»Brauner Umschlag bitte, Mr McKechnie. Zwei Gummibänder drum herum, überkreuz. Sollten Sie so blöd gewesen sein, auf der Bank neue Scheine zu verlangen, dann gehen Sie noch mal hin und tauschen sie um. Den Umschlag werfen Sie um ein Uhr in die mittlere Mülltonne am Hintereingang des Columbia-Kinos.«
McKechnie tat genau wie geheißen. Pünktlich kam er an die Mülltonne, hob den Deckel ab, warf den Umschlag in die halb volle Tonne, drehte sich um, äugte ein wenig herum, ob ihn vielleicht jemand beobachtete, und ging dann entschlossen von dannen. Er ging nach Westen die Shaftesbury Avenue entlang, machte eine Kehre in den unteren Abschnitt der Wardour Street, lief in der Gerrard Street zurück und blieb bei einer Wand voller Werbeplakate stehen. Von hier aus konnte er, soweit das der Verkehr und die Fußgänger erlaubten, die drei Mülltonnen am rückwärtigen Eingang des Kinos im Auge behalten. Er hatte vielleicht zwanzig Minuten so dagestanden und war jedes Mal unruhig geworden, wenn ihm ein Bus die Sicht nahm, als ihm nach und nach klar wurde, dass ein Mann ihn aus etwa drei Metern Entfernung beobachtete. Ein hamsterbäckiger, rothaariger Mann von einigem Gewicht, der eine Brille trug und einen ziemlich wilden Gesichtsausdruck hatte. Als er bemerkte, dass sich McKechnies Aufmerksamkeit ihm zugewandt hatte, ging er gemächlich auf diesen zu, dann hinter ihm durch, legte darauf sein Pummelkinn McKechnie auf die Schulter, sodass sie jetzt beide zu den Mülltonnen hinübersahen, wandte dann den Kopf und grinste McKechnie direkt ins Gesicht, stellte sich vor ihn, kniff mit seinem großen sommersprossigen Daumen und dem Zeigefinger McKechnie neckisch in die Wange und sagte dann mit einem freundlichen, leicht irren Lächeln:
»Zisch ab.«
McKechnie zischte ab, in sein Büro zurück, wobei sein Herz weit schneller schlug, als ihm guttun konnte.
Zwei Wochen später meldete sich »Salvatore« erneut.
»Mein lieber Mr McKechnie, wie schön, Ihre Stimme wieder zu hören. Es war so freundlich von Ihnen, mir vor zwei Wochen aus meiner Klemme zu helfen. Das Finanzamt wird bestimmt Verständnis haben, wenn Sie den Betrag geltend machen. Jetzt habe ich anscheinend wieder ein kleines Liquiditätsproblem. Und da wollte ich höflich fragen, ob Sie mir vielleicht behilflich sein könnten. Diesmal sollte es allerdings ein wenig mehr sein, fürchte ich. Könnten wir uns eventuell auf hundert einigen?«
»So läuft bei mir der Laden nicht.«
»Nun, Mr McKechnie, das kann ich nicht recht glauben. Ich bin mir sicher, dass ein Mann mit zwei Lagerhäusern und einem Büro, so armselig sie auch sein mögen, einhundert Pfund auftreiben kann, um einem Freund aus der Patsche zu helfen.« McKechnie hielt inne. Er überlegte, warum Salvatore, der bei seinem ersten Anruf einen recht starken ausländischen Akzent gehabt hatte, jetzt fast normales Englisch sprach. Er antwortete:
»Also gut.«
Insgeheim war McKechnie zufrieden. Jetzt musste die Polizei etwas unternehmen. Er rief Sullivan an und sagte ihm, dass die Forderungen inzwischen eine Höhe erreicht hätten, die seine Aufmerksamkeit rechtfertige. Er tat am nächsten Tag wie geheißen, tätigte um ein Uhr den Einwurf in einen Abfallkorb an einem Laternenpfahl in der Frith Street, ging zu seinem Büro zurück und wartete auf Sullivans Rückruf. Der kam zwar, war aber nicht gerade erfreulich.
»Wir haben sie bedauerlicherweise verloren.«
»Was soll das heißen, verloren?«
»Na, zwei Mann haben die Stelle überwacht, haben beobachtet, wie Sie das Päckchen einwarfen, doch als sie nach zwei Stunden, in denen nichts geschehen war, den Abfallkorb untersuchten, war er leer.«
»Dann sind Ihre Leute unbrauchbar.«
»Aber, aber, Mr McKechnie, was Sie da sagen, grenzt ja an Verleumdung. Auf der Straße ist sehr viel los um diese Zeit – deshalb hat dieser Knabe auch ein Uhr mittags gewählt –, und meine Männer können schlecht in ihrer blauen Uniform herumstehen. Außerdem kann ich auch nicht meine erfahrensten Leute einsetzen, denn deren Gesichter wären einfach zu bekannt. Das ist das Problem bei uns auf der Piste.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Wir versuchen es noch mal.«
»Und meine hundert Pfund?«
»Ach, Sie haben doch sicher eine Möglichkeit, die abzuschreiben, Mr McKechnie.« Warum waren sich bloß alle so sicher, dass er seine Verluste absetzen konnte? Wollten sie es ihm leichter machen – oder sich selbst?
Zwei Wochen später meldete sich Salvatore wieder; wieder war ein Einwurf fällig, und wieder gingen hundert Pfund den Bach runter, weil Sullivans Leute nicht bemerkten, wie das Geld abgeholt wurde, oder weil sie im entscheidenden Moment abgelenkt wurden oder weil sie, wie McKechnie am Telefon mutmaßte, ganz einfach geschlafen hatten.
»Hören Sie, solche üblen Verdächtigungen helfen auch nicht weiter«, sagte Sullivan. Er äußerte höfliches Bedauern für das Versagen seiner Männer, doch ohne dass er zutiefst unglücklich geklungen hätte.
McKechnie war zutiefst unglücklich. Er hatte sich darauf eingelassen, dass Sullivan den Fall übernahm, weil er hoffte, es würde sich etwas bewegen. Seitdem war die Akte mit dem Anschlitzen seiner Frau von Guildford nach West Central überwiesen worden, aber das war auch schon das Einzige, was sich bewegt hatte. In vier Wochen hatte er zweihundertfünfzig Pfund verloren, niemand wusste, wer seine Frau überfallen hatte, und Sullivan schien alles wurscht zu sein. Er konnte nicht einmal zu Sullivan hingehen, weil ihm Salvatore oder seine Handlanger offensichtlich nachschnüffelten oder irgendwo einen Spion sitzen hatten; und so blieb ihm nichts anderes übrig, als in seinem Büro an seinem Telefon zu hocken und auf Sullivans schlechte Nachrichten zu warten.
Als Sullivan für den Verlust des dritten Hunderters gesorgt hatte, entschloss sich McKechnie zu einem neuen Vorstoß. Er rief in West Central an und verlangte Polizeikommissar Shaw. Er machte ihm klar, dass er ihn dringend privat sprechen müsse; ob sie sich wohl morgen oder übermorgen auf ein Glas treffen könnten, und zwar möglichst weit weg von ihren gewohnten Jagdgründen? Shaw war einverstanden.
Sie trafen sich in einem Säuferpub in der Nähe der U-Bahn-Haltestelle Baker Street, einer riesigen, freudlosen Stätte, in der man nie daran dachte, zwischen den Öffnungszeiten den Zigarettennebel auszulüften; die Gäste schätzten es vor allem deshalb, weil es auf so trübe Weise anders war als das, was sie zu Hause erwartete. Dort warteten Ehefrauen und Kinder und Sauberkeit und ihr Lieblingsgericht auf sie, und deshalb schätzten sie an dem Pub gerade seinen Schmutz, seinen Gestank, sein Männertum und seine trotzige Weigerung, sich mit Erdnüssen und Flips und modernen Mixern oder sonst etwas abzugeben, was schnatternde Herden von Sekretärinnen nach Feierabend angelockt und sie bei ihrem ernsthaften männlichen Trinken gestört hätte. Shaw legte hier oft eine Pause ein auf seinem Nachhauseweg mit der Metropolitan Line; McKechnie war noch nie da gewesen.
»Ich brauche einen Rat«, begann McKechnie. »Sie sollen mir einfach zuhören, wenn ich rede. Ich will Ihnen alles, was mir passiert ist, erzählen, und wenn Sie am Ende meinen, dass Sie dazu nichts sagen können, ohne dass es Ihnen oder Ihrer Arbeit in die Quere kommt, dann habe ich volles Verständnis, wenn Sie einfach nur austrinken und rausgehen. Ich bitte Sie nur um eins: dass Sie nichts von dem, was ich Ihnen erzähle, weitertragen. Abgemacht?«
Shaw nickte. Er war ein kleiner, fuchsgesichtiger Mann, der vor lauter Sorgen nie zum Lächeln kam. McKechnie erzählte seine Geschichte. Als zum ersten Mal der Name Sullivan fiel, meinte McKechnie in Shaws Gesicht einen Muskel zucken zu sehen, mehr nicht. Als er fertig war, zündete sich Shaw eine Zigarette an, um den herrschenden Mief noch etwas zu verstärken, tat ein paar Züge und sprach dann, ohne McKechnie anzusehen. Es schien fast, als wolle er die Verantwortung für seine Worte umgehen, als würde McKechnie nur zufällig mithören, wie das nun mal in Pubs passierte.
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