachrichten im Fernsehen. Oder vielleicht tat er auch nur so, als ob er das alles machen würde.
Als es aufhörte zu regnen, wachte ich nach einem kurzen Schläfchen auf der Couch auf und stellte fest, dass er nicht mehr neben mir lag. Ich versuchte, nicht in Panik zu verfallen, suchte im ganzen Haus nach ihm und fand ihn schließlich in der Auffahrt zur Garage. Er stand vor dem Boot, das er vor ein paar Jahren gekauft hatte und das zu lang für die Garage war, so dass man sie nicht schließen konnte. Es war nur ein Einmaster, etwa sechs Meter lang, aber er liebte das Boot.
Als ich zu ihm ging und mich einhakte, hatte er einen ratlosen, ja sogar verlorenen Ausdruck im Gesicht, als könne er sich daran erinnern, dass das Boot ihm wichtig war, aber vergessen hatte, warum. Er nahm mich überhaupt nicht zur Kenntnis, sondern starrte weiterhin ausdruckslos und mit wachsender Intensität auf das Schiff. Ich spürte förmlich, wie er sich an etwas Wichtiges zu erinnern versuchte; erst viel später verstand ich, dass es mit mir zu tun hatte. Dass er mir da, dort, etwas Lebenswichtiges hätte mitteilen können, wenn es ihm nur wieder eingefallen wäre. Aber so standen wir einfach da, und obwohl ich die Wärme und die Masse des Körpers neben mir spüren konnte, die regelmäßigen Atemzüge, lebten wir in zwei Welten.
Nach eine Weile hielt ich es einfach nicht mehr aus – die blanke ziellose Anonymität seiner Not, sein Schweigen. Ich führte ihn zurück ins Haus. Er hielt mich nicht auf. Er protestierte nicht. Er versuchte nicht, zurück zu seinem Boot zu schauen. Ich glaube, an diesem Punkt traf ich meine Entscheidung. Wenn er nur einmal den Kopf gewandt hätte. Wenn er sich nur einmal widersetzt hätte, nur einen Augenblick lang, dann wäre es vielleicht anders gewesen.
Beim Abendessen kamen sie mit vier oder fünf Zivilfahrzeugen und einem Überwachungswagen, um ihn abzuholen. Sie stürmten nicht unter lautem Gebrüll oder mit gezogenen Waffen und Handschellen ins Haus. Statt dessen näherten sie sich ihm mit Respekt, ja man könnte fast sagen Angst: jene Art von aufmerksamer Behutsamkeit, die man auch im Umgang mit einer scharfen Bombe zeigen würde. Er ging ohne Protest, und ich ließ es zu, dass sie diesen Fremden aus meinem Haus mitnahmen.
Ich hätte sie nicht aufhalten können, aber ich wollte es auch nicht. Die letzten Stunden hatte ich mit zunehmender Panik neben ihm verbracht, mehr und mehr davon überzeugt, dass aus Area X nur noch eine leere Hülle dessen zurückgekehrt war, was ihn einmal ausgemacht hatte; ein Roboter, der so tat, als ob. Den ich niemals gekannt hatte. Mit jeder atypischen Geste, jedem ungewohnten Wort trieb er mir die Erinnerung an jenen Menschen aus, den ich einmal gekannt hatte, und trotz allem was passiert war, wollte ich mir diese Vorstellung von ihm bewahren. Aus diesem Grund rief ich die Nummer an, die er mir für Notfälle gegeben hatte: Ich wusste nicht, was ich mit ihm machen sollte, und konnte, so verändert wie er war, auch nicht mehr mit ihm zusammenleben. Ihn gehen zu sehen gab mir, um ehrlich zu sein, ein Gefühl der Erleichterung, nicht von Schuld oder Verrat. Was sonst hätte ich auch tun sollen?
Wie ich schon sagte, habe ich ihn in der Einrichtung, wo er unter Beobachtung stand, bis zum Ende besucht. Selbst unter Hypnose hatte er bei den Befragungen, die mitgeschnitten wurden, nichts Neues zu sagen, es sei denn, man hat mir etwas vorenthalten. Am deutlichsten erinnere ich mich an die immer wiederkehrende Traurigkeit in seinen Worten: »Ich gehe endlos auf dem Weg von der Grenze zum Basislager. Es dauert sehr lange, und ich weiß, dass es noch länger dauern wird, zurückzugehen. Keiner ist bei mir. Ich bin ganz alleine. Die Bäume sind keine Bäume, die Vögel sind keine Vögel, und ich bin nicht ich, sondern nur etwas, das schon sehr lange unterwegs ist …«
Es gab nur eins, was ich nach seiner Rückkehr an ihm entdeckte: eine tiefe und unendliche Einsamkeit, so als hätte er ein Geschenk erhalten, von dem er nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Ein Geschenk, das Gift für ihn war, und das ihn schließlich umbrachte. Aber hätte es auch mich umgebracht? Das war die Frage, die sich in meine Gedanken schlich, während ich ihm diese letzten wenige Male in die Augen starrte und unbedingt verstehen wollte, was er dachte, aber vergeblich.
Während ich weiter meinem zunehmend monotonen Job in einem sterilen Labor nachging, dachte ich immer wieder an Area X, und dass ich nie wissen würde, wie sie wirklich war, ohne dort gewesen zu sein. Keiner konnte es mir wirklich sagen, und kein Bericht würde mehr als ein schaler Ersatz sein. Deshalb meldete ich mich ein paar Monate, nachdem mein Mann gestorben war, freiwillig für eine Expedition nach Area X. Noch nie hatte sich der Ehepartner eines früheren Expeditionsmitglieds beworben. Ich glaube, dass ich unter anderem auch deshalb genommen wurde, weil sie sehen wollten, ob das einen Unterschied macht. Ich glaube, sie akzeptierten mich als Experiment. Andererseits haben sie vielleicht von Anfang an erwartet, dass ich mich melde.
Am Morgen hatte es aufgehört zu regnen, und der Himmel war von einem schneidenden Blau, praktisch wolkenlos. Nur die Kiefernnadeln auf den Zeltdächern und die schmutzigen Pfützen und abgebrochenen Äste zeugten noch vom Sturm der vergangenen Nacht. Die Klarheit, die meine Sinne infiziert hatte, war inzwischen in meiner Brust angekommen, anders kann ich es nicht beschreiben. Tief in mir war ein Leuchten , eine Art prickelnder Energie und Vorahnung, die hart gegen meinen Schlafmangel anging. War das Teil der Veränderung? Aber selbst wenn, es machte auch keinen Unterschied – ich hatte keine Möglichkeit, gegen das anzukämpfen, was mit mir geschah.
Außerdem musste ich eine Entscheidung treffen, denn ich spürte, dass sowohl der Turm als auch der Leuchtturm eine starke Anziehung auf mich ausübten. Ein Teil des Leuchtens wollte sofort in die Dunkelheit zurückkehren, was sowohl logisch war, als auch mit Mut zu tun hatte oder dem Mangel daran. Sofort wieder in den Tunnel abzutauchen, gedankenlos, planlos, war ein Schritt auf Treu und Glauben, von reiner Entschlossenheit und Leichtfertigkeit, und nichts anderes. Aber inzwischen wusste ich, dass in der vergangenen Nacht irgendjemand im Leuchtturm gewesen war. Sollte die Psychologin sich dorthin geflüchtet haben und ich sie dort auftreiben können, dann würde ich vielleicht mehr über den Turm erfahren, bevor ich ihn weiter erkundete. Das schien mir von zunehmender Wichtigkeit zu sein, denn die Ungewissheiten, die der Turm aufwarf, schienen sich verzehnfacht zu haben. Als ich schließlich mit der Vermesserin sprach, hatte ich mich für den Leuchtturm entschieden.
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