Ich werde dir meine Geschichte und meine Vorgehensweise mit auf den Weg geben. In der Hoffnung, dass auch du den richtigen Weg einschlagen wirst und eines Tages deine Geschichte und deine weiterentwickelten Methoden dafür sorgen, dass der Mensch es nie wieder wagt, seinen Narzissmus über die logischen Rechte eines jeden Menschen zu stellen.
Zur Vereinfachung habe ich alles in Sequenzen unterteilt.
Du magst vielleicht nicht über die angeborene Gabe des Multithinkings verfügen oder die emotionale Intelligenz besitzen, die dir deinen Weg vereinfacht. Doch ich glaube, mit deinem Willen und deinem guten Herzen findest du einen Weg, diese Welt zu beeinflussen.
Viel Glück, Oni der nächsten Generation.
Übertragung beendet.

Sequenz 1: Die Welt, die wir uns schufen
Mein Handywecker klingelt. 11 Uhr morgens, bei meinem Lebensstil wohl nichts Besonderes. Der Handywecker zeigt den 13. April 2238. Die Sonne scheint in meine, schon etwas ältere, sehr grau gehaltene Wohnung. Trist und für eine Renovierung bereit. Löcher in den Wänden und die Dämmung war so gut wie nicht vorhanden. Ich starrte an die Decke und versuchte meine Gedankengänge zu sortieren. Während die Sonne in mein Gesicht schien und ich merkte, dass es doch gar keine schlechte Idee wäre, mir endlich Gardinen zu kaufen, um nicht immer so ungemütlich verschwitzt aufzuwachen, klingelte der Live-Nachrichtenticker meines Handy-Alarms. Mein Handy war schon älter. Meine kleine Schwester schenkt es mir zu meinem 19. Geburtstag. 6 Jahre ist es her. Ich verseuchte es mit Viren aller Art, da ich als Jugendlicher unbedingt hacken lernen wollte. Es funktionierte auch halbwegs. Zwischen Tools und gefährlichem Halbwissen bewegte ich mich in der Szene. Ich kontrollierte im Online-Banking meine Einnahmen, wissend, dass sich an meiner Armut nichts geändert hatte. Die Live-Benachrichtigung ploppte erneut auf.
„Der Konzern und seine verdammten Nachrichten“, flüsterte ich vor mich hin. Eine vorinstallierte App, unmöglich sie zu löschen.
Der Paragraf 17 wurde verabschiedet, Wasser war nun kein Grundrecht des Menschen mehr. Ich starrte zwei bis 3 Sekunden geschockt auf mein Handy. Es machte sich einmal mehr Wut auf das System in mir breit. Doch wie so viele andere, war ich diesen Themen nach Jahrzehnten schon so emotional abgestumpft gegenüber, dass ich mich einfach entschied, mir erst einmal einen Kaffee zu machen.
Als ich das erhitzte Wasser meiner alten, mit Staub bedeckten schwarz-gräulichen Kaffeemaschine in meine Tasse gieße, kommt mir der im ersten Moment sarkastische Gedanke, dass dies doch jetzt ein Luxusgut wäre. Luxus war nichts für einen introvertierten Menschen wie mich. Ich war ruhig, beobachtete die Menschen um mich herum und war außerdem laut System „arbeitsunfähig“. Arbeitsunfähig in einer Welt ohne eine Mittelschicht. Ich bin wohl das, was die Gesellschaft als “Versager” sieht. Ich verwerfe diesen Negativgedanken und blicke in meinen kahlen und leerstehenden Flur.
Langsam wendete ich mich meiner Tür zu. In meiner kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung war es trotz Sonne sehr kalt. Ich konnte mir die erhöhten Strompreise nicht mehr leisten, also mussten es Decken fürs Erste als Ersatz für meine Heizung tun.
Als ich die Tür im Erdgeschoss meines Hausflures öffnete, sah ich eine belebte Großstadt. Jeder war in Eile, jeder in Hetze, jeder musste seinen Profit machen. Ich fragte mich, wie viele von denen, die ich hier über die breite mit roten Pflastersteinen versehene Straße laufen sah, Betrüger seien. Menschen, denen ihr Geld eigentlich nicht zusteht.
Doch mussten die Menschen hier nicht genau so agieren? Frei nach dem Motto “fressen oder gefressen werden?”. Gleichzeitig fragte ich mich, wie viele hier in meiner Situation sind, ich ließ meinen Blick über die Straße schweifen und entdecke beim genaueren Hinsehen so viele zerstörte Existenzen in den Gossen nach Geld betteln. Es war für mich immer wieder erstaunlich, wie mein Gehirn, selbst in meiner Situation, dass noch größere Leid ausblendete, es als unwichtige Information deklarierte, es waren ja nur “arme Menschen”. Ich hatte das “Glück”, dass meine Eltern, bevor sie uns verließen, um in der oberen Gesellschaftsschicht zu leben, uns diese kargen Räumlichkeiten überließen.
Dann sah ich mir einen Bettler einige Sekunden an, er lächelte mir zu und drehte sich eine Zigarette.
Ich rief einen der Bettler zu mir und gab ihm ein Stück Brot. Er lächelt erneut und sagte: „Wenn ich dir irgendwann mal helfen kann, scheue dich nicht, Bescheid zu sagen. Ich schlafe unter Kartons und Decken dort hinten in der Gasse an der Kreuzung.“
Ich lächelte und nicke ihm zu.
Die Obdachlosen des ersten Bezirkes waren menschlicher als die meisten Kaufleute hier.
”Danke dir mein Freund und tut mir leid falls es dir unangenehm ist, vor so vielen Mittelständlern mit mir zu sprechen …”
Ich war geschockt von dieser Aussage doch ließ ihn weiterziehen, ohne weiter auf diesen Satz einzugehen.
Im 23. Jahrhundert war der Unterschied zwischen Arm und Reich größer als je zuvor. Der Mensch besaß nur noch Angst oder Gier nach Erlebnissen. Doch ich hatte ein Talent, ein Talent, das mir Vorteile gegenüber dieser grausamen Gesellschaft brachte.
Das limbische System. Ich kannte es in- und auswendig. Es ist für das Triebverhalten des Menschen zuständig, auch bearbeitet das limbische System die emotionalen Informationen, die das Gehirn aufnimmt. Ich entdeckte es als Jugendlicher und studierte es aus eigenem Interesse. Die Stadtbibliothek war kostenlos und ich hatte eh nicht viel zu tun. Doch ich lernte durch das Beobachten der Menschen in meinem Umfeld schnell. Lüge und Wahrheit zu unterscheiden, Intentionen und Emotionen zu lesen.
Meine Rechnungen bezahlte das auch nicht, aber ich klammerte mich an die Vorstellung, ihnen geistlich überlegen zu sein, denn auch ich war irgendwo im Narzissmus meiner selbst gefangen.
In einer Zeit in der IT-Sicherheit alles war, gab es eine Variable, die nie wirklich sicher war, die Variable Mensch.
Ich fing meine Gedanken ein und nahm die kostenlose Zeitung, die, wie jeden Morgen vor der Tür lag, auf. Warum kostenlos? Na ja, eine einfache Werbemaßnahme des Großkonzerns. Es ist wie auch schon damals im 21. Jahrhundert vor dem Massenzusammenbruch der Wirtschaft und den Angriff auf die reichsten 3 Prozent, ein einfaches Mittel, um Anhänger dieser Konsumgesellschaft zu werden.
Ich setzte mich wieder in meine kleine Wohnung. Schlug die Zeitung auf, von der ich doch eigentlich so angewidert war, und fing an zu lesen. Ein Gedenkspruch von Karl Marx als Überschrift des Hauptartikels:
„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“
Es scheint mir Ironie in seiner Endstufe zu sein, dies von dem größten und mittlerweile einzigen Konzern dieser Welt zu lesen. Nein es ist an Ironie nicht mehr zu übertreffen. Der Konzern hatte die komplette Monopolstellung zu allen Märkten weltweit. Doch um die Konsumgesellschaft gebunden zu halten, agierten sie, als hätte sich irgendetwas zum 21. Jahrhundert geändert und das, obwohl es offensichtlich war, dass das Leid der Mittel und Unterschicht nicht größer hätte sein können.
Ich schüttelte meinen Kopf. „Im Endeffekt bin ich ja nicht anders.“ Ein schlafender Kritiker.
Das Einzige, was mir geblieben ist, ist meine kleine Schwester.
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