Die menschen- und naturverachtend betriebene Rohstoffausbeutung in fernen Ländern fällt auch auf uns zurück, am offensichtlichsten in einer tiefen Spaltung der Gesellschaft in Deutschland und annähernd ganz Europa. Wir leben Massenkonsum, säen Armut und Zerstörung und ernten Massenflucht.
Um eine fiktive Handlung vor dem Hintergrund einer realen Entwicklung und Situation vor allem im großen Kongo zum Leben zu erwecken, zog ich u.a. hervorragend recherchierte Fernsehdokumentationen wie „Kongos verfluchter Schatz – Das Geschäft mit dem Coltan“, „Im Schatten des Bösen – Der Krieg gegen Frauen im Kongo“ oder „Weißer König, roter Kautschuk, schwarzer Tod“, verschiedene Essays und insbesondere folgende zwei Bücher zu Rate: „Afrikanische Totenklage – Der Ausverkauf des Schwarzen Kontinents“ des weitgereisten Journalisten und Afrika-Experten Peter Scholl-Latour und „Moralischer Bankrott – Der amerikanische Offenbarungseid“ des investigativen US-Enthüllungsjournalisten Wayne Madsen.
Mir ging es von Anfang an darum, mehr als einen kurzweiligen Afrika-Thriller in Romanform zu erschaffen. Ich wollte einen Beitrag dazu leisten, dass sich verheerende Fakten und Auswirkungen rund um unsere ganze Lebensart in das kollektive Langzeitgedächtnis einbrennen. Dieses Werk soll dazu anregen, das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen und die Einstellung gegenüber dem komplexen afrikanischen Kontinent mit seinen 55 Ländern zu überdenken beziehungsweise die Wechselwirkungen in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Inwieweit mir das gelungen ist, überlasse ich gerne Ihrem Urteil.
Was versteht man unter Coltan? Genau genommen ist es ein gemeingültiger Wirtschaftsname, zusammengesetzt aus den Begriffen „Columbit“ und „Tantalit“. Die herausragende Bedeutung liegt jedoch nicht im Columbit-Tantalit-Erzgemisch als Ganzes, sondern einzig im Tantal. Dieses ist durch seine hohe Energiedichte und Säurebeständigkeit u.a. für die Herstellung von Mikroprozessoren, Mobiltelefonen oder Tablets so wertvoll. Durch den extrem hohen Schmelzpunkt ist Tantal darüber hinaus auch für die Herstellung von Weltraumkapseln und Raketen nahezu unverzichtbar.
Das dunkel-anthrazit bis schwarze bröckelige Mineralgemisch findet sich über Tage in Form feiner Stückchen, die sich insbesondere in Flussläufen schürfen lassen, oder unter Tage in Form von Erzadern, die durch Minen erschlossen und ausgebeutet werden.
Der Weltmarkt wird fast ausschließlich mit industriell nutzbarem Coltan aus der DR Kongo und Australien versorgt. Etwa 80 % der globalen Vorräte werden in Afrika, vor allem im Kongo vermutet. Statistisch wird Coltan aus dem östlichen Afrika auch gerne als aus Ruanda, Uganda oder Burundi stammend ausgewiesen. Tatsächlich aber stammt dieses ursprünglich meist aus ostkongolesischen Minen und findet von dort aus seinen verschleierten Weg in die nahen Nachbarstaaten.
Nun herrscht ja die landläufige Meinung, mehr als die Hälfte des angebotenen Erzgemisches stamme aus Australien. Ich erlaube mir, dem aus zwei einfachen Gründen zu widersprechen. Zum einen flaut der Coltan-Boom offiziell seit einiger Zeit ab, was gefallene Weltmarktpreise zu belegen scheinen. Zumindest Australien sieht seine Gewinnmargen bei gleichzeitig hohen Kosten für Personal, Ressourcen und Sicherheit schwinden. Schon in der Vergangenheit hatte es seine Fördermengen aus eben diesem Grund stark reduziert. In der DR Kongo hingegen fallen vergleichsweise lächerlich geringe Kosten an. Eine Mine bedeutet in den Provinzen Nord-Kivu, Süd-Kivu oder Ituri in der Regel nicht mehr als ein ungesichertes Loch in Boden und Fels, Hilfsmittel sind einzig die Hände. Selbst wer die Strapazen zu Beginn des Coltan-Booms ab dem Jahr 2000 – ähnlich dem Klondike-Goldrausch in Kanada Ende des 19. Jahrhunderts – noch freiwillig auf sich nahm, sah sich bald Terror, Zwangsarbeit und Verschuldung ausgesetzt. Der Begriff „Blutcoltan“ war geboren, welches selbst oder gerade einem Nachfragerückgang widersteht, zumal es nach wie vor den Weg in legale Kanäle findet.
Was versteht man unter Blutcoltan? Der Begriff ist im Grunde das Synonym für ein vielschichtiges Problem, denn der Coltan-Boom hat eine neue humanitäre Katastrophe im Osten des Kongo ausgelöst und immer weiter verschärft.
Einst galt der Kongo als Kornkammer Afrikas. Dieses Attribut sollte unwiederbringlich verloren sein, als Bauern ihre Felder brachliegen ließen, um in den Minen das schnelle Geld zu machen. Kinder gingen nicht mehr zur Schule, weil es auch sie in die Minen zog. Doch, als wäre das nicht schon fatal genug gewesen, entdeckten Rebellenbewegungen und Milizen aus Ruanda und Uganda das wertvolle Erzgemisch als lukrative Einnahmequelle zur Finanzierung von Waffen für ihren blutigen Kampf. Doch am verheerendsten wirkte sich wohl der Einmarsch der Armeen Ruandas und Ugandas im Jahr 2000 aus. Nach einem Bericht der Vereinten Nation soll alleine Ruanda in nur 18 Monaten geschätzte 250 Millionen Dollar verdient haben. Es gilt als erwiesen, dass sowohl Uganda als auch Ruanda Coltan in exorbitanten Mengen an sich gebracht, außer Landes geschafft und an Erzhandelsgesellschaften in Belgien verkauft haben. Sehr eindringlich berichtet Peter Scholl-Latour in seinem Buch „Afrikanische Totenklage“, wie sich die früheren Verbündeten Uganda und Ruanda selbst im viel weiter westlich gelegenen Kisangani blutige Schlachten geliefert und alles in Schutt und Asche gelegt hatten.
Massengräber vor der Stadt und kaum noch Geschäfte oder frische Lebensmittel – außer Diamantenankaufstellen – zeugten davon. Weiter beschreibt Scholl-Latour, wie die USA einst Laurent-Désiré Kabila als Staatspräsidenten nach Mobuto installiert hatten, um sich auch weiterhin Rohstoffkonzessionen zu sichern. Es kam jedoch zum Bruch, und die USA setzten nun verstärkt auf Uganda unter Staatspräsident Museveni und Ruanda unter Staatspräsident Kagame als Erfüllungsgehilfen im zentralen und östlichen Afrika, die ihrerseits eigene Verwaltungsgebiete im Osten des Kongo gründeten. Eine besonders spannende Randnotiz dabei ist, dass US-Außenministerin Madeleine Albright – im Namen der Clinton-Administration – eine deutlich größere Fördermenge an Coltan eingefordert haben soll, welche im Zuge des Konfliktes zwischen den Nachbarländern zurückgegangen war. Sie soll sogar mit Kürzungen der Militär- und Wirtschaftshilfen gedroht haben. Derweil fanden der kongolesische Staatspräsident Kabila und sein Volk keine nennenswerte Beachtung mehr.
Die sprichwörtliche Büchse der Pandora war im Kongo ein weiteres Mal geöffnet worden. In einem Bericht des UN-Generalsekretärs an den Vorsitzenden des Weltsicherheitsrates aus April 2001 heißt es, dass der Konflikt im Kongo auf Zugang, Kontrolle und Verkauf von Schlüsselmineralien wie Coltan zurückzuführen sei. Die Ausbeutung der natürlichen Reichtümer durch ausländische Armeen und kriminelle Kartelle sei in den besetzten Gebieten zur Verhaltensnorm geworden. Verzweigungen und Verbindungen würden in die ganze Welt reichen. Private Gesellschaften seien entscheidend mitverantwortlich für das menschenverachtende Chaos und die Instabilität im Kongo, denn sie würden die gewünschten Rohstoffe nur allzu gerne mit Waffenlieferungen bezahlen.
Seit dem Millenniumswechsel sind beinahe zwei Jahrzehnte vergangen, in denen sich mehrere Friedensmissionen der Vereinten Nationen die Klinke in die Hand gaben, jeweils als weltweit größter friedenssichernder Einsatz. Aktuell wirkt die MONUSCO – „Mission der Vereinten Nationen für die Stabilisierung in der Demokratischen Republik Kongo“ – mit bis zu zwanzigtausend Soldaten inklusive einer Brigade von etwa dreitausend Blauhelmen mit Kampfmandat in den östlichen Provinzen. Doch nicht nur, dass ungeachtet dessen immer wieder ethnische Konflikte ausbrechen, Städte überrannt und geplündert werden, unverändert illegale Minen florieren und ein ums andere Mal Tausende von Menschen auf der Flucht sind, nein, die Blauhelme unterliegen sogar selbst dem dringenden Verdacht, sich an illegalen Waffen- und Rohstoffgeschäften sowie Übergriffen auf die Bevölkerung bis hin zu Massenvergewaltigungen zu beteiligen. Auch sollen UN-Blauhelme immer wieder tatenlos zusehen, wenn die Zivilbevölkerung Angriffen ausgesetzt ist. Weder die reguläre kongolesische Armee FARDC mit ihrer schlechten Ausrüstung und Allgemeinversorgung, noch die UN-Blauhelme aus unzähligen zumeist ebenfalls instabilen Ländern der Erde zeigen sich imstande und willens, die Oberhand gegen eine Vielzahl von Gegnern wie die ruandischen FDLR- und M23-Rebellen oder die ugandische Rebellenmiliz ADF zu gewinnen. So überrannten im Jahr 2012 Rebellen der Gruppe M23 nahezu ungehindert die Provinzhauptstadt Goma am Kivu-See, und bis heute werden jeden Tag Dörfer überfallen, Menschen verschleppt und ermordet. Dabei gibt es immer wieder auch großangelegte Offensiven der MONUSCO-Einheiten, die letztlich jedoch als ein Sturm im Wasserglas enden, als Tropfen auf dem heißen Stein.
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