Jeff VanderMeer - Borne

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In einer zerstörten Stadt der nahen Zukunft überlebt Rachel, indem sie in den Ruinen nach Überresten biotechnologischen Abfalls sucht. Ihre Beute bringt sie zu ihrem Partner Wick, der aus den gesammelten Überresten psychoaktive Drogen herstellt und verkauft. Die Stadt ist gefährlich, übersät mit den ausrangierten Experimenten der Firma – einem zerfallenen Biotech-Unternehmen – und geplagt von den unvorhersehbaren Raubzügen eines riesigen Bären namens Mord.
Im Fell von Mord findet Rachel bei einer ihrer Expeditionen Borne, ein undefinierbares Wesen, das auf sie eine merkwürdige Anziehung ausübt. Entgegen ihren Instinkten – jede Schwäche kann dich in dieser erbarmungslosen Stadt töten – nimmt sie Borne mit in ihr Versteck. Doch Borne ist viel mehr, als Rachel sich vorstellen kann. Er lernt sich zu bewegen, zu reden, seine Gestalt zu verändern und beginnt zunehmend, die delikate Balance der Macht in der Stadt zu bedrohen. Während sich neue Feinde der Firma formieren, führt Bornes Metamorphose Rachel vor Augen, wie sehr ihre prekäre Existenz auf Lügen und Geheimnissen beruht, deren Aufdeckung ihre Welt für immer verändern wird.

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In einer zerstörten Stadt der nahen Zukunft überlebt Rachel, indem sie in den Ruinen nach Überresten biotechnologischen Abfalls sucht. Ihre Beute bringt sie zu ihrem Partner Wick, der aus den gesammelten Überresten psychoaktive Drogen herstellt und verkauft. Die Stadt ist gefährlich, übersät mit den ausrangierten Experimenten der Firma – einem zerfallenen Biotech-Unternehmen – und geplagt von den unvorhersehbaren Raubzügen eines riesigen Bären namens Mord.

Im Fell von Mord findet Rachel bei einer ihrer Expeditionen Borne, ein undefinierbares Wesen, das auf sie eine merkwürdige Anziehung ausübt. Entgegen ihren Instinkten – jede Schwäche kann dich in dieser erbarmungslosen Stadt töten – nimmt sie Borne mit in ihr Versteck. Doch Borne ist viel mehr, als Rachel sich vorstellen kann. Er lernt sich zu bewegen, zu reden, seine Gestalt zu verändern und beginnt zunehmend, die delikate Balance der Macht in der Stadt zu bedrohen. Während sich neue Feinde der Firma formieren, führt Bornes Metamorphose Rachel vor Augen, wie sehr ihre prekäre Existenz auf Lügen und Geheimnissen beruht, deren Aufdeckung ihre Welt für immer verändern wird.

Über den Autor

Jeff VanderMeer wurde 1968 in Pennsylvania geboren und wuchs auf den Fidschi-Inseln auf. Er ist ein vielfach ausgezeichneter Science-fiction-Autor – u.a. mit dem Nebula Award, dem Hugo Award, dem World Fantasy Award und dem British Science Fiction Award – und Herausgeber zahlreicher Anthologien.

Jeff VanderMeer lebt in Tallahassee, Florida. Zuletzt erschien von ihm bei Kunstmann die Southern-Reach-Trilogie.

JEFF VANDERMEER BORNE ROMAN Aus dem Englischen von Michael Kellner Verlag - фото 1

JEFF VANDERMEER

BORNE

ROMAN

Aus dem Englischen

von Michael Kellner

Verlag Antje Kunstmann

Für Ann

ERSTER TEIL

WAS ICH FAND UND WIE ICH ES FAND

Ich fand Borne an einem sonnigen, stahlblauen Tag, als der riesige Bär Mord sich in der Nähe unseres Zuhauses herumtrieb. Zunächst war Borne für mich einfach etwas, das wir vielleicht verwerten konnten. Ich wusste nicht, was Borne für uns bedeuten würde. Ich konnte nicht wissen, dass er alles verändern würde. Mich inklusive.

Auf den ersten Blick machte Borne nicht viel her: Er war dunkelviolett, etwa so groß wie meine Faust und klebte in Mords Pelz wie eine halb geschlossene, gestrandete Seeanemone. Ich fand ihn nur, weil er ungefähr alle dreißig Sekunden ein smaragdgrünes Leuchten aufblitzen ließ, wie ein Leuchtfeuer.

Als ich näher kam, stieg mir in Wellen der Geruch von Salzlake in die Nase, und einen Augenblick lang war die zerstörte Stadt um mich herum verschwunden, gab es keine Suche nach Nahrung und Wasser mehr, keine umherstreunenden Gangs und entlaufenen, modifizierten Kreaturen von unbekannter Herkunft, deren Absichten man nicht kannte. Keine verstümmelten, verbrannten Körper, die an kaputten Straßenlaternen hingen.

Stattdessen sah das Ding, das ich gefunden hatte, einen alarmierenden Augenblick lang aus wie aus den Gezeitenbecken meiner Jugend, bevor ich in die Stadt gekommen war. Ich konnte das Salz wieder riechen und den Wind spüren, und die vertraute Kälte des Wassers, das über meine Füße schwappte. Die lange Suche nach Muscheln, die schroffe Stimme meines Vaters und der Singsang meiner Mutter. Der honigwarme Sand, in den meine Füße sanken, während ich auf den Horizont und die weißen Segel starrte, die von fernen Besuchern auf unserer Insel kündeten. Falls ich jemals auf einer Insel gelebt hatte. Falls das jemals der Wahrheit entsprochen hatte.

Die Sonne hoch oben war von einem kariösen Gelb wie das Auge von Mord.

Ich hatte Mord den ganzen Vormittag über verfolgt, von dem Augenblick an, als er im Schatten eines Gebäudes der Firma weit im Süden erwacht war; so fand ich Borne. Der De-facto-Herrscher unserer Stadt hatte sich in die Lüfte erhoben und sich meinem Versteck genähert, um seinen Durst zu stillen, indem er den riesigen Schlund öffnete und mit der Schnauze durch das verseuchte Flussbett im Norden pflügte. Niemand außer Mord konnte aus diesem Fluss trinken und überleben; die Firma hatte ihn so geschaffen. Dann schwang er sich wieder hoch ins Blaue, ein Killer, leicht wie der Samen einer Pusteblume. Wenn er auf seinem Weg nach Osten unter dem finsteren Blick regenloser Wolken Beute fand, stieß er aus der Höhe hinab und befreite ein schreiendes Stück Fleisch von der Notwendigkeit zu atmen. Ließ von ihm nichts als eine blutige Gischt übrig, eine schäumende Wolke unvorstellbar fauligen Atems. Manchmal brachte ihn das Blut zum Niesen.

Niemand, nicht einmal Wick, wusste, warum die Firma den Tag nicht hatte kommen sehen, an dem Mord von ihrem Wächter zu einem Verhängnis geworden war – warum sie nicht versucht hatte, ihn zu zerstören, solange sie noch die Macht dazu hatte. Inzwischen war es zu spät, denn Mord war nicht nur zu einem Ungeheuer mutiert, sondern hatte durch irgendeinen Technikzauber, der der Firma abgepresst worden war, auch gelernt zu schweben, zu fliegen.

Als ich Mords Lagerplatz erreichte, wurde er in seinem unruhigen Schlaf von erdbebenartigen Rülpsern geschüttelt; seine Hüfte ragte über mir empor. Sogar wenn er auf der Seite lag, war er drei Stockwerke hoch. Sein befriedigter Blutdurst hatte ihn schläfrig gemacht, und auf der Suche nach einem Ruheplatz hatte er sich auf einem Gebäude niedergelassen, dessen Mauerreste aus Ziegelsteinen jetzt überall unter ihm hervorquollen und ihren Zweck als Schlafstatt erfüllten.

Mord hatte Zähne und Klauen, die blitzschnell zerfleischen und vernichten konnten. Seine Augen, die manchmal sogar beim Träumen offen standen, waren gewaltige, fliegenverkrustete Leuchtfeuer, Spione seines Geistes, der – so glaubten einige – in kosmischen Größenordnungen arbeitete. Aber für mich, den menschlichen Floh an seiner Flanke, bedeutete er vor allem eine gute Quelle für Wiederverwertbares. Mord zerstörte unsere kaputte Stadt, aber unfreiwillig belebte er sie auch wieder.

Wenn Mord sich von seinem Lager aus, das er in die beschädigte Seite des Firmengebäudes geschlagen hatte, mit Schaum vor dem Maul auf den Weg machte, verfingen sich allerlei Schätze in seinem klebrigen, verdreckten Pelz, der vor Aas und Chemikalien stank. Er beschenkte uns mit Packungen namenlosen Fleisches, Reste aus Firmenbeständen, und manchmal stieß ich auf Kadaver nicht wiederzuerkennender Tiere, mit durch Innendruck geborstenen Köpfen und grellweißen, hervorquellenden Augen. Wenn wir Glück hatten, regnete es, während er herumtapste oder hoch über uns hinwegglitt, manche dieser Schätze aus seinem Pelz, dann mussten wir nicht auf ihn hinaufklettern. An besonders guten, sprich schlechten Tagen fanden wir Käfer, die man sich ins Ohr stecken konnte, wie die, die mein Partner Wick herstellte. Aber wie im Leben überhaupt konnte man nie sicher sein, und so folgten wir Mord mit gesenktem Kopf und auf Knien in der Hoffnung, dass er liefern würde.

Wick warnte mich immer, dass einige dieser Dinge möglicherweise absichtlich dort platziert worden waren. Dass es Fallen sein könnten. Oder dass sie in die Irre führen sollten. Aber ich kannte mich mit Fallen aus. Ich stellte selbst welche. Wick wusste, dass ich sein »Sei vorsichtig!« in den Wind schlug, wenn ich morgens aufbrach. Ich ging das Risiko ein, um mein eigenes Überleben zu sichern und ihm zurückzubringen, was ich fand, damit er es inspizieren konnte wie ein Wahrsager einen Haufen Gedärme. Manchmal dachte ich, Mord würde die Sachen aus einem verqueren Verantwortungsgefühl heraus zu uns, seinen Spielzeugen, seinen Folterpuppen, bringen; ein andres Mal schien es mir, als hätte die Firma ihn dazu verleitet.

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