Ihre Köpfe erinnerten an verschiedene Meeresbewohner, überwiegend Haie. Ich sah aber auch Wesen mit Fangarmen, wie die eines Kraken. Oder welche, die über lange Stachelschwänze verfügten. Äußerlich unterschieden sie sich völlig, aber eines hatten sie alle gemein – es waren blutrünstige Bestien.
Jeder, der sich wehrte, wurde unerbittlich getötet, zerfleischt und zum Teil auch gefressen. Die anderen, die meisten von ihnen waren Frauen und Kinder, und ein paar Stammeskrieger wurden auf dem Dorfplatz zusammengetrieben. Dort erwartete sie ein Wesen, das die Fischköpfigen völlig in den Schatten stellte. Anderthalbmal so groß wie Geralt, kohlrabenschwarze Haut, muskelbepackt, eisige graue Augen, lange schneeweiße Haare und riesige schwarze Flügel. Er begutachtete jeden einzelnen Dorfbewohner, und bis auf drei wurden alle anderen fortgebracht.
Die Ahnen brachen dort die Verbindung zu mir ab, und ich wurde wohl bewusstlos. Als ich erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel, und ich war nicht mehr auf Ruls. Ich brauchte eine Weile, um herauszufinden, dass ich mich auf einer Nachbarinsel befand. Und bis heute ist mir schleierhaft, wie ich dorthin gelangen konnte. Aber da meine Heimatinsel nicht allzu weit entfernt war, baute ich mir ein schlichtes Floß und setzte über. Abgesehen von Kampfspuren und trockenem Blut fand ich nichts.
Fast einen Mond lang irrte ich über die Insel, in der Hoffnung, noch jemanden aus meinem Volk zu finden, aber ich war allein. Letztlich führte ich Totenrituale durch, auch wenn es an Leichen fehlte, und baute mir ein besseres Floß. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, wieso ich dies tat. Wo sollte ich auch hin? Trotzdem sammelte ich einiges an Vorräten, füllte etliche Wasserbeutel und verstaute alles auf dem Floß. Ich tat diese Dinge wie in Trance, und heute denke ich, es waren die Ahnen, die mein Tun lenkten. Wie dem auch sei, in meiner letzten Nacht auf der Insel erwachte ich am Fuße des Feuerberges. Wieder einmal hatte ich keine Ahnung, wie ich dort hingekommen war, was mir in dem Moment auch zweitrangig erschien. Denn der Erdboden bebte, und der Berg spie plötzlich Rauch und flüssiges Feuer. Und mit den Feuerströmen kamen dann auch die Feuerfresser.“
„Feuerfresser? Was soll das sein?“
„Dazu komme ich gleich“, sagte Mo, wobei er ziemlich genervt klang.
Da Respa ausnahmsweise nichts dazu sagte, erzählte er weiter.
„Im Berg gab es einige tiefe Spalten und ein paar Höhlen, aus denen etliche dieser furchteinflößenden Kreaturen kamen. Starr vor Angst beobachtete ich, wie sie in den Magmaströmen badeten und die glühende Schlacke soffen. Und zu spät bemerkte ich das Ross, das wenige Schritte hinter mir stand.“
„Ross?“
Mo ignorierte die Frage.
„Ich spürte seinen kochend heißen Atem im Nacken und fuhr erschrocken herum, woraufhin sich das Magmaross direkt aufbäumte. Seine unglaubliche Hitze trieb mich zurück, aber es sprang mir sofort hinterher, und seine flammende Mähne streifte meine Schulter.“
Mo schob sein Hemd ein wenig zur Seite, um Respa die Brandnarben zu zeigen, die Schulter und Oberarm verunstalteten.
„Ich ging zu Boden und beobachtete entsetzt, wie es mit seinen Vorderbeinen aufstampfte. Ich konnte armdicke Muskelstränge sehen, die unter der schwarz-roten Haut hervortraten, und blickte nach oben in seine glimmenden Augen. Diese beobachteten mich tückisch, während ich auf dem Hintern von ihm wegrutschte. Ich schloss bereits mit meinem Leben ab. Aber es kam anders.
In mir regte sich etwas, und es fühlte sich an, als ob ich innerlich zerrissen würde. Ich weiß noch, dass ich den Mund aufriss, allerdings war es kein Schrei, den ich von mir gab. Die Ahnen des Wassers quollen aus mir heraus und sprangen sofort das Magmaross an. Dieses wieherte und schrie gequält, seine Haut dampfte, und als es ein paar Wasserelementaren gelang, in sein Maul einzudringen, wurde es stetig kleiner.“
„Es schrumpfte?“
„Ja, und nicht nur das. Es wurde zu einer kleinen Figur aus Lavastein, und nachdem dies geschehen war, kamen die Ahnen zu mir zurück. Sie waren sichtlich geschwächt und besaßen gerade einmal ein Zehntel ihrer vorherigen Größe. Doch darüber konnte ich mir keine weiteren Gedanken machen, denn der Berg bebte so heftig, dass ein Teil des Kraters einbrach. Mit einem ohrenbetäubenden Knall wurden unvorstellbare Massen an Lava und glühenden Gesteinsbrocken gen Himmel katapultiert.
Dies rüttelte mich aus meinem Schockzustand. Ich schnappte mir die Figur und rannte los. Wie oft ich wegen der bebenden Erde stürzte, vermag ich heute nicht mehr zu sagen, aber ich schaffte es irgendwie zum Strand.
Völlig erschöpft und zerschunden zerrte ich mein Floß ins Wasser und ruderte einige hundert Meter aufs offene Meer hinaus. Und von dort beobachtete ich, wie meine Heimat vom Feuer verschlungen wurde. Irgendwann schlief ich ein, und die Ahnen zeigten mir Visionen von der Zukunft. Ich sah eine Insel vor meinem geistigen Auge und eine junge Frau, der ich eines Tages zur Seite stehen sollte.“
Als er dies sagte, blickte er Respa vielsagend an.
„Hast du die Figur des Feuerwesens noch?“
„Ich hätte von dir so ziemlich jede Frage erwartet nach dem, was ich dir soeben erzählt habe, aber gewiss nicht diese. Um sie dir zu beantworten: Dies war auch Meleas erste Frage, nachdem ich Geralt, Rion und ihr meine Geschichte erzählt hatte. Und da sie völlig von dem Magmaross fasziniert schien, schenkte ich ihr die Figur. Aber nicht nur deswegen. Die Feuerahnen ließen mich damals schon wissen, wem sie diese Figur zugedacht hatten.“
„Nicht das einzige Geschenk, das du ihr heute gemacht hast, nicht wahr?“
„Wieso fragst du?“
„Ich sah in einer meiner Vision einen Meerstein, den sie um den Hals trug. Und ich fragte mich, von wem sie diesen wohl erhalten hat.“
„Der Stein wird sie schützen.“
„Ja, das wird er. Allerdings ist es fraglich, ob die Magie des Steins ausreicht, um sie vor dem Dunklen und dessen Vater zu beschützen. Gibt es noch etwas, was du ihr gegeben hast?“
„Nein. Von mir erhielt sie nur diese beiden Dinge. Aber als sie zu mir kam, hatte sie eine Meeresschnecke dabei, und sie trug einen neuen Armreif.“
Mo seufzte leise und schüttelte den Kopf.
„Was?“, hakte Respa nach.
„Sie hat heute unglaublich viel erlebt, und ich frage mich, wieso ausgerechnet alles auf einmal geschehen musste. Ich meine, sie war schon völlig fertig, als sie bei mir ankam.“
„Sie hat sich dir anvertraut?“
„Ja, Melea kommt oft zu mir, wenn ihr etwas auf der Seele liegt. Aber heute überschlugen sich die Ereignisse, und anstatt sie zu beruhigen, musste ich auch noch Öl ins Feuer gießen.“
„Was hat sie dir denn erzählt?“
„Von ihrer ersten Begegnung mit dem Hai und der Meeresschnecke, die sie kurz zuvor fand. Dann von einem kostbaren Geschenk, das Geralt ihr gemacht hat, und von der Prügelei zwischen ihm und ihrem Vater.
Tja, und als sie mir von dem Hai berichtete, war für mich klar, dass es begonnen hatte. Die erste Gabe hat sich gezeigt. Es ist nun an uns ihr zu helfen, damit umzugehen.“
„Was bezweckte Geralt mit dem Geschenk? Sag jetzt bloß nicht, der Schwerenöter hat ihr einen Antrag gemacht.“
Mo musste unwillkürlich lächeln, weil Respa mehr entsetzt als ärgerlich klang.
„Er machte ihr keinen Antrag. Aber ich denke, es läuft darauf hinaus. Ich gehe davon aus, dass Rion davon ebenso wenig angetan sein wird wie du.“
„Deswegen die Schlägerei?“
„Lea wusste nicht, warum sich die beiden gestritten haben. Und keiner der beiden hat sich bis jetzt dazu geäußert.“
„Oh je, das kann ja noch heiter werden.“
Er nickte und wich etwas zurück, als die Alte ihn plötzlich anfunkelte.
„So! Und jetzt erzählst du mir, wie Melea an einen deiner seltsamen Feuergeister kam.“
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