1 ...8 9 10 12 13 14 ...21 „Wo sind wir?“, murmelte ich und erschauderte, als ich hörte, wie rau meine Stimme klang. Plötzlich wurde mir der Gegenstand wieder aus der Haut gezogen und ich zuckte zusammen.
Eine Frau erschien. Sie hatte lockiges, rotes Haar und funkelnd rote Augen.
Rote Augen.
Ein seltsames Lächeln erschien auf ihren schmalen Lippen, als sie sich vorstellte. „Ich bin Amber Notker. Das, was du gerade gespürt hast, war ein kleiner Chip, den ich dir oberhalb deiner rechten Schulter eingepflanzt habe. Damit wirst du überall registriert.“
Ich zog die Brauen zusammen. „Warum registriert?“
Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. „Das wird dir alles erklärt, wenn du erst einmal da bist.“
„Wo bin?“, hakte ich nach und sah Luan hilfesuchend an, doch er wich meinem Blick aus und drückte die Schultern durch.
Erst jetzt nahm ich meine Umgebung wirklich wahr. Ich lag auf einem wackeligen Stellbett, das an den Beinen befestigt war. Die Wände waren auch keine Wände, sondern ein mittelgroßer Kleinbus, in dem haufenweise medizinische Utensilien rumstanden. Luan saß auf einem Klappstuhl neben meinem Bett und erhob sich, als Amber Notker uns verließ und durch eine winzige Tür in den Fahrerraum glitt. Der Bus wackelte bedächtig und ich musste mich an der dünnen Matratze festkrallen, um nicht gegen Luan zu rutschen.
Mit finsterer Miene starrte er auf mich hinab und ich fühlte mich entblößt. Unwohl zog ich mir die Decke bis unters Kinn und starrte zurück, bis er leise fluchte und sich wieder hinsetzte.
„Wo sind wir?“, fragte ich abermals und jetzt klang meine Stimme schrill vor Angst. Luan stützte sich mit den Ellenbogen auf seinen Oberschenkeln ab und musterte mich aus schmalen Augen. „Auf dem Weg zum Lager.“
Nackte Verzweiflung kroch mir den Rücken hinauf, bis sich meine Nackenhaare aufstellten. „Lager?“, wiederholte ich.
„Ein Ort, an dem du dich zum ersten Mal in deinem Leben wahrhaftig sehen kannst“, sagte er mit rauer Stimme.
Meine Brust wurde eng. „Was soll das denn heißen?“
„Bitte, Nell“, meinte Luan und wirkte auf einmal erschöpft. „Tu einfach, was man dir sagt, und stell keine Fragen. Je weniger du weißt, desto besser stehen die Chancen, dass du überlebst.“ Seine Worte trafen mich wie ein Schlag in die Magengrube.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, der die gesamte Fahrt über immer dicker wurde. Als der Wagen endlich langsamer wurde und schließlich anhielt, packte mich das Grauen erneut.
Amber Notker erschien wieder und reichte mir eine Cremedose.
„Schmiere dich damit ein, so gut es geht. Die Creme schützt deine Haut vor den feinen Lasern, die dich registrieren, sobald du das erste Abteil betrittst“, wies sie an und verschwand wieder.
Unsicher folgte ich ihrer Anweisung und bedeckte meine Haut mit der kalten Masse. Dann wurde ruckartig die Schiebetür des Busses aufgeschoben und ein breitschultriger Mann erschien.
Ich ging davon aus, dass er der Fahrer war. Der Mann reichte mir eine Hand und sah mich auffordernd an. Ich warf Luan einen kurzen Blick über die Schulter zu, er nickte stumm. Zögernd nahm ich die Hand des Fremden und stieg aus dem Bus. Luan folgte dicht hinter mir.
Vor mir tat sich eine riesige Anlage auf. Hohe Stahlbalken umschlossen ein quadratisches Gebäude. Die Wände waren schlicht weiß mit einem Stich ins Grau, weshalb es in der kargen Landschaft kaum auffiel. Der Block hatte keine Fenster, nur eine breite Tür, ebenfalls aus massivem Stahl, ermöglichte einen Zugang. Unruhig trat ich von einem Fuß auf den anderen.
„Willkommen im ersten Abteil!“, flötete Amber Notker und machte eine einfache Handbewegung, woraufhin sich der Fahrer zurückzog. Der Kloß in meinem Hals war inzwischen so sehr angeschwollen, dass ich kaum noch Luft bekam.
Die Rothaarige setzte sich in Bewegung und Luan legte mir eine Hand auf die Schulter, um mir zu signalisieren, dass ich ihr folgen sollte. Sobald wir vor dem ersten Stahlbalken zum Stehen kamen, beugte sich Amber Notker über eine Sprechanlage und kommunizierte leise mit einer Männerstimme. Dann tippte sie eine Zahlenabfolge in ein Tastenfeld ein und ein leises Klicken war zu hören. Der Balken schob sich zur Seite und wir betraten eine weitere, offene Fläche. Der weiße Klotz wurde immer größer, je näher wir kamen, und als wir die Stahltür erreicht hatten, vollzog sich der gleiche Ablauf wie vor dem Balken. Die Tore wurden automatisch geöffnet und gaben den Blick auf einen riesigen Innenhof frei. Bevor ich die neue Umgebung überhaupt wahrgenommen hatte, eilten zwei Männer herbei und griffen nach meinen Oberarmen.
Luan stellte sich schützend vor mich. „Das ist nicht nötig“, knurrte er bestimmt. Doch keiner der Männer machte irgendwelche Anzeichen, mich loszulassen. Luan richtete sich zu seiner vollen Größe auf und seine Züge verhärteten sich.
„Jungs, Jungs“, mischte sich Amber Notker kopfschüttelnd ein. „Hört auf mit dem Unsinn und lasst sie los.“ Mit einem künstlichen Lächeln in meine Richtung fügte sie hinzu: „Mademoiselle kann sowieso keinen Schaden anrichten.“
Ich verkniff mir ein empörtes Schnauben, weil ich viel zu viel Angst vor allem hier hatte. Und das lag nicht nur an dieser Notker, sondern auch an Luan.
Ihn schien das alles hier größtenteils kalt zu lassen, was hieß, dass er wahrscheinlich wusste, wo wir waren, wusste, was sie hier mit mir vorhatten.
Es traf mich wie ein Schuss in die Brust. Seit ich den Wagen meiner Eltern gesehen hatte, war ich misstrauisch gewesen, hatte aber versucht, mir nichts Schlimmes einzureden. Ich wollte nicht glauben, dass Luan uns verraten hatte. Doch das hatte er. Und verdammt noch mal, ich kannte ihn nicht mal achtundvierzig Stunden. Oder doch?
„Welchen Tag haben wir?“, fragte ich mit belegter Stimme.
Amber Notkers Lächeln wurde breiter – und künstlicher. „Es ist der zweite Morgen nach deinem fünfzehnten Geburtstag.“
Ich konnte sie einen Moment lang nur anstarren, dann wurde mir so kalt, dass mein Körper zu vibrieren begann. „Woher wissen Sie, wann ich Geburtstag habe?“ Meine Stimme klang schrill.
Sie seufzte. „Ach Schätzchen, wir wissen so gut wie alles über dich.“ Sie beugte sich zu mir hinab und ihre roten Augen fixierten mich. „Und das, was wir noch nicht wissen, werden wir in den nächsten Tagen herausfinden.“
Mein letzter Funke Hoffnung verschwand nun endgültig und ich sackte innerlich zusammen. Die beiden Männer ließen mich los, blieben aber dicht neben mir und trieben mich voran.
Ein breiter Tunnel tat sich vor uns auf, der sich mehrfach teilte und in unterschiedliche Richtungen führte. Der rote Lockenkopf vor mir schien ein bestimmtes Ziel zu haben, denn er bewegte sich schnell und gekonnt durch die Flure. Schließlich hielt Amber Notker vor einer breiten Flügeltür an und drehte sich zu uns um. „Hier beginnt offiziell Abteil 1“, erklärte sie in Plauderstimme. „Aber hinter diese Tür wirst du leider erst morgen einen Blick werfen können.“
Wie schade.
Sie hob den Zeigefinger. „Jetzt wird dir erst einmal dein Zimmer gezeigt. Wir haben es extra schön eingerichtet, hoffentlich gefällt es dir.“ Sie nickte Luan auffordernd zu und öffnete eine der Flügeltüren so weit, dass sie gerade so hindurchpasste. Auf einem breiten Schild an der Wand stand in einfachen Buchstaben Abteil 1 – Säuberung.
Säuberung? Was zum Teufel sollte das heißen? Ich spürte einen leichten Schauder auf dem Rücken, als sich Luan an mir vorbeischob und hinter Amber Notker verschwand, ohne mir einen weiteren Blick zuzuwerfen.
Sobald die beiden verschwunden waren, ergriff der rechte Mann erneut meine Schulter und zog mich mit sich. Der andere verschwand in einer der vielen Türen. Unruhig sah ich zu meinem Begleiter auf. „Können Sie mir wenigstens sagen, was ihr von mir wollt?“
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