»Was wollen Sie?«
»Oh, ich bin so glücklich, dass Sie mich das fragen, Mr McKechnie. Das beweist zumindest, dass Sie kein Dummkopf sind. Was ich von Ihnen will, ist, dass Sie nachdenken. Ich will, dass Sie über das nachdenken, was man Aspekte und Perspektiven nennt. Das ist im Augenblick alles, was ich von Ihnen will. Und jetzt werde ich die Leitung frei geben, damit Sie weiter Ihren ehrbaren Geschäften nachgehen können.«
Der Hörer wurde aufgelegt.
Gehorsam begann McKechnie über die verschiedenen Aspekte nachzudenken. Wurde er erpresst? Bis jetzt jedenfalls nicht. Wurde er für eine Erpressung weichgeklopft? Wenn ja, dann gingen sie nach einer ausgefallenen Methode vor. War seine Frau zu Hause sicher? War er sicher? Sollte er sich noch mal an die Polizei in Guildford wenden? Sollte er zu der Wache hier in West Central, in der Broadwick Street, gehen? Sollte er womöglich versuchen, die Untersuchung nach West Central überwiesen zu bekommen in der Hoffnung, dass die Sache mit Barbara unterwegs verloren ginge? Doch was konnte er denen hier schon erzählen? Eins konnte er auf jeden Fall tun: mit Shaw sprechen, dem Kommissar in West Central, mit dem er hin und wieder einen trank. Vielleicht sollte er das erst mal tun.
Er rief die Wache West Central an, wo man ihm sagte, dass Shaw eine Woche Urlaub habe. Ob er mit jemand anderem sprechen wolle. Nein, danke.
Zwei Tage später stellte Belinda durch und sagte ihm, Mr Salvatore sei wieder am Apparat.
»Mr McKechnie, geht’s noch immer gut? Schön. Ich will nicht zu viel von Ihrer kostbaren Zeit beanspruchen. Ich darf annehmen, dass Sie ein wenig nachgedacht haben. Sie haben sich natürlich nicht noch mal bei der Polizei gemeldet, um Ihre kleine Beichte abzulegen?«
McKechnie schwieg.
»Nein, natürlich nicht. Jetzt will ich Ihnen sagen, was Sie für mich tun sollen. Sie werden mir mit etwas Geld aushelfen. Nicht sehr viel. Eigentlich sehr wenig Geld. Zwanzig Pfund. Nein, sagen wir fünfundzwanzig. Sie gehen also morgen zu Ihrer Bank – oder Sie nehmen es aus der Portokasse, da bin ich nicht kleinlich – und warten dann auf meinen nächsten Anruf, in dem ich Ihnen sagen werde, was Sie damit tun sollen. Ziemlich simpel, das Ganze, Mr McKechnie. Oh, und Sie dürfen versichert sein, auch wenn das neu für Sie sein sollte, für mich ist es das nicht.«
Das Telefon verstummte. McKechnie holte tief Luft, zog sein Sakko über, sagte Belinda, dass er für ein paar Minuten weggehe, und marschierte dann zur West-Central-Wache.
West Central war eine jener Polizeiwachen, die es einfach nie bis zur Modernisierung schafften. Vor zehn Jahren hatten sie die blaue Lampe von ihrer Konsole an der Mauer herabgenommen und nach fünf Jahren hatte man ein neues Schild angebracht, ein schmales weißes, das von einer Neonröhre beleuchtet wurde und auf dem WEST CENTRAL POLICE STATION zu lesen war. Doch danach verlangsamte sich der Prozess merklich: Die graue Wandfarbe drinnen wurde schwärzer; das Kantinengeschirr hatte jedes Jahr mehr angeschlagene Stellen; die Laune wurde mieser.
Shaw befand sich noch immer in Urlaub, und McKechnie wurde stattdessen an Hauptkommissar Sullivan verwiesen, einen mürrischen fleischigen Mann mit fünfundzwanzig, zehn davon auf dieser Piste verbrachten Dienstjahren, den Verbrechen aller und Kläger fast jeder Art nicht mehr beeindrucken konnten. McKechnie erzählte seine Geschichte – der Überfall auf seine Frau, der aufgespießte Kater, die Anrufe, die Geldforderung –, während Sullivan auf seinem Schreibtisch Papiere herumschob und gelegentlich mit einem Streichholz in seinen Ohren polkte.
Als er fertig war, sagte Sullivan nur:
»Das mit dem Kater hab ich noch nie gehört. Der Rest ist nichts Neues. Braucht ganz schön viel Kraft, um den Spieß durch einen Kater zu treiben. Man kriegt dabei wohl ein paar Kratzer ab, was?«
McKechnie war ungeduldig, weil die Polizei für den Tod seines Katers so viel Interesse aufbringen konnte.
»Und was ist mit der Verletzung meiner Frau und der Erpressung?«
»Woher wollen Sie wissen, dass es sich um Erpressung handelt?«
»Aber natürlich ist es Erpressung.«
»Sprach der Mann von dem, was er tun würde, wenn Sie nicht zahlen?«
»Nein.«
»Dann hat er es vielleicht nur mal probieren wollen. Vielleicht haben die beiden Geschichten auch gar nichts miteinander zu tun. Vielleicht hat er nur Ihr Lokalblättchen gelesen und gemeint, er könnte mal sein Glück versuchen.«
Das war ausgeschlossen, dachte McKechnie, weil dieser Salvatore über Barbara Bescheid wusste, und davon hatte nichts in der Zeitung gestanden. Doch er sagte bloß: »Nicht sehr wahrscheinlich, oder?«
»Aber möglich.« Sullivan war offenbar ganz wild darauf, seine Bemühungen um diesen Fall so gering wie möglich zu halten. McKechnie wartete. Schließlich verlagerte Sullivan sein Gewicht auf dem Stuhl, scharrte wieder im Ohr und sagte: »Ich könnte den Fall wohl hierher überwiesen bekommen.« Er ließ wenig Begeisterung erkennen. »Soll ich das tun?«
»Wenn Sie das für das Beste halten. Was immer da los ist, mit meinem Wohnort hat es jedenfalls nichts zu tun.«
Sullivan nickte, kam langsam auf die Füße und verschwand. Als er zurückkam, schien er womöglich noch weniger begeistert von McKechnies Anwesenheit in seinem Büro. Wenn McKechnie nur endlich gehen würde, so schien sein Blick anzudeuten, dann könnte er weitermachen und seine Ohren einer gründlichen Reinigung unterziehen.
»Also, die schicken mir die Unterlagen«, sagte er. »Ein Beamter namens Bayliss. Sagte, nach dem Laborbericht sei der Kater drei Stunden lang geröstet worden. Muss widerlich gestunken haben, was?«
»Weiß ich nicht mehr.«
»Na, na, Mr McKechnie, sicher wissen Sie das noch. Und, äh, wo wir grade bei widerlichen Gerüchen sind: Hier drin riecht es doch auch etwas eigenartig.«
McKechnie sah sich um.
»Nein, nein, Sie brauchen sich gar nicht umzusehen. Ich meine, dass da von Ihrem Stuhl auch ein ziemlich widerliches Gerüchlein aufsteigt, Mr McKechnie. Wir haben unser Näschen wohl nicht immer ganz sauber gehalten, was? Sind selber ein kleiner Gauner, nicht wahr, Mr McKechnie? Es bleibt doch noch ein Weilchen bei McKechnie? Denn falls Sie sich mit dem Gedanken tragen, mal wieder zu wechseln, saus ich schnell mal raus und bring Ihre Akte auf den neuesten Stand.«
»Das ist doch alles Jahre her.«
Und es war auch zweihundert Meilen weit entfernt gewesen. Schlechte Gesellschaft, Versuchung, so was konnte jedem passieren. Man kann kein Unternehmen leiten, ohne gelegentlich in Versuchung geführt zu werden. Doch wie war Sullivan an sein Strafregister rangekommen?
»Das ist doch Jahre her«, wiederholte er. »Ich war der Meinung, es gäbe da so ’ne Verfügung über die Löschung von Vorstrafen, Verjährung und so?«
»Gibt es, Mr McKechnie, gibt es.« Sullivan wurde langsam munter. Er schien an diesem Teil der Unterhaltung seine helle Freude zu haben. »Aber die gilt jetzt nicht für uns, oder? Oder jedenfalls nicht so, wie es gedacht war. Und wenn sich jemand bei uns auf der Piste niederlässt, dann möchten wir gern ein bisschen was über ihn wissen, auch wenn er nur eine kleine Nummer ist.«
»Aber Sie wissen doch, Herr Hauptkommissar, man kann kein Unternehmen leiten, ohne gelegentlich in Versuchung geführt zu werden.«
»O ja, bestimmt, Mr McKechnie. Beim Lesen unserer kleinen Akte über Sie hat mich nur überrascht, dass es damals in Leeds nicht mehr Verkehrsunfälle gab.« Er kicherte. »Bei all dem Zeug, das den Lkw einfach so von der Ladefläche gefallen ist.«
McKechnie schwieg.
»Doch ich würde sagen, lassen wir Vergangenes vergessen sein.« Sullivan klang, als könne er kaum hoffen, auch nur sich selbst von diesem Grundsatz zu überzeugen, und schon gar nicht jemand anderen.
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