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Umgekehrt liegt die Annahme einer für die Annahme des dolus eventualis von der Rechtsprechung geforderten „Billigung des Erfolges“ beweisrechtlich nahe,[1159] wenn der Täter sein Vorhaben trotz äußerster Gefährlichkeit durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, oder er es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht.[1160] Bei derart tatsachenfundierter Gefahreneinschätzung [1161] vermag auch die vage Hoffnung, jene Gefahr würde sich wider Erwarten nicht verwirklichen, alles würde schon „gut gehen“, den dolus eventualis nicht auszuschließen; mit anderen Worten: Was einem die Vernunft sagt, kann nicht durch bloßes Gottvertrauen verdrängt werden.[1162] Es ist aber insoweit stets eine tatrichterliche Gesamtabwägung unter Einbeziehung der Handlungsziele des Täters erforderlich.[1163] Kann im Einzelfall dann ausnahmsweise einmal bedingter Tötungsvorsatz festgestellt werden, so liegt im Übrigen auch eine Prüfung von Mordmerkmalen nahe.[1164]
4. Vorsätzliche Körperverletzung durch Unterlassen
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Im Gegensatz zu den sicherlich selten Ärzten zur Last zu legenden vorsätzlichen Tötungsdelikten[1165] (durch Unterlassen) dürften in der Praxis hingegen Fallgestaltungen durchaus anzutreffen sein, die zu einer zumindest billigend in Kauf genommenen Körperverletzung des Patienten führen. Zu denken ist insoweit namentlich an den Bereich einer möglichen und auch rechtlich gebotenen Schmerzbekämpfung:[1166] Unterlässt der behandelnde Arzt die gebotenen Maßnahmen zur Schmerzlinderung, so verwirklicht er durch sein Untätigbleiben den Tatbestand einer vorsätzlichen Körperverletzung durch Unterlassen ( §§ 223, 13 StGB).[1167] Paradigmatisch ist insoweit ein von Ulsenheimer/Gaede mitgeteilter (hier abgekürzter) Sachverhalt anzuführen,[1168] bei dem ein Strafverfahren wegen vorsätzlicher Köperverletzung durch Unterlassen letztendlich[1169] mit einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO beendet wurde: Ein Gynäkologe hatte bei einer Saugkürettage trotz entsprechender Hinweise der Patientin eine zu geringe Anästhesie-Dosis eingesetzt, so dass sie nicht unerhebliche Schmerzen zu ertragen hatte. Eher selten dürften hingegen Fallgestaltungen sein, in denen ein Arzt die von ihm begonnene Operation unterbricht, um einen Fernreise-Flug zu erreichen, woraufhin seine Patientin ungefähr eine Stunde stark blutend und anästhesiert im Operationssaal lag, bis ein anderer Arzt den Eingriff zu Ende führen konnte.[1170] Für die Annahme des ärztlichen Erfolgsvorsatzes genügt es sowohl bei einem vollendeten als auch bei einem versuchten Unterlassungsdelikt,[1171] dass der Täter den Erfolgseintritt für möglich hält; ein Täterbewusstsein, dass bei seinem fiktiven Handeln eine Erfolgsvermeidung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einträte, ist hingegen nicht erforderlich.[1172]
5. Körperverletzungsvorsatz bei unwirksamer Einwilligung
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Ist hingegen eine Einwilligungdes Patienten in den Heileingriff infolge fehlender oder mangelhafter Aufklärung unwirksam, so liegt nach ständiger Rechtsprechung und einem Teil der Lehre eine tatbestandsmäßige vorsätzliche Körperverletzung i.S.v. § 223 StGB vor.[1173] Ist hiermit dann eine schwere Folge (also eine gravierende Gesundheitsbeschädigung oder gar der Tod des Patienten) verbunden, so kommt ärztliche Strafbarkeit nach §§ 226, 227 StGB in Betracht. Bei diesen erfolgsqualifizierten Delikten würde dann gemäß § 18 StGB bereits einfache Fahrlässigkeit[1174] hinsichtlich einer dem Arzt unerwünschten Folge der Heilbehandlung zur erhöhten Strafbarkeit führen.[1175]
II. Strafverfahrensrechtliche Konsequenzen des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB
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Gemäß der Neuregelung[1176] von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB[1177] hat der Behandelnde seinen Patienten auf Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren über erkennbare Umstände zu informieren, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen könnten.[1178] Das Patientenrechtegesetz[1179] brachte zusätzlich mit § 630c Abs. 2 S. 3 BGBeine gesetzliche Regelung hinsichtlich der Verwendbarkeit dieser durch § 630c Abs. 2 S. 2 BGB vom Behandelnden geforderten Patienteninformation im Rahmen eines Straf- oder Bußgeldverfahrens mitsich.[1180] Diese Normierung ist allerdings nicht sonderlich geglückt.[1181] Insoweit ist weniger zu beklagen, dass eine strafprozessuale Frage im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt wird.[1182] In unserer Rechtsordnung lassen sich einige Regelungen außerhalb der Strafprozessordnung finden, in denen Informationspflichten statuiert werden, die sogleich in diesem Gesetz von einem Beweisverwendungs- oder Beweisverwertungsverbot flankiert werden.[1183]
1. Reichweite der Vorschrift
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Problematisch ist allerdings, dass die Reichweitedieser Vorschrift in mehrerlei Hinsicht unklarbleibt. Als gesichert kann nur gelten, dass die durch den Behandelnden gegebenen Informationen als solche jedenfalls nicht direkt als Urteilsgrundlage in einem Straf- oder Bußgeldverfahren herangezogen werden dürfen.[1184] Auch ist es unzulässig, sie durch die Vernehmung des Patienten (oder des Krankenhauspersonals) als Zeugen in die Verhandlung einzuführen.[1185] Fraglich ist jedoch, ob § 630c Abs. 2 S. 3 BGB darüber hinaus zunächst eine „Vorwirkung“ dahin entfaltet, dass die vom Behandelnden erteilten Informationen auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen verwendet werden dürfen.[1186] Ferner ist problematisch, ob der Vorschrift eine „Fernwirkung“ zukommt,[1187] ob also Umstände, die aufgrund der ärztlichen Mitteilung erst ermittelt werden konnten, zur Urteilsgrundlage werden dürfen. Klärungsbedürftig ist schließlich auch, ob und ggf. inwieweit das Verwertungsverbot über den Bereich des Straf- und Bußgeldrechts hinaus Wirkungen entfaltet.
2. Gesetzeswortlaut und Gesetzesmaterialien
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Nimmt man diese in den Blick, so fällt ins Auge, dass § 630c Abs. 2 S. 3 BGB davon spricht, dass „die Information nach Satz 2“ nicht „verwendet“ werden darf. Diese weite – über ein bloßes Beweisverwertungsverbot hinausgehende – Formulierungwird freilich durch die Einschränkung „zu Beweiszwecken“ begrenzt. Nach der Gesetzesbegründung[1188] soll durch diese Regelung erreicht werden, dass „dem Behandelnden aus der Offenbarung eigener Fehler […] keine unmittelbaren strafrechtlichen oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Nachteile erwachsen“. Ferner wurde im Gesetzgebungsverfahren[1189] auch darauf hingewiesen, dass bei § 97 Abs. 1 S. 3 InsO „eine vergleichbare Interessenlage zugrunde liegt“. Hieraus wird geschlossen, dass sich der Gesetzgeber bei der Fassung des Wortlautes maßgeblich an dem Beweisverwendungsverbot in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO orientiert habe.[1190] Daher ist für die Interpretation von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB die Entstehungsgeschichte und Interpretation dieser insolvenzrechtlichen Regelung in den Blick zu nehmen.
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Anlass für die Schaffung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsOwar der sogenannte „Gemeinschuldnerbeschluss“ des Bundesverfassungsgerichtes, in dem aus dem Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ ein verfassungsrechtliches Beweisverwertungsverbot für jene Informationen abgeleitet wurde, die im Insolvenzverfahren vom Schuldner erzwungen werden können.[1191] Auch in nachfolgenden Entscheidungen[1192] hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass sich ein verfassungsunmittelbares Beweisverwertungsverbot ergibt, wenn in strafrechtlicher Hinsicht selbstbelastende Auskünfte zwangsweise durchgesetzt werden können. § 97 Abs. 1 S. 3 InsO geht mit der Statuierung eines „Beweisverwendungsverbotes“ über diese verfassungsrechtlichen Vorgaben sogar noch hinaus. In der Gesetzesbegründung hieß es dazu: „Entsprechend einem Anliegen des Bundesbeauftragten für den Datenschutz wird damit zum Ausdruck gebracht, dass eine Auskunft des Schuldners ohne dessen Zustimmung auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen darf.“. Daraus hat die Literatur zum großen Teil gefolgert, dass jedwede Nutzung der Informationen, die der Schuldner nach § 97 Abs. 1 S. 1, S. 2 InsO erteilt hat, außerhalb des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen sein soll.[1193] Sie sollen nicht zur Begründung eines Anfangsverdachtes[1194] herangezogen werden können; darüber hinaus soll auch eine (mittelbare) Fernwirkung[1195] eingreifen. Einige Autoren verneinen auch die Möglichkeit, hypothetische Ermittlungsverläufe insoweit zu berücksichtigen.[1196] Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Rechtspraxis eine solch weitgehende Wirkung dieses Beweisverwendungsverbotes nicht anerkannt hat. Dort wird einhellig davon ausgegangen, dass jedenfalls die erzwungene Vorlage von Geschäftsunterlagen wie Handelsbüchern und Bilanzen, die der Schuldner ohnehin kraft gesetzlicher Verpflichtung führen muss, nicht von dem Beweisverwendungsverbot erfasst wird.[1197]
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