Zugleich aber ist Franzens Argumentation hochproblematisch: Erstens ist Klima zwar nicht alles, aber ohne klimatische Stabilität ist alles andere nichts. Der Klimawandel ist der größte Feind der Artenvielfalt, der Fruchtbarkeit des Landes, der Ernährungssicherheit und des Friedens. Es gibt viele gesellschaftliche und ökologische Probleme – doch fast alle werden sie verstärkt vom Klimawandel. Zweitens ist das Ziel der „Rettung der Welt“ zwar in der Tat wortwörtlich verstanden überheblich. Es ist aber eine angemessene Metapher, die Größe der Aufgabe zu umschreiben. Es geht nicht um alles, aber doch um enorm vieles innerhalb unseres Horizonts, um Tiere und Pflanzen, um die menschliche Zivilisation. Deshalb beschreiten die meisten Klimaforscherinnen und Aktivisten den hier von Franzen gescholtenen Weg: Maja Göpel nennt ihr Buch Unsere Welt neu denken (2020). Trotz aller Dramatik ist ihr Tenor der einer Einladung : „Bleiben Sie freundlich und geduldig, aber bleiben Sie dran.“ 2Luisa Neubauer und Alexander Repening erzählen in Vom Ende der Klimakrise eine Geschichte unserer Zukunft (2020): Es gebe sehr viel Grund für Frust und Wut. Doch sei das nur mehr Ansporn, „possibilistisch“ die verbleibenden Möglichkeiten zu ergreifen. 3Jedes Zehntelgrad Erwärmung, das nicht stattfindet, ist gewonnenes Leben. Drittens ist es nämlich schlichtweg unmoralisch, frühzeitig das Ende auszurufen. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist.
Alles wird gut?
„Alles Gute für dich!“ Dieses Geburtstagslied zeigt das genannte Dilemma zwischen notwendiger Hoffnung und abgeklärtem Realismus nach der Art Franzens verschärft: Wer das singt, verheißt das Gute – und verspricht singend mehr, als sie oder er halten kann. Im Lied verbirgt sich die Zusage: Es ist gut, dass du bist. Ich verspreche, mitzuhelfen, dass alles gut werde für dich. Ich werde nicht einwilligen in das Übel, das dir geschieht. Diesen Zusammenhang fasst Gabriel Marcel in den berühmten Satz: „Einen Menschen lieben heißt ihm sagen: Du wirst nicht sterben!“ In der unbeirrbaren Solidarität für die anderen setzen wir praktisch, wenn auch gegen viele Fakten der Welt, dass Rettung möglich ist. Umgekehrt heißt, zu „akzeptieren, dass das Unheil eintreten wird“ (Franzen), die anderen, die Zukünftigen, fallen zu lassen und es sich in seiner kleinen, noch heilen Welt bequem zu machen.
Aber singen wir „Alles Gute für dich!“ nicht nur einfach so? Sind unsere Lieder nicht bloß nette Wünsche? Zeigen die Transparente an den italienischen Balkonen nicht einfach nur Durchhalteparolen? Vielleicht. Sind sie ernst gemeint, wird aus dem Wunsch ein Wille: der Wille, sich einzusetzen für alles hier mögliche Gute für dich.
Alles Gute!
Omne bene , Alles Gute, nennt die Franziskanerterziarin Angela da Foligno aus der Nachbarschaft Assisis um 1300 das Gegenüber ihrer mystischen Erfahrungen:
„Und ich sah das Alles Gute. … Die Seele sieht nichts, was sie mit Worten oder mit dem Herzen fassen könnte. Sie sieht nichts und sie sieht alles ganz und gar. Ich setze meine Hoffnung in kein äußerlich beschreibbares oder vorstellbares Gut; meine Hoffnung ist in einem ganz und gar verborgenen, verschlossenen Gut, das ich mit so großem Dunkel erkenne.“ 4
Dahinter steckt auch der gerade skizzierte Gedanke: Gott ist für Angela Alles Gute in Person und kann allein alles Gute realisieren. Der Alles Gute sei unvorstellbar und im Dunkel, weil er nicht begrenzt sei, weil er alles erfülle und durchdringe. Wer sich einsetzt für die anderen, wer hofft und verspricht, alles werde gut, der setzt implizit auf Gott, den oder die Alles Gute .
Diese Hoffnung kann man als Vertröstung missverstehen. Doch ist sie bei Angela, Franziskus, Klara und auch logisch das Gegenteil: Wer sich nicht einsetzt dafür, dass Gottes Liebe in der Welt wirklich wird, sondern nur auf Gott hofft, der wünscht nur alles Gute, will es aber nicht wirklich. Es gilt, sehr viel Schaden zu vermeiden, während wir auf Omne bene warten.
Das alles klingt vielleicht so, als seien wir zwar moralisch und religiös verpflichtet zu hoffnungsvollem Einsatz, doch sei die Sache eigentlich aussichtslos. Aber das ist nicht der Fall. Das Zauberwort Klimaneutralität ist mittlerweile in aller Munde – auch wenn noch niemand wirklich begriffen hat, wie das gehen wird. Es gibt viele, die sehen, dass ein neues Verhältnis zu Natur und Zukunft, eine andere Art zu wirtschaften, zu essen, zu wohnen, zu reisen, zu teilen notwendig sind. Sie sind nicht allein. Es gibt viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Fast jedes Städtchen hat mittlerweile eine Klimagruppe, eine Radverkehrsinitiative, eine Gruppe von BUND oder Greenpeace. Man muss sie nur suchen oder gründen.
Das Buch, das Sie zur Hand genommen haben, ist kein Klimabuch im engeren Sinn. Es erklärt nicht, wie viel Tonnen Treibhausgas pro Kopf noch ausgestoßen werden könnten, bis die magische 1,5-C-Grenze der COP 21 von Paris überschritten wird. Es erläutert nicht, welche biologischen und sozialen Folgen die Erwärmung der globalen Erdtemperatur haben wird. Es fragt auch nicht, welche psychologischen und soziologischen Gründe dazu führen, dass so absurd wenig geschieht. Es stellt vielmehr spirituelle Fragen, denn die ökologische Krise ist auch eine spirituelle Krise. Eine Krise des eigenen Verhältnisses zu Tieren, Pflanzen, Menschen und Gott. Eine Krise von allgegenwärtigem Wachstumsstreben und fehlendem Schuldbewusstsein. Dabei gehe ich vom naheliegenden Gedanken aus, dass die franziskanische Tradition in dieser spirituellen Krise hilfreich sein könnte.
Das Buch beginnt mit einem Kapitel über die tätige Hoffnung darauf, dass doch noch alles gut werde. Christlicher Glaube lehrt diesbezüglich Bescheidenheit. Dass alles gut werde, würde auch die Rettung der Opfer der Vergangenheit umfassen und ist etwas, das Menschen nur klagend erbitten können. Vorher ist noch sehr viel anderes zu tun. Jede und jeder Einzelne kann politisch und alltagspraktisch an der notwendigen ökologischen Transformation mitwirken, auf dass es nicht noch schlimmer komme, vertrauend darauf, nicht allein zu sein. Dieses Vertrauen ist in der Perspektive christlichen Glaubens weder mit einer Glücks- noch mit einer Erfolgsgarantie verbunden. Jesus stirbt am Kreuz. Franziskus wählt das Sterben in Kreuzform auf dem Erdboden. Doch beide haben die Welt verändert.
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