Allerdings lohnt sich dieser Weg wie kaum ein anderer. Wer sich die Zeit nimmt und wer sich immer wieder neu auf den individuellen Prozess seines Gegenübers einlässt, erfährt die zutiefst erfüllende Verbindung mit diesem Menschen. Die GfK ermöglicht eine authentische, vertraute und produktive Ebene im Gespräch. Und das sowohl für unser Gegenüber als auch für uns selbst als Anwenderinnen und Anwender der GfK.
Ich wünsche diesem Buch viele Leserinnen und Leser, denn es ist reich an Erkenntnissen, intensiv in der praktischen Anwendung und potent für die individuelle Entwicklung. Und nicht nur für professionelle Betreuende und Pflegekräfte: Jeder von uns, der mit dem Thema Tod und Sterben anderer Menschen in Berührung gekommen ist oder kommen kann, wird von diesem Buch profitieren. Und so schwer dieses Thema auch klingen mag, so dankbar kann man sein, wenn man gerade in dieser Zeit von einem Menschen begleitet wird, der auf diese wunderbare Art empathisch zuhören kann, wie es die GfK beschreibt. Egal ob mit oder ohne Stofftiergiraffe auf dem Kopf.
Dr. phil. Dipl.-Psych. Tobias AltmannAkademischer Rat an der Universität Duisburg-Essen |
Essen, im Frühling 2021 |
Geleitwort von Kirsten Fehrs
Im Angesicht des Todes die richtigen Worte finden, das passende Schweigen, die hilfreichen Gesten – seit Beginn aller Kultur bemühen sich Menschen darum. Sind doch der Tod des Anderen und das eigene Sterben die unmittelbarsten und tiefsten Leid- und Ohnmachtserfahrungen, die das Leben bereithält. Die ältesten kulturellen Zeugnisse der Menschheitsgeschichte erzählen davon, wie Menschen Abschieds- und Sterberituale und eine ganze Bestattungskultur entwickelt haben, damit sie der Ohnmacht und der grundsätzlichen Infragestellung durch den Tod begegnen können. Er braucht eine Antwort; Tod und Sterben erzwingen Kommunikation. Nicht zuletzt deswegen gibt es Religionen und spirituelle Praxis.
Aber welche Art von Kommunikation ist hilfreich? Damit beschäftigt sich dieses Buch. Klaus-Dieter Neander geht der Frage nach, welchen Beitrag das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation für die letzte Phase des Lebens leisten kann. Sie führt ja auf besondere Weise an Grenzen. Die Selbstwirksamkeit des pflegebedürftigen, schwerkranken oder sterbenden Menschen ist auf existentielle Weise in Frage gestellt. Und umgekehrt werden die Herausforderungen für pflegende, begleitende und mitempfindende Menschen nicht selten zu schwer. Solche Grenzsituationen mit ihren emotionalen Überforderungen können zum Einfallstor für Gewalt werden. Dieses Buch macht darauf aufmerksam und bietet wichtige Hilfestellungen.
Pflege geschieht in ungleichen Beziehungen, Palliativpflege ganz besonders. Ob ambulant oder stationär, ob im familiären oder im beruflichen Kontext: Immer gibt es den einen Menschen, der so stark eingeschränkt ist, dass er auf Unterstützung angewiesen ist. Und es gibt den anderen Menschen, hinreichend leistungsfähig, der diese Unterstützung gibt. So entsteht ein Machtgefälle, das schlicht unauflösbar ist. Umso wichtiger ist es, mit diesem Ungleichgewicht aufmerksam und verantwortlich umzugehen. Gerade das selbstbestimmte Sterben, das immer mehr Menschen sich für ihre letzte Lebensphase wünschen, ist auf sensible, achtsame, respektvolle Begleitung angewiesen. Es braucht eine Kommunikation, die jede Form von Übermacht oder Gewalt vermeidet. Dazu kann das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation von Marshall B. Rosenberg eine wichtige Hilfe sein.
Aber auch Schwächere üben Macht aus, und gerade pflegende Angehörige wissen von hoch belastenden Erfahrungen zu berichten. Manche Pflegebedürftige oder Sterbende, körperlich geschwächt und in besonderer Schutzposition, nutzen die Gelegenheit, auf subtile oder weniger subtile Weise zu verletzen, unter Druck zu setzen und die Pflege und Begleitung zur Qual zu machen. Im schlimmsten Fall entstehen Gewaltspiralen, aus denen erst der Tod erlöst. Auch hierfür bietet dieses Buch nützliche Analyseinstrumente und gute Hinweise, wie bewusst reflektierte und eingeübte Kommunikation aus dem Dilemma hilft und der letzten Lebensphase ihre Würde lässt.
Die letzte Lebensphase hat ihre Herausforderungen, sie ist aber für viele Menschen zugleich eine Zeit besonderer Intensität. Rückblick und Lebensbilanz mit all den er-innerten, also neu aktualisierten Lebenserfahrungen prägen diese Zeit ebenso wie die ganz besondere und oftmals so rührende Dankbarkeit für die kleinen Dinge, für Begegnung und Beziehung, für das Leben an sich. Gewaltfreie Kommunikation schafft Raum für diese Tiefe – und sie hilft, den besonderen Schatz dieses Lebensabschnittes miteinander zu teilen. Dank an Klaus-Dieter Neander, dass er darauf so fachkundig aufmerksam macht.
Kirsten Fehrs
Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck (Nordkirche)
Dieses Buch widme ich I., die mich über viele Jahre intensiv begleitet und durch Höhen und Tiefen mit mir gegangen ist, zu einer Zeit, als ich – wie ich heute weiß – weit davon entfernt war, Gefühle und Bedürfnisse benennen zu können. Das Privileg, von ihr begleitet worden zu sein, macht mich auch heute noch sehr glücklich und unendlich dankbar.
Mein Lebenspartner Erik hat mich auf das Konzept der »Gewaltfreien Kommunikation« aufmerksam gemacht und damit hat er unsere Beziehung »gerettet« – ohne ihn wäre die intensive Auseinandersetzung mit GfK nie erfolgt. Anja Kenzler bin ich sehr dankbar und verbunden, hat sie mich doch in ihrer fröhlichen und intensiven Seminararbeit mit der Tiefe und Weite der »Sprache des Herzens« vertraut gemacht. Und ich bin den Menschen, die ich in meiner Berufspraxis kennenlernen durfte, dankbar, haben sie mir doch gezeigt, dass die »Gewaltfreie Kommunikation« möglich ist, aber auch Grenzen erfahren muss. Alle Beispiele, die auf realen Gesprächen basieren, wurden dahingehend verändert, dass eine vollständige Anonymität der Personen gewährleistet ist.
Die Uhr 1
Ich trage, wo ich gehe,
Stets eine Uhr bei mir;
Wieviel es geschlagen habe,
Genau seh’ ich’s an ihr.
Es ist ein großer Meister,
Der künstlich ihr Werk gefügt,
Wenngleich ihr Gang nicht immer
Dem törichten Wunsche genügt.
Ich wollte, sie wär’ oft rascher
Gegangen an manchem Tag:
Ich wollt’ an manchem Tage,
Sie hemmte den raschen Schlag.
In meinen Leiden und Freuden,
Im Sturme und in Ruh, –
Was immer geschah im Leben,
Sie pochte den Takt dazu.
Sie schlug am Sarge des Vaters,
Sie schlug an des Freundes Bahr’,
Sie schlug am Morgen der Liebe,
Sie schlug am Traualtar.
Sie schlug an der Wiege des Kindes, –
Sie schlägt, will’s Gott! noch oft,
Wenn bessere Tage kommen,
Wie meine Seel es hofft.
Und ward sie manchmal träger,
Und drohte zu stocken ihr Lauf,
So zog sie der Meister mir immer
Großmütig wieder auf.
Doch stände sie einmal stille,
Dann wär’s um sie geschehn,
Kein and’rer, als der sie fügte,
Bringt die zerstörte zum Gehn!
Dann müßt’ ich zum Meister wandern,
Und ach, der wohnt gar weit,
Wohnt draußen, jenseits der Erde,
Wohnt dort in der Ewigkeit.
Dann gäb’ ich sie dankbar zurücke,
Dann würd’ ich kindlich flehn:
[»]Sieh’, Herr, – ich hab’ nichts verdorben,
Sie blieb von selber stehn.«
Text: Johann Gabriel Seidl
Musik: Carl Loewe
1 Johann Gabriel Seidl (1830): Die Uhr. In: Northeimer Datenbank Deutsches Gedicht ( https://nddg.de/gedicht/7650-Die+Uhr-Seidl.html, Zugriff am: 23.08.2021)
Das Lied von der Uhr hat mich schon in Kindertagen fasziniert – ich verstand die Metapher wohl schon recht früh und war in der Lage, das Gedicht zu rezitieren, bevor ich andere zusammenhängende Sätze formulieren konnte. Die Uhr als Metapher des Lebens.
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