»Um zu meinen aktuellen Schwierigkeiten zurückzukehren, Herr Hauptkommissar.«
»O ja, natürlich.«
»Was soll ich wegen den fünfundzwanzig Pfund unternehmen?«
»Zahlen und als uneinbringliche Außenstände von der Steuer absetzen.«
»Ist das etwa Ihr Ernst?«
»Selbstverständlich. Sagt Ihnen das nicht auch Ihr natürlicher Instinkt? Würde das nicht jeder kleine Gauner, der was auf sich hält, auch so machen?«
»Das heißt also, ich soll mich verpissen?«
»Nein, ganz und gar nicht. Ich sage nur, Geschäft ist Geschäft. In Ihrem Geschäft hat man immer mal wieder kleinere Beträge abzuschreiben. Zu meinem Geschäft gehört es, dass ich nicht die Zeit meiner Leute verschwende, wenn ein Vorortganove das Blättchen in Guildford liest und aus einem anderen Vorortgauner fünfundzwanzig Mücken herausquetscht. Ist doch erstaunlich, wie rührig sich das private Unternehmertum zeigt, nicht wahr, Mr McKechnie? Einmal hatten wir einen Ganoven, der las immer die Todesanzeigen im Telegraph und schickte dann an die Adresse des Verstorbenen kleine Rechnungen von einer Änderungsschneiderei. Die Familie des Dahingeschiedenen erhielt die Rechnung – es handelte sich jeweils um vier oder fünf Pfund; er war nicht raffgierig – und zahlte in den meisten Fällen. Eigentlich ein natürlicher Instinkt. Wäre auch pietätlos, die Rechnungen eines lieben Verstorbenen nicht zu begleichen.«
»Was ging dann schief?«
»Wie? Ah, ja, irgendetwas geht immer schief, nicht wahr? Außer in den Fällen, wo nichts schief geht und wo es dann auch nichts zu erzählen gibt. Was schief ging, war ebenso simpel wie das, was so gut lief: Er beging den Fehler, eine Rechnung an einen Toten zu schicken, der aus einer Schneiderfamilie stammte. Das hat alle ziemlich amüsiert. Und es wurde ja niemand ernsthaft geschädigt. Er bekam nur zwei Jahre.«
»Haben Sie je von diesem Salvatore gehört?«
»O ja, den kennen wir. Großer Gangster hier am Ort. Mädchen, Hasch, bisschen Stoff, Hehlerei, Verladegeschäfte; ein sehr demokratischer Gangster, dieser Mr Salvatore.«
McKechnie war erstaunt; und verärgert. »Warum haben Sie mir das nicht eher gesagt? Jetzt können Sie sein Telefon anzapfen, wenn er mich morgen anruft.«
»Geduld, Mr McKechnie.« Sullivan hatte offenbar wieder seinen Spaß; für einen Moment hatte er sogar seine Ohren vergessen. »So ohne Weiteres können wir kein Telefon anzapfen. Das braucht erst einen fürchterlichen Papierkrieg, die Erlaubnis des Innenministeriums, die Unterschrift des Ministers. Und für grad fünfundzwanzig Mücken würde der doch nicht seine Unterschrift hergeben.«
»Warum nicht?«
»Ich will’s Ihnen sagen, Mr McKechnie. Weil Mr Salvatore keine Engelisch niecht ’priecht, sondern nur Itako. Tutto seine Leben. Und dann, zweitens, weil er nicht mehr unter uns weilt. Er starb vor ungefähr fünf Jahren. Angenehmer älterer Herr. Die Jungs hier gaben alle was für einen Kranz.«
»Mit wem habe ich dann gesprochen?«
»Andere Salvatores gibt’s hier nicht. Ich schätze, Sie sind einem Scherzkeks aufgesessen, Mr McKechnie, einem kleinen Witzbold.«
»Und was soll ich jetzt machen?«
»Ganz wie Sie belieben, Mr McKechnie. Zahlen Sie, wenn Sie Lust haben, und wenn nicht, sagen Sie ihm, er soll sich verpissen.«
»Und wenn er sich nicht verpisst?«
»Lassen Sie es mich mal so ausdrücken: Wenn er hartnäckig bleibt und bis zu einem Hunderter geht, dann kommen Sie wieder zu mir. Unter hundert ist es die Aufregung nicht wert.« In Sullivans Augen blinkte es bedeutungsvoll, als er das sagte. Nannte er McKechnie damit einen Preis?
Am anderen Morgen brachte Brian Rosie das Frühstück ans Bett, wie er es seit dem Überfall jeden Morgen getan hatte, und setzte sich dann unten hin mit der Zeitung und der Post. Sie hatten immer einander die Briefe geöffnet; für sie war es ein Zeichen ihrer Vertrautheit. Da waren ein paar geschäftliche Briefe für Brian, ein paar Wurfsendungen und ein kleiner brauner Umschlag, der an Mrs B. McKechnie adressiert war. Die eine Ecke fühlte sich etwas dicker an, etwas fleckig war er auch. McKechnie öffnete ihn vorsichtig, sah hinein und dann rasch die Treppe hoch, ob Rosie nicht gerade in dem Moment herunterkäme.
Das Erste, was er dem Umschlag entnahm, war ein Foto von Barbara. Keines, das er schon kannte. Sie ging eine Straße entlang, allem Anschein nach in London; dem Blickwinkel des Fotos nach zu schließen, war es vermutlich aus einem vorbeifahrenden Auto heraus aufgenommen worden. Es sah ihr sehr ähnlich, obwohl er nicht so ganz würdigen konnte, wie schön sie war, weil das Foto etwas versabbert war. Wo die Entwicklerflüssigkeit zerlaufen war, hatte es ihr das halbe Gesicht verschmiert. Er sah noch einmal in den Umschlag und wusste warum: Ein gebrauchtes Kondom gab langsam seinen Inhalt von sich. Er zerknautschte den Umschlag und schob ihn in die Tasche. Dann drehte er das Foto um. In Großbuchstaben war auf die Rückseite geschrieben:
LIEBE MRS MCKECHNIE WIR DACHTEN UNS SIE MÖCHTEN GERN MAL EIN BILD VON BARBARA SEHEN
McKechnie sah sich noch mal das Foto an. Allmählich erkannte er ein, zwei unscharfe Verkehrszeichen – ein Textilgeschäft, eine Bank, ein Theater. Das Bild war in der Shaftesbury Avenue aufgenommen worden, gleich bei seinem Büro.
Auf dem Weg zur Arbeit warf er den Umschlag mit dem Kondom weg. An seinem Schreibtisch versuchte er sich auf die Bestelleingänge des Tages zu konzentrieren, doch stattdessen ertappte er sich dabei, wie er die ganze Zeit auf das Klingeln des Telefons wartete. Irgendwann klingelte es dann auch.
»Mr McKechnie, wie geht es uns denn heute? So gut wie immer, darf ich hoffen?«
»Gut, ja.«
»Ihrer Frau geht’s gut?«
»Ja, warum auch nicht?«
»Warum auch nicht. Es sei denn, sie hätte heute keine rechte Freude an ihrer Post gehabt.«
»Davon ist mir nichts bekannt – ich bin aus dem Haus, bevor der Postbote kam.« Er wusste nicht einmal, warum er log; doch er hatte es satt, dass ihm der andere ständig zuvorkam.
»Ist auch egal; kommen wir zum Geschäftlichen. Ich muss sagen, wir sind ein bisschen ungehalten über Sie, Mr McKechnie. Sie wissen natürlich, was ich meine.«
»Nein.«
»Aber, aber, es war wirklich reichlich dumm, sich an die Polizei zu wenden. Wie konnten Sie nur auf den Gedanken verfallen, dass eine Polizeiwache effizienter arbeitet als eine andere? Ich bin mir sicher, dass sie Ihnen auch nicht sehr viel weiter helfen konnten.« (Er wusste gar nicht, wie recht er damit hatte.) »Wenn es Ihnen aber darum geht, das Risiko zu erhöhen, dann werde ich leider auch den Einsatz erhöhen müssen. Wegen Ihrer kleinen Indiskretion erhöhen die fünfundzwanzig sich auf fünfzig. Um Ihnen aber zu zeigen, dass Sie es mit gestandenen Geschäftsleuten zu tun haben, sollen Sie einen weiteren Tag Ziel haben. Fünfzig morgen, und ich werde mich am Vormittag wegen der Zustellung bei Ihnen melden.«
»Wie soll ich wissen, ob Sie es ernst meinen?«
»Probieren geht über Studieren, Mr McKechnie, Probieren geht über Studieren.« Der Hörer wurde aufgelegt.
McKechnie rief Sullivan an und berichtete ihm den Vorfall; Sullivan schien wenig begeistert, so schnell wieder von ihm zu hören. Er grunzte einmal, sagte »Zahlen Sie« und legte auf.
Nachdem er eine Nacht lang darüber geschlafen hatte, ging McKechnie am frühen Morgen zur Bank und hob fünfzig Pfund ab. Vielleicht hatte Sullivan recht, und es war nur eine einmalige Sache. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto weniger schien ihm das wahrscheinlich. Er hatte das sehr unangenehme Gefühl, dass damit etwas in Gang gebracht worden war, was sich sehr lange hinziehen konnte. Doch für den Anfang wollte er es vorsichtig angehen lassen. Um elf klingelte wieder das Telefon. Diesmal war die Stimme weniger verbindlich.
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