Inquiry ist eine dynamische Funktion unseres Bewußtseins, unserer Seele, die flexibel, empfänglich und spielerisch sein muß, damit sie wirklich intelligent sein kann. Sie muß von Intelligenz inspiriert und von Verständnis informiert sein. Wenn man etwas erforscht, muß man seine Intelligenz benutzen, und was man an Verständnis hat, muß man auf die Erfahrung des Augenblicks anwenden. Bei der Inquiry geht es nicht darum, willkürlich eine Frage zu stellen; alle Fragen müssen auf eine organische Weise gestellt werden. Das ist es, was Intelligenz eigentlich ist: eine organische und angemessene Empfänglichkeit für jede Situation.
Intelligenz verleiht unserer Inquiry die Fähigkeit, sich auf die Besonderheiten der Situation einzustellen. Manchmal erkennt man die Notwendigkeit von einer Menge Entschlossenheit, von einer Menge Kraft und Willen, um durch eine bestimmte Manifestation hindurchzudringen, denn da kann es zum Beispiel eine sture Trägheit oder Angst geben. Oder die Situation wird vielleicht so subtil, daß man sie nicht sieht, und man muß still, ruhig und fein werden, damit die Inquiry ein sehr zartes Abtasten der Situation sein kann. In diesem Fall wird sogar der Wille zu einer sanften Empfänglichkeit, zu einer mühelosen Präsenz, während man sehr feinfühlig in die Situation hineinspürt. Manchmal verlangt die Situation die Zartheit und Wärme von Mitgefühl, weil Schmerz und Verletzung in den Vordergrund treten. Manchmal braucht man den Humor und das Spielerische der Freude, damit die Inquiry sich trotz Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung weiter entfalten kann.
Also ist Inquiry nicht nur auf einer Wellenlänge aktiv. Aufgrund ihrer Intelligenz und Empfänglichkeit für die sich entfaltende Situation stellt sich Inquiry immer so ein, daß sie dem angemessen ist, was man gerade erforscht, und sie paßt sich an, wenn sich das Thema ändert. Wenn Sie zum Beispiel einen bestimmten Zustand untersuchen und sich ein Widerstand meldet, würden Sie den Widerstand nicht frontal angehen, weil Sie schon ein gewisses Verständnis davon haben, daß man Widerstand nicht überwinden kann, indem man frontal gegen ihn angeht. Dieses Verständnis macht Ihre Inquiry intelligenter, und Sie können die Inquiry auf den Widerstand selbst richten. Inquiry wird dann von Ihrer Intelligenz und Ihrem schon erworbenen Verstehen geleitet. Die Geschicklichkeit, die hier verlangt ist, besteht in dem Wissen, wie man schon vorhandenes Wissen und Erfahrung als Verstehen nutzen kann, das die Inquiry informiert. Dann kann man so forschen, daß dieses intelligente Verständnis die Inquiry nicht blockiert oder Barrieren erzeugt, die sie begrenzen.
In jeder Inquiry muß man berücksichtigen, daß sich alles dauernd verändert, daß Erfahrung nie fixiert bleibt. Zum Beispiel erlebt man eine bestimmte Angst. Wenn man diese Erfahrung untersucht, begegnet man vielleicht einer gewissen Art Spannung oder einer bestimmten Bewertung. Man muß das in der Inquiry berücksichtigen, und man kann nicht die Angst ungeachtet neuer Faktoren weiter erforschen, denn die Erfahrung ist nicht mehr nur Angst. Abwehr wird sich einstellen und andere Zustände und Gefühle werden auftauchen, also wird sich die Inquiry auf eine intelligente Weise anpassen müssen, um auf dieses ständig wechselnde Szenario zu reagieren.
Inquiry kann so empfindlich sein, daß sie manchmal erkennt, daß sie eine Zeitlang aufhören muß. Man kann eine Stelle erreichen, wo man fühlt, daß es an der Zeit ist, keine Frage zu stellen, sondern nur in vollkommener Stille zu sein. Die Inquiry kann sich dann wieder spontan von sich aus und mit neuen, frischen Möglichkeiten melden.
Inquiry ist auch in ihrer Anwendung von Achtsamkeit und Konzentration intelligent. Inquiry verlangt die globale Bewußtheit von Achtsamkeit ohne Identifikation, damit man die ganze Situation sehen kann, mit der man arbeitet. Wenn man sich der ganzen Situation zuwendet, beginnt man Muster zu erkennen. Wenn man die Muster sieht, beginnt die Inquiry, sich darauf zu fokussieren und zu konzentrieren, wo die ganzen Muster hinführen. Eine Zeitlang wird die Richtung, in die die Muster führen, zum Gegenstand der Inquiry, dem man sich mit intensiver Konzentration zuwendet. Aber die Inquiry ist so intelligent, daß sie, selbst wenn sie sich konzentriert, immer noch aufmerksam ist, so daß es eine Antwort geben wird. Wenn man sich zum Beispiel darauf konzentriert, daß man Liebe fühlt, und dieses Gefühl untersucht, hat man vielleicht alle möglichen Reaktionen darauf, daß dieses Gefühl aufkommt. Ohne Achtsamkeit werden einem diese Dinge entgehen und man wird sie nicht berücksichtigen, wenn man den Zustand der Liebe untersucht.
Achtsamkeit und Konzentration kommen in unterschiedlichem Verhältnis vor, je nach dem, wie sich die Situation verändert, die man erforscht. Manchmal benutzt man bei der Inquiry als Hauptfähigkeit diese Achtsamkeit, und manchmal dominiert Konzentration. Manchmal enthält die Achtsamkeit ein Element von Konzentration. Ein anderes Mal wird Konzentration so dominant, daß ein Punkt erreicht wird, daß man Achtsamkeit vergißt. Aber im allgemeinen braucht man diese Achtsamkeit, und sie ist fast immer da, weil es sehr selten vorkommt, daß sich in unserer Erfahrung nur ein Einziges manifestiert. Ein Ding führt immer zu anderen Dingen, und all das verlangt die allgemeine und globale Bewußtheit von Achtsamkeit.
Die Kraft der Standpunktlosigkeit
Die Intelligenz, die wir in der Inquiry benutzen, ist die Intelligenz des Mysteriums des Seins. Diese Essenz von Sein ist die Null, die die Quelle aller Unendlichkeiten, die Unbestimmtheit, die die Quelle aller Bestimmungen und Unterscheidungen ist. Genauer gesagt, damit Intelligenz den Hyperdrive einschalten kann, muß sie in ihrem Kern die vollständige Offenheit der Unbestimmtheit, die absolute Leere der Essenz von Sein haben. Sonst wird Intelligenz durch die verschiedenen Ideen, Standpunkte und Konzepte im Kopf, durch unsere Vorstellungen davon begrenzt sein, was passieren und was sein kann.
Also muß Intelligenz als ihre Quelle diese Unbestimmtheit haben, dieses vollständige Mysterium, das ihr ihre maximale Kraft gibt, wo Intelligenz das ganze Verstehen, das ganze Wissen benutzen kann, das wir haben, ohne die Funktion dieser Intelligenz zu beschränken. Sie kann ihre Kraft, ihr Mitgefühl und ihre Zartheit oder Entschlossenheit nutzen, ohne die Einschränkungen durch vorgefaßte Meinungen oder schon etablierte Standpunkte oder Meinungen über das, was geschehen sollte. Sie ist ganz und gar flüssig.
Damit die Inquiry den Hyperdrive einschalten kann, muß sie also durch die Freiheit dieser nichtkonzeptuellen Offenheit angetrieben werden. Das führt darauf hinaus, daß man eine Inquiry macht, ohne eine Identität zu haben, da Identität darauf beruht, daß wir Standpunkte einnehmen. Wir nehmen einen Standpunkt ein, um ein Gefühl von Identität zu etablieren. Keinen Standpunkt zu haben, bedeutet also, daß wir keine Identität haben können. Das ist der Grund, weshalb die Essenz des Seins, das Absolute, die Erfahrung ist, keinen Standpunkt zu haben.
Wenn der innere Kern von Intelligenz diese absolute Unbestimmtheit ist, dann fließt die Inquiry, ohne von einem etablierten Standpunkt auszugehen. Man geht nicht einmal von der Sichtweise aus, daß man ein Mensch ist – und nicht einmal, daß man überhaupt existiert. Die nächste Dimension könnte vollständige Nichtexistenz sein. Wie also soll man zu dieser Dimension gelangen, wenn man auf dem Standpunkt steht, daß man existiert? Zu glauben, man existierte oder daß überhaupt irgend etwas existiert, könnte zu einer Barriere werden. Aber Unbestimmtheit sagt nicht, es gäbe entweder Existenz oder Nichtexistenz. Sie sagt überhaupt nichts. Unbestimmtheit bedeutet, daß man keinen Standpunkt einnimmt. Absolut keine Aussage, vollkommene Freiheit.
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