Figura figura ist nicht das einzige Wort, welches im Lateinischen für RealprophetieRealprophetie gebraucht wird; sehr oft findet man die aus dem Griechischen übernommenen Ausdrücke allegoria Allegorie und besonders typus ; allegoria figura figura u. allegoria bedeutet allgemein jede tiefere Bedeutung, nicht nur die Realprophetie, doch ist die Grenze fließend, denn auch figura und figuraliter gehen oft über den Bezirk des Realprophetischen hinaus. TertullianTertullian verwendet allegoria fast gleichbedeutend mit figura figura figura bei den Kirchenvätern , wenngleich viel seltener, und bei ArnobiusArnobius ( adv. nationes 5, 32) findet sich der Gegensatz historia historia und allegoria ; allegoria wurde auch durch Gal. 4, 24 gestützt. Immerhin ist allegoria nicht überall gleichbedeutend mit figura zu verwenden, da es nicht den Inhalt «Gestalt» umfaßt; man konnte nicht schreiben Adam est allegoria Christi. Dagegen steht typus τύπος (typus) nur als Fremdwort hinter figura zurück, was freilich recht wichtig ist, denn für diejenigen, deren Sprache das Lateinische (oder später eine romanische Sprache) war, erweckte figura figura mehr oder weniger bewußt all die Vorstellungen, die in seiner Bedeutungsgeschichte enthalten waren, indes typus ein übernommenes und unlebendiges Zeichen blieb. Was nun die lateinischen Worte betrifft, die neben und anstelle von figura für «RealprophetieRealprophetie» verwandt wurden oder doch dafür in Betracht kamen, so sind es folgende: ambages ambages , effigies effigies , exemplum exemplum , imago imago , similitudo similitudo , species species und umbra umbra . Ambages scheidet aus, da es allzu peiorativ ist; effigies ist als «Abbild» zu eng und hat, auch im Vergleich zu imago , wie es scheint, wenig Expansionskraft entwickelt: die anderen schneiden alle auf verschiedene Weise die Bedeutung «RealprophetieRealprophetie», erfüllen sie aber nicht. Sie werden alle gelegentlich verwendet, am häufigsten imago und umbra . Imagines , absolut und ohne Genitiv, hießen in den römischen Häusern die Ahnenbilder, im christlichen Gebrauch wurden es die Bilder der Heiligen, so daß die Bedeutungsgeschichte von imago einen anderen Verlauf nahm; immerhin war, nach der VulgataVulgata, der Mensch ad imaginem Dei geschaffen, und so hat die Konkurrenz von imago sich lange neben figura gehalten, allerdings nur an solchen Stellen, wo die Bedeutung «Bild» aus dem Zusammenhang heraus mit «Realprophetie» identisch wurde. Umbra umbra wurde vor allen durch einige Stellen aus den Apostelbriefen gestützt (Kol. 2, 17; Hebr. 8, 5 und 10, 1); es kommt sehr viel vor, doch handelt es sich dabei eher um eine metaphorische Fassung des Begriffs RealprophetieRealprophetie als um diesen selbst. Jedenfalls vereinigte keines dieser Worte die Elemente des Begriffs so vollständig wie figura figura : das Schöpferisch-Bildende, den Wandel im bleibenden Wesen, das Spiel zwischen Abbild und Urbild; und so ist es nicht verwunderlich, daß figura am häufigsten, am allgemeinsten und am bezeichnendsten dafür verwendet wurde.
III. Entstehung und Analyse der Figuraldeutung Figuraldeutung
Wir haben uns im letzten Abschnitt mehrfach und unwillkürlich von der rein semantischen Betrachtung entfernt, weil der Inhalt, den das Wort bei den patristischen Schriftstellern ausdrückt, selbst erklärungsbedürftig ist. Dieser Inhalt legt uns nahe, noch genauer zu untersuchen, wie er entstand, ihn gegen verwandte Inhalte abzugrenzen und die Frage seiner geschichtlichen Bedeutung und Wirkung zu prüfen.
Die KirchenväterKirchenväter berufen sich häufig zur Rechtfertigung der FiguraldeutungFiguraldeutung auf einige Stellen der urchristlichen Überlieferung, die meist aus den Apostelbriefen stammen.33 Am wichtigsten ist hier 1. Kor. 10, besonders v. 6 und 11, wo die Juden in der Wüste als τύποι ἡμῶν bezeichnet werden und wo von ihrem Schicksal gesagt wird: ταῦτα δὲ τυπιϰῶς συνέβαινεν ἐϰείνοις; daneben findet man häufig Gal. 4, 21–31; dort handelt es sich darum, daß PaulusPaulus (Apostel) den neugetauften Galatern, die sich, unter judaistischem Einfluß, beschneiden lassen wollen, den Unterschied zwischen Gesetz und Gnade, altem und neuem Bunde, Knechtschaft und Freiheit an dem Gegensatz Hagar-Ismael und Sara-Isaak darstellt, wobei er die Erzählung der Genesis in Verbindung mit Jes. 54, 1 realprophetischRealprophetie deutet; oder auch Kol. 2, 16f., wo es um die jüdischen Speisegesetze und Feiertage geht, von denen gesagt wird, sie seien nur Schatten des Kommenden, der Körper aber ist Christus; Röm. 5, 12ff. und 1. Kor. 15 , 21, wo Adam als τύποςτύπος des zukünftigen Christus erscheint, beide Male im Zusammenhang des Gegensatzes Gesetz und Gnade; 2. Kor. 3, 14, wo von der Decke, ϰάλυμνα, gesprochen wird, die auf der Schrift liegt, wenn die Juden sie lesen; schließlich noch Hebr. 9, 11ff., wo das Opfer des Blutes Christi als Erfüllung des alten hohepriesterlichen Opfers dargestellt wird.
Es sind, wie man sieht, fast alles PaulusPaulus (Apostel)stellen. Daß die FiguraldeutungFiguraldeutung von vornhinein in der Mission eine bedeutende Rolle gespielt hat, läßt sich auch aus manchen Stellen der Apostelgeschichte (z. B. 8, 32) vermuten. Es wäre nur ein natürlicher und nicht weiter erklärungsbedürftiger Vorgang, wenn die neuen JudenchristenJudenchristentum in den jüdischen heiligen Schriften nach Vorankündigungen Jesu und Bestätigungen seines Wirkens gesucht und die so gefundenen Deutungen der Überlieferung hinterlassen hätten; um so mehr, als ihnen die Anschauung, der Messias werde ein zweiter Moses, die Erlösung durch ihn werde ein zweiter Auszug aus Ägypten sein, bei dem sich die Wunder des ersten wiederholen würden, geläufig war.34 Doch ergibt die Prüfung der oben aufgezählten Stellen, zumal im Zusammenhang mit dem Ganzen des paulinischen Wirkens, daß sich jene jüdischen Vorstellungen bei ihm mit einer Gesinnung verbanden, die im schärfsten Gegensatz zum JudenchristentumJudenchristentum stand und aus ihr erst ihre eigentümliche Bedeutung gewannen. Die Stellen der Apostelbriefe, die figurale Deutungen enthalten, sind fast alle aus dem scharfen Kampf um die Heidenmission heraus geschrieben, vielfach geradezu defensiv und polemisch gegen judenchristliche Angriffe und Verfolgungen; und sie haben fast alle die Absicht, das Alte TestamentAltes Testament seines normativen Charakters zu entkleiden und als bloßen Schatten des Kommenden aufzufassen. Die ganze FiguraldeutungFiguraldeutung steht unter dem paulinischen Grundthema des Gegensatzes von Gesetz und Gnade, Werkgerechtigkeit und Glaube: das alte Gesetz ist aufgehoben und abgelöst, es ist Schatten und τύπος, seine Gesetzestreue ist unnütz und verderblich geworden, seit Christus durch sein Opfer die Erfüllung und Erlösung gebracht hat; nicht gesetzestreue Werke rechtfertigen den Christen, sondern der Glaube; und in seinem jüdischen und judaistischen Gesetzessinne ist das Alte Testament der Buchstabe, der tötet, indes die wahren Christen Diener des Neuen Bundes sind, des Geistes, der lebendig macht; dies war PaulusPaulus (Apostel)’ Lehre, und mit dringender Frage sucht der einstige Pharisäer und Gamalielschüler im Alten TestamentAltes Testament selbst nach Stützpunkten für seine Gesinnung. Es wird ihm im ganzen aus einem Gesetzbuch und einer Geschichte Israels zu einer einzigen großen Verheißung und Vorgeschichte Christi, in der nichts endgültige Bedeutung, sondern alles Vorbedeutung ist, welche sich jetzt erfüllt hat; in der alles «für uns geschrieben» (1. Kor. 9, 10, vgl. Röm. 15, 4) ist und in der eben die bedeutendsten und heiligsten Vorgänge, Sakramente und Gesetze vorläufige Vorformen und Figurationen Christi und des Evangeliums sind: et enim Pascha nostrum immolatus est Christus (1. Kor. 5, 7).35 Auf diese Art verwandelte sein Geist, der in einer beispielhaften Weise die praktisch-politischen mit den dichterisch gestaltenden Glaubenskräften verband, die jüdische Vorstellung von der Wiedererstehung des Moses im Messias zu einem System der RealprophetieRealprophetie, in dem der Wiedererstandene das Werk des Vorläufers zugleich erfüllt und aufhebt; und was das ATAltes Testament dabei an Gesetzeskraft und an geschichtlich-volkstümlicher Eigenständigkeit einbüßte, gewann es an neuer dramatisch-konkreter Aktualität. PaulusPaulus (Apostel) hat keine zusammenhängende Deutung des AT verfaßt, aber die wenigen Stellen über den Auszug aus Ägypten, Adam und Christus, Hagar und Sara usw. verraten zur Genüge, was er gemeint hat. Die Kämpfe der Folgezeit um das AT sorgten dafür, daß seine Auffassung und Deutung nicht unterging; zwar nahm der Einfluß der gesetzestreuen JudenchristenJudenchristentum bald ab, dafür erstarkte die Gegnerschaft von Seiten derer, die das AT entweder ganz ausschalten oder nur abstrakt allegorisch deuten wollten, wodurch der Zusammenhang der providentiellen Weltgeschichte, die innerwirkliche Konkretheit und damit wohl auch etwas von der großen und allgemeinen Überzeugungskraft dem Christentum hätte verlorengehen müssen. In diesem Kampfe gegen die Verächter und Entleerer des AT hat sich die realprophetischeRealprophetie Methode aufs neue bewährt und seiner Geltung eben im christlichen Verheißungssinne zum Siege verholfen.
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