Marie-José Kolly und Simon Schmid (Hrsg.)
Auf lange Sicht
Daten erzählen Geschichten
ISBN Print: 978-3-0355-1960-0
ISBN E-Book: 978-3-0355-1961-7
Gestaltung: Salzmann Gertsch
1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
© 2021 hep Verlag AG, Bern
hep-verlag.ch
Daten erzählen Geschichten
Die New Coronomy
Was, wenn nur Frauen abstimmten?
Die schönste Klimagrafik der Welt
Wie viel wir arbeiten
Wie enden Epidemien?
Swish! So zerreisst es den Finanzausgleich
Höchste Temperatur seit 120 000 Jahren gemessen!
Was ist Zersiedelung?
Warum Grossmamis und Kinder Emma heissen, aber nur Grossmamis Erika
Hey, Alter!
Journalismus in Gefahr
Die Schweizer Politik im Parteientumbler
Drei Blicke auf die SNB
Das bunte Europa der Regionen
Ein paar Wahrheiten über Lügen
Opa Bauer, Mama Monteurin, Sohn Gamedesigner
Unser schrumpfendes Kohlenstoffbudget
Das Dilemma mit den «Super Sundays»
Steht bei Ihnen ein Chrischtbaum, ein Wienachtsboum – oder einfach eine Tanne?
Afrika ist die Zukunft
Die Mutterschaftsstrafe
Wie stark sind die Mieten gestiegen?
Systemrelevant – und schlecht bezahlt?
Wie sich Amerika auseinandergelebt hat
Auch die Treibhausgase wachsen exponentiell
Wie die Menschheit Viren und Bakterien zurückgedrängt hat
Daten erzählen Geschichten
Hätten Sie gewusst:
—dass die Videocall-Anbieterin Zoom während der zweiten Corona-Welle so viel wert war wie die zehn grössten Airlines der Welt zusammengezählt?
—dass die Erdtemperatur im Jahr 2020 so hoch war wie seit 120 000 Jahren nicht mehr?
—dass in Afrika bis zum Ende des 21. Jahrhunderts gleich viele Menschen wie in Asien leben dürften?
Auch wir wussten noch nicht, was herauskommen würde, als wir vor drei Jahren mit der «langen Sicht» begannen: der wöchentlichen Datenkolumne im Online-Magazin «Republik». Doch fast bei jedem Thema, das wir recherchierten, bei fast jeder Datenquelle, die wir auswerteten, stellten wir fest: Hier steckt eine interessante, erstaunliche, überraschende Geschichte drin – eine Geschichte, die es lohnt, in Grafiken erzählt zu werden.
Manchmal lag die passende Umsetzung auf der Hand. Etwa im Dezember 2018: Ein halbes Jahr vor dem Frauenstreik befassten wir uns mit geschlechtstypischen Erwerbsbiografien und fragten uns: Ab welchem Punkt verdienen Männer eigentlich mehr als Frauen? Ist das schon ab Karrierebeginn so, oder zementieren sich die Unterschiede erst nach und nach? Dann stiessen wir auf eine Studie, die eine Grafik enthielt – und der Fall war klar: Ausschlaggebend ist die Geburt des ersten Kindes. Bis dahin wachsen die Einkommen mehr oder weniger im Gleichschritt, danach geht die Schere auf. So entstand ein Beitrag über die «Mutterschaftsstrafe». Sie finden ihn, zusammen mit der Grafik hier.
Manchmal war die Sache aber auch kniffliger. Wie illustriert man ein trockenes Thema wie Mietpreisindizes? Klar: Man könnte eine Schweizerkarte nehmen, sie in Orange- und Rottönen einfärben und darüberschreiben: «Wohnen ist so teuer wie nie zuvor: Hier sind die Hotspots!» Doch das wird der Sache nicht gerecht. Denn mieten ist nicht gleich mieten: Die Preisentwicklung sieht völlig anders aus, je nachdem, ob man neu ausgeschriebene Wohnungen oder bestehende Mietverhältnisse betrachtet. Um diesen Unterschied aufzuzeigen und zu einem differenzierten Fazit zu gelangen, haben wir uns für eine optisch sehr simple, dafür sehr verständliche Grafik entschieden. Sie finden sie hier.
«Auf lange Sicht» erscheint jeden Montag. Mal knüpft die Datenkolumne stärker an die Aktualität an, mal geht es um zeitlose Themen. Mal geht es um ernste Politik, mal regt die Kolumne zum Schmunzeln an. Wir erzählen Datengeschichten darüber, welche Länder den klimafreundlicheren Strom produzieren, welche Schweizer Parteien am häufigsten mit der Regierung abstimmen oder in welchen Schweizer Regionen man welche Wörter benutzt: «Chrischtbaum» oder «Wiehnachtsboum». Für dieses Buch haben wir ein Best-of der anschaulichsten Beiträge zu einem bunten Mix verschiedener Themen zusammengestellt und aktualisiert.
Jede dieser Datengeschichten bewegt sich in einem Spannungsdreieck.
Am ersten Eckpunkt steht die Wissenschaft . Wir wollen eine bestimmte Fragestellung nach bestem Wissen und so objektiv wie möglich beantworten. Daten helfen uns dabei, diesem Anspruch gerecht zu werden: Wir bereiten nur Zahlen auf, die methodisch sauber erhoben und sinnvoll ausgewertet wurden. Das garantiert, dass wir keine falschen Behauptungen aufstellen – hat jedoch den Nachteil, dass die Erkenntnisse zuweilen wenig spektakulär sind. Widersprüchliche Studien, unsichere Zusammenhänge, Detailergebnisse ohne allgemeine Gültigkeit: Das ist das harte Brot, das die Wissenschaft uns oft serviert.
Unsere Aufgabe als Datenjournalistinnen ist, diese Kost mit abwechslungsreichem Storytelling zu versüssen. Wir alle empfinden die «Zersiedelung» als etwas Störendes. Doch wie misst man dieses Phänomen eigentlich? Oft stecken in solchen Details die spannendsten Fragen – Antworten darauf finden Sie in diesem Fall hier. Versetzt man sich erst einmal in Forschende hinein und beginnt, ihre Schwierigkeiten auf der Suche nach Ergebnissen zu verstehen, ergibt sich die Spannung oft wie von selbst. Unser Ziel ist, genau diese Spannung in unseren Texten nachvollziehbar und visuell erfahrbar zu machen.
Am zweiten Eckpunkt steht die Handwerkskunst . Es ist eine Kunst, die, wenn man sie geschickt anwendet, eine beträchtliche Wirkung entfalten kann: die Datenvisualisierung.
Diese Wirkung hat mit der Art und Weise zu tun, wie unsere Gehirne Informationen aufnehmen. Betrachten Sie zum Beispiel die folgende Datenreihe: 0, 27, 310, 1863, 5274, 7335, 6271, 4315, 2325, 1321, 844. Das sind die wöchentlichen Ansteckungszahlen während der ersten Welle der Corona-Pandemie in der Schweiz. Vermutlich lösen diese Zahlen in Ihnen keine besondere Reaktion aus – sehr wahrscheinlich haben Sie sie nicht einmal genau gelesen. Ganz anders ist es, die Corona-Fälle als Grafik zu sehen – so wie hierin diesem Buch: mit farbigen Balken, die erst im Frühjahr 2020 und dann erneut im Winter 2020/21 – während der zweiten Welle – in die Höhe ragen und bildlich vor Augen führen, welche Dynamik eine Pandemie entfalten kann.
Indem wir Daten grafisch darstellen, bringen wir sie zum Sprechen, hauchen ihnen Leben ein. Doch es braucht Können und Erfahrung, Zeit und Musse, und nicht selten auch etwas Glück, um eine wirklich herausragende Datenvisualisierung zu erstellen. Und genau dieses Anliegen kann uns auch in Versuchung führen – dann, wenn wir beginnen, die grafische Darstellung mit der Realität selbst zu verwechseln und daraus Dinge ableiten zu wollen, die so gar nicht stimmen. Deshalb ist es uns so wichtig, Daten jeweils in den richtigen Kontext zu stellen. Zu erwähnen, wie sie erhoben wurden, was sie aussagen können – und in welchen Momenten man sich mit Schlussfolgerungen und Voraussagen zurückhalten muss, weil die Unsicherheit einfach zu gross ist. Und vielleicht auch: im Zweifelsfall die langweiligere, dafür aber verständlichere Darstellung zu wählen.
Dies führt zum dritten Eckpunkt: dem Journalismus . «Sagen, was ist»: Mit Slogans wie diesem definieren manche Medien ihre Mission. Gleichzeitig sind sie den kurzen Aufmerksamkeitsspannen eines überfütterten Publikums unterworfen: Tatsächlich gesagt wird in der Regel nur, was Journalistinnen als relevant einstufen. Und wovon sie glauben, dass jemand es hören will – weil es Neuigkeitswert hat, eine Sensation ist oder Emotionen weckt.
Читать дальше