»Pal‘athor? Sind Sie in Ordnung?«
Er spürte, dass zwei Sorten Flüssigkeit seine Wangen hinabrannen. Die erste war das typisch arkonidische Tränensekret der Erregung, und die zweite war Blut. Er hatte eine Schnittwunde an der Stirn, durch die herumfliegenden Splitter des geplatzten Monitors.
»Gefechtsfähig!«, erklärte er knapp. »Machen Sie sich keine Sorgen, Orbton.«
Irakhem versuchte, sich zu beruhigen. Solange er im Kopf nicht klar war …
Den Luxus der Ruhe kannst du dir nicht leisten, Narr! Triff Entscheidungen! Du wirst damit leben müssen, dass du Fehler begehst!
Irakhem kniff die Lippen zusammen. Er versuchte, von nun an auf alles gefasst zu sein. Wenn sie Glück hatten, war mit Vere‘athor Tereagh der intelligenteste Gegner bereits tot.
Die Panoramagalerie zeigte Abschüsse und Opfer an. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte der Feind – denn nichts anderes war dieser Verband vom Stützpunkt BRY 24 – zwei Schiffe verloren. Von Irakhems Verband waren dagegen nur noch achtzig Schiffe übrig.
Er verstand mit einem Mal, warum Tereagh sich eine Chance ausgerechnet hatte. Es war eine furchtbare Erkenntnis. Der Mangel an Kommando-Offizieren wirkte sich mit einem brutalen Blutzoll aus.
Irakhem verzichtete dennoch darauf, die Beiboote auszuschleusen. Ihr Einsatz stellte ein potentielles Opfer dar, das er als unnötig ansah; er war sicher, dass sie es noch schaffen würden.
Eine Raumschlacht war ein seltsames, schwer zu durchschauendes Ereignis. Zwei Schiffe gegeneinander antreten zu lassen erforderte bereits Fingerspitzengefühl. Die physikalischen Werte der Ortung in eine konkrete Vorstellung umzusetzen war eine Sache des Abstraktionsvermögens.
Drei Schiffe erforderten das Neunfache, vier Schiffe bereits das Sechzehnfache an Konzentration. So lehrte es die Galaktonautische Akademie – und Irakhem hielt diese Werte für eher untertrieben.
Neunzig Schiffe gegen zwanzig schien auf den ersten Blick ein leichtes Unterfangen zu sein. Aber das war es nicht. Pyrius Bit hatte einen Eliteverband geschickt.
Die Schlacht dauerte zehn Minuten, und am Ende hatte Irakhem zwanzig unersetzliche Einheiten verloren. Von den Raumern der Gegenseite war nichts mehr übrig.
Die TRAVERSANS EHRE ging leicht beschädigt auf dem Raumhafen von Erican nieder. Irakhem betrachtete die Hülle aus beschussverdichtetem Arkonstahl, die ein Dutzend frische Narben davongetragen hatte.
In einem offenen Gleiter wartete am Rand des Landefeldes eine hochgewachsene Gestalt. Nert Kuriol trug seine blauschwarze, mit Protectorschalen verstärkte Raumrüstung.
»Irakhem! Ich beglückwünsche Sie!«, hörte er die sonore Stimme des Nert. »Ihr erster Sieg als Flottenführer!«
Irakhem kam mit hängenden Schultern heran.
»Ihr wisst genau, Nert, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Ich habe zwanzig Verluste erlitten.«
Kuriol sagte hart:
»Niemand konnte es anders erwarten. Enttäuschen Sie mich nicht durch unrealistische Erwartungen. Ich erinnere mich, als ich selbst jung war … Sie sind ein junger Heißsporn, Irakhem. Risikofreudig, fachlich kompetent, jedoch zwangsläufig nicht mit der taktischen und strategischen Erfahrung eines altgedienten Kommandanten ausgestattet.«
Die beiden Männer schwiegen eine Weile. Leka-Disken donnerten über sie hinweg; Mannschaftstransporter und Reparaturpersonal wurden zu den gelandeten Einheiten gebracht.
»Was ich nicht verstehe, Nert Kuriol: Was hat Pyrius Bit bewogen, uns nur zwölf Schiffe zu schicken? Musste er nicht wissen, dass wir dieses Scharmützel gewinnen würden?«
»Zweifellos, Pal‘athor … Dem Sonnenkur bedeuten zwölf verlorene Schiffe nichts. Er kann sie verschmerzen. Bit hat die Mannschaften in den Tod geschickt, um vor dem Imperator eine umso bessere Legitimation zu besitzen. Nun muss er Traversan vernichten, er hat gar keine andere Wahl. Wenn es nachher noch Überlebende gibt, die auf dem Gerichtsplaneten Celkar Klage erheben könnten, dann haben sie ab jetzt keine Aussichten mehr auf juristischen Erfolg.«
Wieder herrschte eine Weile Schweigen. Irakhem dachte an die Besatzungen der zwanzig verlorenen Schiffe.
»Die zweite Welle wird bald folgen«, sagte er tonlos.
»Ja, Pal‘athor.«
»Dann werden sie uns vernichten.«
»Zweifellos.«
Nert Kuriol da Traversan blinzelte in die tiefstehende Sonne. Seine schulterlange, wallende Mähne wurde von einem Windstoß aufgewirbelt.
»Ich bin alt. Es ist ohne Belang. Aber vielleicht finden wir noch eine Möglichkeit, wie wir unsere jungen Leute retten können.«
»Ich kann nur …«
»Warten Sie, Pal‘athor!«
Ein durchdringendes Geräusch drang aus Kuriols Cape. Der Fürst zog einen Interkom mit handtellergroßem Display hervor.
»Kuriol«, meldete er sich ungehalten. »Was gibt es?«
Irakhem konnte über Kuriols Schulter das verwirrte Gesicht eines Adjutanten erkennen. »Erhabener, ich habe eine seltsame Ortung zu melden! Wir fangen aus der Yssods-Wüste Signale auf, die für unsere Spezialisten nicht zu deuten sind!«
Kuriols Kopf ruckte herum.
Irakhem fühlte sich von den tiefroten Augen des alten Nert fixiert.
»Kann es sein, dass einem Schiff des Gegners die Landung gelungen ist?«
»O nein!«, entgegnete Irakhem im Brustton der Überzeugung. »Ausgeschlossen. Was immer da los ist, es hat mit unserem Gefecht nichts zu tun!«
Der alte Nert dachte eine Weile konzentriert nach. Irakhem vermutete, dass er mit seinem Extrasinn stumme Zwiesprache hielt. Dann kündigte Kuriol an:
»Ich werde Prinzessin Tamarena schicken. Das Phänomen muss untersucht werden.«
»Ist das nicht zu …«
Irakhem unterbrach sich mitten im Satz.
»Zu gefährlich?«, wollte Kuriol wissen. »Sie enttäuschen mich, Irakhem. Tamarena kann besser auf sich aufpassen als wir alle.«
Gegenwart 2. August 1290 NGZ
Mein Blick ruhte auf der Frau, die vor dem Altar zusammengebrochen war. Cinthia schien zu sterben.
Unternimm etwas, Narr!
Ich versuchte, meine Hände zu bewegen. Doch die Lähmung reichte bis in die Fingerspitzen. Dasselbe mit den Füßen, den Nackenmuskeln, nicht einmal die Lippen konnte ich öffnen.
Es war keine typische Paralyse; ansonsten wäre ich zusammengebrochen und hätte möglicherweise das Bewusstsein verloren. Ich vermutete einen unbekannten Einfluss, der auf normale Menschen so wirkte wie auf Cinthia. Für mich sah die Sache anders aus, ich war ein Unsterblicher.
Mein Zellaktivator pochte so stark, dass ich glaubte, die Ströme von Vitalenergie wie dicke Taue fassen zu können. Ohne den Chip in meiner Schulter, so machte ich mir klar, wäre ich innerhalb weniger Sekunden gestorben.
Aus den Augenwinkeln erblickte ich plötzlich eine Gestalt. Ein Arkonide in einem grünen Mantel näherte sich im Zeitlupentempo. Es war Fürst Ligatem! Im ersten Augenblick dachte ich noch, Ligatem wolle mich vom Altar ziehen.
Verschwinde! Du schaffst es nicht!, versuchte ich zu rufen. Aber kein Wort kam über meine Lippen.
Dann bemerkte ich, dass der Blick des Fürsten in eine andere Richtung ging. Ligatem schaffte ein paar Meter. Dann sanken seine Arme hinab. Seine Hände öffneten sich, und er ging in die Hocke.
Als er wieder hochkam, hatte er die Archäologin im Griff. Der Fürst versuchte, die Frau wegzuschleppen. Meter für Meter kämpfte er sich vorwärts – während ich nur untätig zusehen konnte.
Ich bewunderte seine Willenskraft. Ligatem gab nicht auf, auch nicht, als er für Sekunden scheinbar entkräftet zu Boden ging. Die Zeitlupen-Flucht lief zunehmend zügiger ab. Mit jedem Meter Entfernung zum Altar gewann Ligatem an Tempo.
Zum Schluss hob er Cinthia auf seine Schultern. Er trug sie wankend, aber rasch davon.
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