Nicht mehr ganz so gut ist wirklich stark geschmeichelt, dachte Runkelbauer. Wenn dieser Handel heute nicht zustande kam, würde sein Betrieb das nächste Jahr nicht mehr überstehen.
Der Präsident ließ dem Dolmetscher wieder etwas Zeit, damit er mit dem Übersetzen nachkam. Herr Chang hielt den Kopf währenddessen leicht gesenkt und hörte konzentriert zu, dann nickte er zum Zeichen, dass er alles verstanden hatte.
„Als ich vor einigen Monaten aus geschäftlichen Gründen in Nordchina in der Provinz Shandong zu tun hatte“, fuhr der Präsident fort, „lernte ich Herrn Chang kennen. Er leitet dort ein großes Weingut, in dessen Weinbergen, man höre und staune, unter anderem auch Müller-Thurgau angebaut wird. Bei einer ausgiebigen Verkostung konnte ich mich von der Qualität des Weines überzeugen. Herr Chang und ich haben uns dann lange und ausgiebig unterhalten. Dabei haben wir eine Geschäftsidee entwickelt, die ich nach meiner Rückkehr mit meinem Bekannten, Herrn Runkelbauer, diskutiert habe. Das Ergebnis dieser Kontakte ist dieses heutige Treffen. Wir sind uns darin einig, dass die Umsetzung dieser Idee von allen Seiten eine gewisse … Risikobereitschaft verlangt. Die ist aber, soweit ich das verstanden habe, durchaus vorhanden.“
Alle am Tisch, mit Ausnahme des Dolmetschers, stimmten dieser Aussage kopfnickend zu.
„Dann würde ich vorschlagen“, fuhr der Präsident fort, „zunächst einmal den Wein, um den es geht, zu verkosten. Schließlich will keiner die Katze im Sack kaufen. Anschließend können wir ja die Einzelheiten besprechen.“
Auf einen Wink hin öffnete der Dolmetscher die Kühltasche und stellte eine Bordeauxflasche auf den Tisch, auf der sich ein Etikett mit chinesischen Schriftzeichen befand. Herr Chang griff sich die Flasche und fuhr mit den Fingern über das Glas, auf dem sich sofort Tau gebildet hatte. Runkelbauer holte aus einem Eckschrank mehrere Probengläser. Während Chang den Schraubverschluss öffnete, erläuterte er: „Meine Herren, das hier ist ein Müller-Thurgau aus der Ernte des letzten Jahres meines Weinguts. Es ist mir eine Ehre, Ihnen diesen Wein jetzt präsentieren zu dürfen.“ Während der Dolmetscher noch übersetzte, schenkte Herr Chang in jedes Glas eine angemessene Menge ein. Nachdem er alle bedient hatte, erhob er sein Glas. „Wie sagt man hier? Zum Wohl.“ Die beiden Worte des Trinkspruchs versuchte er auf Deutsch zu sagen, was ihm nur mäßig verständlich gelang.
Die Herren, die sich alle als Weinsachverständige verstanden, rochen, schlürften und ließen den Tropfen auf der Zunge zergehen, um anschließend den Abgang auszukosten. Anerkennende Lautäußerungen kamen von allen Seiten aus den Kennerkehlen.
„… eindeutig ein ausgezeichneter Müller-Thurgau mit einem beeindruckenden Nachhall“, stellte Runkelbauer anerkennend fest. „Der aus meinem Wengert ist nicht besser.“
Die anderen schlossen sich dem Lob an. Der Dolmetscher übersetzte, Herr Chang verneigte sich und lächelte.
Der Präsident stellte sein Glas ab und ergriff wieder das Wort. „Meine Herren, kommen wir auf den Punkt: Bei meinen Gesprächen mit Herrn Chang haben wir beide festgestellt, dass sich unsere Interessen auf erfreuliche Weise überschneiden, deshalb sind wir hier. Als Präsident einer … gewissen Institution habe ich in den letzten Jahren mit zunehmender Sorge zur Kenntnis nehmen müssen, dass unsere Ausgaben für diverse Veranstaltungen horrend gestiegen sind. Als Verantwortlicher bin ich daher bemüht, uns jede nur erdenkliche Einnahmequelle zu erschließen. An diesem Punkt kommen unsere gemeinsamen Interessen“, er deutete auf Max Runkelbauer und verneigte sich in Richtung des Chinesen, „auf wunderbare Weise zusammen. Herr Chang würde es begrüßen, wenn er seinen Wein nach Franken exportieren könnte mit dem Fernziel, sich den Markt in Europa zu erschließen.“
Der Dolmetscher übersetzte so schnell, dass ihn Herr Chang mit einer Geste bat, etwas langsamer zu sprechen. Der Präsident legte geduldig eine Pause ein. Nach der Übersetzung nickte der Chinese heftig und lächelte.
„Herr Chang und ich sind uns darin einig“, nahm der Präsident wieder den Faden auf, „dass er, würde er den offiziellen Weg des Marktes beschreiten, auf absehbare Zeit keine Chance hätte, sich zu etablieren. Chinesischer Wein in Franken wäre, außer vielleicht für einige experimentierfreudige Kenner, ein absolutes ‚No-Go‘.“ Er blickte fragend in die Runde. Runkelbauer stimmte ihm vollkommen zu.
Der Präsident räusperte sich und sah den Chinesen direkt an. „Manchmal muss man die Menschen ganz einfach zu ihrem Glück zwingen. Max Runkelbauer ist bereit, durch das Zurverfügungstellen seines Namens und durch die Bereitstellung diverser Lagerressourcen das Experiment ‚chinesischer Müller-Thurgau in Unterfranken‘ zu unterstützen. Herr Chang seinerseits wird sich, wie er mir sagte, selbstverständlich durch großzügige finanzielle Investitionen und äußerst günstige Konditionen beteiligen.“ Er gab durch ein Handzeichen zu verstehen, dass er nun dem chinesischen Gast das Wort überlassen wollte.
Der Dolmetscher übersetzte ins Deutsche: „Es wird mir eine Ehre sein, mich mit einem Tanklastzug unseres Weines an dem Experiment zu beteiligen. Außerdem kann der geschätzte Herr Winzerkollege mit einer Finanzbeteiligung an seinem Unternehmen rechnen, als Ausgleich für das zu tragende Risiko. Ich habe Verträge aufsetzen lassen, die vom Herrn Präsidenten juristisch geprüft und für gut befunden wurden.“
Er gab dem Übersetzer ein Zeichen, der daraufhin einen Aktenkoffer auf den Tisch hob und mehrere Schriftstücke herausnahm. Der Text war sowohl in chinesischer als auch deutscher Schrift geschrieben. Dann zog er einen edlen Kugelschreiber aus der Aktentasche und legte ihn neben die Papiere.
„Lassen Sie mich noch einmal die Parameter dieser Kooperative zusammenfassen“, meldete sich der Präsident wieder zu Wort. „Es sind, das gebe ich unumwunden zu, knallharte wirtschaftliche Notwendigkeiten, die mich veranlasst haben, diesen Deal einzufädeln. Aber keinesfalls, das möchte ich klarstellen, geht es dabei für mich um persönliche Bereicherung.“ Er räusperte sich. „Wie hier in dieser Runde teilweise bekannt, wird jedes Jahr in der sogenannten Närrischen Weinprobe , einer Sendung des Bayerischen Fernsehens, die aus dem Stückfasskeller des Staatlichen Hofkellers übertragen wird, der sogenannte Narrenwein vorgestellt. Bisher kam bei diesem speziellen Bocksbeutel immer ein uns bekanntes großes Weingut zum Zuge und machte das damit verbundene Geschäft. Meine Organisation war hierbei immer außen vor. Das werden wir jetzt mit unserer kleinen Kooperative ändern!“
Runkelbauer zog ein nachdenkliches Gesicht. „Sind Sie sicher, dass wir diesmal zum Zuge kommen? Ich bin da immer noch etwas skeptisch!“
„Letztes Jahr hätte ich Ihre Bedenken geteilt. Es wurde jedoch das Auswahlkonzept für den Narrenwein geändert. Bisher hat die Vorstellung des Weines eine ehemalige Weinkönigin in der Sendung vorgenommen. Dieses Jahr wird das Procedere auf Wunsch der Zuschauer des Bayerischen Fernsehens geändert. Unterfränkische Weingüter können ihre Weine einreichen und der Weinexperte der Stadt Würzburg, Bürgermeister Andy Farmer, wird im Rahmen einer Blindverkostung seine Auswahl treffen. Diese wird etwa zwei Wochen vor der eigentlichen Veranstaltung unter notarieller Aufsicht stattfinden. Während der eigentlichen Aufzeichnung der Fernsehsendung wird dieser Wein dann von Herrn Farmer vorgestellt.“ Der Präsident hielt das Probierglas gegen das Licht. „Was Ihre Frage betrifft, Herr Runkelbauer, das lassen Sie mal unsere Sorge sein. Herr Chang und ich haben da unsere Mittel und Wege.“ Er grinste leicht. Herr Chang verneigte sich wieder lächelnd, schob den Vertrag über den Tisch und reichte den Kugelschreiber weiter.
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