These: Jede
Freiheitsdefinition zieht eine
bestimmte
Erfahrungsqualität nach sich
Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen diesem Konzept der Freiheit und dieser strukturellen Aufteilung der Erfahrung ist eine einfache logische Verbindung. Sie wäre sogar dann stichhaltig, wenn niemand jemals diese Idee der Freiheit vertreten hätte. Und sie allein ist für unsere Unternehmung entscheidend. Die Tatsache, dass alle möglichen Variationen dieser Sichtweise in der Geschichte der Philosophie eine Rolle gespielt haben (und man könnte neben Platon, Rousseau, Kant oder Hegel noch andere nennen), und dass sie darüber hinaus einer Bedeutung von Freiheit entspricht, die in der Alltagserfahrung und -sprache häufig auftaucht, macht dieses Beispiel enorm interessant. Aber die sich entwickelnde Hauptargumentation hängt nicht von diesem Punkt ab. Sie befasst sich nur mit dieser Sichtweise als einem allgemeinen Typus. Natürlich erscheint diese Sichtweise in den verschiedenen historischen Philosophien nicht in solch simplen, holzschnittartigen Grundzügen. Aber die Details, wie Platon oder Rousseau („volonté générale“) oder Hegel die Grundzüge dieses „Modells“ gestalteten und modifizierten, wie auf seinem Schachbrettmuster die Kontroversen zwischen „positiver“ und „negativer“ Freiheit, zwischen Freiheit und Willkür ausgetragen wurden, werden wir diskutieren, wenn wir darauf vorbereitet sind. An diese Stelle möchte ich nur ein Beispiel anführen, um anzudeuten, wie viel Erklärungspotential in diesem von uns postulierten Muster steckt.
Beispiel Platon
Betrachten wir Platons bekannte Hierarchie der menschlichen Fähigkeiten, in der der Vernunft der höchste Platz zugewiesen wird, weil sie den Menschen über den Rest der Natur hinaushebt und nur ihr umfassender Gebrauch den Menschen wirklich menschlich macht. Hier ist die Vernunft die Quintessenz des Menschlichen; die Emotionen und der Körper gehören definitiv zu einer niedrigeren Ebene. Diese Einstellung gegenüber der Vernunft entspricht ganz klar der Grundannahme, die wir hinter der allgemeinen Auffassung von Freiheit, wie sie in Sokrates’ Paradoxon steckt, selbst schon entdeckt haben. Das könnte man einerseits als eine Art Bestätigung betrachten. Wir argumentierten, dass eine bestimmte Auffassung von der Freiheit eine gewisse Art und Weise voraussetze, wie man die Vernunft erlebt, und nun stellt sich heraus, dass Platon, der bezüglich der Freiheit dieser Auffassung war, auch die entsprechenden Ansichten über die Vernunft vertrat. Es ist ein wenig, als hätten wir eine Vorhersage gemacht, die sich jetzt bewahrheitet. Aber wir könnten es auch als eine Erklärung betrachten, die uns ein tieferes Verständnis Platons liefert. Wir können jetzt sehen, wie zwei scheinbar getrennte Teile seines Denkens zusammenpassen. Dass der Vernunft die Spitzenposition in der Hierarchie der Bestandteile des Menschen zugewiesen wird, steht nun im Zusammenhang mit der These, dass der Mensch nie frei ist, wenn er bewusst eine böse oder irrationale Tat begeht. Diese beiden Behauptungen können nun als Ausdruck ein und derselben grundlegenden Sichtweise betrachtet werden.
Um den springenden Punkt an der Sache noch zu betonen und zu erhärten, könnten wir ein einfaches Diagramm zu Hilfe nehmen. Der Kern der Argumentation war bis jetzt die These, dass man die Vernunft als sein wahrstes und intimstes Selbst erleben muss, wenn alle rationalen Handlungen frei sein sollen, und dass im Umkehrschluss alle anderen Elemente einer Person, wie etwa Wünsche, Körperliches oder Leidenschaften, als „fernstehend“ erlebt werden müssen, wenn alle durch sie ausgelösten Handlungen als erzwungen gelten sollen.
Wir können das mit zwei konzentrischen Kreisen darstellen (siehe Diagramm). Zunächst könnten wir einfach sagen, dass dies das Selbstbild, oder besser die Identifikation repräsentiert, die durch diese Auffassung von der Freiheit – von uns bis Platon zurückverfolgt – vorausgesetzt wird.
Ein drittes Konzept der Freiheit: Aristoteles
Aber es wartet noch ein drittes Konzept der Freiheit auf uns. Es hat etwas Schlichtes, Hausbackenes. Es besteht aus einem einfachen Stoff ohne schillernde Reflexe und ist für starke Beanspruchung gedacht. Wie die anderen beiden stellt es einen allgemeinen Typus dar, der in einer Vielzahl von Varianten auftritt, die die Umrisse dieses Prototyps bestimmen. Fundamental zieht es die Grenze zwischen dem Freien und dem Erzwungenen da, wo es auf plumpe Weise offensichtlich scheint: Man wird gezwungen, wenn buchstäblich außerhalb der eigenen Person stehende Kräfte eine Handlung veranlassen; man ist frei, wenn das nicht der Fall ist, wenn das, was man tut, von einem selbst kontrolliert oder veranlasst wird. Natürlich ist auch diese holzschnittartige Vorstellung von der Freiheit wieder unzählige Male anzutreffen. Wie ein Hackbeil durchtrennt sie die Gelenke von praktischen, alltäglichen Entscheidungen, ihre Grundzüge werden vor Gericht zur juristischen Beurteilung von Schuld und Unschuld herangezogen, und natürlich könnte man demzufolge ohne Ende literarische und philosophische Belege finden, die sich damit beschäftigen. Einer der ersten und aufschlussreichsten findet sich allerdings bei Aristoteles.
Aristoteles’
Definition
In seiner Nikomachischen Ethik, im zweiten Absatz des dritten Buches, definiert Aristoteles das „Erzwungene“ als „dasjenige, dessen bewegendes Prinzip außerhalb liegt und ein Prinzip ist, zu dem nichts von der Person, die handelt oder die Leidenschaft erlebt, beigetragen wird“. Und er wiederholt dies weitere zwei Absätze später: „Welche Handlungen wollen wir erzwungen nennen? Wir antworten, dass dies ohne Einschränkung Handlungen dann sind, wenn die Ursache in den äußeren Umständen liegt und der Handelnde nicht mitwirkt.“ Wir stehen, in anderen Worten, nur dann unter Zwang, wenn „das bewegende Prinzip“ einer Handlung sich physisch oder im wortwörtlichen Sinne außerhalb von uns befindet, und wir sind frei, wenn dieses bewegende Prinzip von uns selbst beigesteuert worden ist.8
Vergleich mit
den anderen
Konzepten
Vergleichen wir das mit den beiden anderen Auffassungen von der Freiheit. Für die erste ist die Freiheit einer Handlung bereits zunichte, wenn diese durch auch nur irgendetwas bedingt ist. Diese Auffassung stellt die höchsten Ansprüche, hinter die man deshalb auch am ehesten zurückfällt. Um wirklich zweckfrei zu sein, muss sich eine Handlung sozusagen aus heiterem Himmel materialisieren; schon bloße Rationalität disqualifiziert sie, und deshalb muss auch sie durchkreuzt werden. Das „platonische“ Konzept war einen Grad weniger extrem: Wenn ein Wunsch oder eine Leidenschaft oder irgendeine andere Kraft die eigenen Handlungen kontrollierte, dann war das „Tyrannei“. Nur die Vernunft war ausgenommen, und wir stellten fest, dass das nur möglich war, weil die Vernunft als das authentischste Selbst angesehen wurde. Unser drittes Beispiel, die „aristotelische“ Auffassung (ich verwende diese Bezeichnung nur der bequemen Einordnung halber; sie ist nicht die einzige Auffassung, die sich bei Aristoteles findet, genauso wenig wie die eben diskutierte immer von Platon vertreten wurde), ist noch einmal und gleich um einige Grade großzügiger. Laut ihrer Interpretation kann das „bewegende Prinzip“ einer Handlung nicht nur in der Vernunft liegen, sondern in allem, was dem Handelnden zuzurechnen ist, und solange dies der Fall ist, wird die Handlung immer noch frei sein. Sie ist so lange nicht „erzwungen“, wie das bewegende Prinzip im wörtlichen Sinne nicht außerhalb der Person des Handelnden liegt.
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