Gönnen Sie sich Bedenkzeit. Sie müssen nicht immer sofort »Ja« oder »Nein« sagen!
Bereiten Sie sich darauf vor, dass man Ihnen möglicherweise Egoismus vorwerfen wird, wenn Sie für Ihre Bedürfnisse einstehen. Wenn Sie jedoch genau spüren, dass Sie nicht egoistisch, sondern selbstfürsorglich sind, prallen solche Vorwürfe an Ihnen ab. Denken Sie daran: Durch Selbstfürsorge sammeln Sie Kraft, werden gelassener und ausgeglichener. Dann sind Sie viel besser in der Lage, sich für andere Menschen einzusetzen und Ihre Herausforderungen gut zu bewältigen.
Genuss ist ein wichtiger Bestandteil der Selbstfürsorge. Wenn Ihnen etwas gefällt, wenn Sie Freude haben oder einen angenehmen Sinneseindruck wahrnehmen, genießen Sie den Moment und sind ganz bei sich. Sie halten inne, kommen zur Ruhe, tanken Kraft und erleben idealerweise einen Glücksmoment. Genuss macht Spaß! Um Ihre Selbstfürsorge zu verbessern, lade ich Sie zu einem Genusstraining ein, das Sie jeden Tag üben können. Sie verbessern damit Ihre Aufmerksamkeitsfokussierung, werden achtsamer und nehmen Ihre Welt differenzierter wahr.
Genuss braucht Zeit und Raum – gönnen Sie sich im Alltag immer wieder den Luxus, genießen zu können und zu dürfen. Das Geheimnis des Genießens liegt im Hier und Jetzt des Erlebens: Verweilen Sie im Moment, seien Sie achtsam und aufmerksam, ohne zu bewerten, und bleiben Sie mit Ihren Gedanken bei der Sache. Schweifen Sie nicht ab ins Vergangene oder Kommende, sondern nehmen Sie den Genussmoment mit offenen Sinnen und offenem Herzen wahr. Genuss bedeutet Entschleunigung und Qualität. Langsam und wenig ist zumeist genussvoller als schnell und viel!
Ihr Genusstraining spricht alle Sinne an und hat einen individuellen Charakter. Das, was Sie genießen können, ist für einen anderen Menschen vielleicht weniger genussvoll – es kommt also darauf an, dass Sie sich Ihre ganz persönlichen Genussmomente und -eindrücke verschaffen. Suchen Sie sich aus der Liste von Genussvorschlägen in Tabelle 2.1diejenigen heraus, die Sie besonders ansprechen, und nehmen Sie sich jeden Tag ein wenig Zeit zum Genießen:
Halten Sie inne und nehmen Sie einen Sinneseindruck bewusst und achtsam wahr.
Atmen Sie ruhig und tief ein und aus.
Beschreiben Sie ganz detailliert, was Sie sehen, hören, riechen, schmecken oder fühlen. Verzichten Sie auf Bewertung!
Konzentrieren Sie sich auf diesen Sinneseindruck und bleiben Sie eine Weile mit Ihrer Aufmerksamkeit dabei. Lassen Sie alle anderen Gedanken kommen und gehen wie Wolken am Himmel.
Wenn Sie den Sinneseindruck ganz in sich aufgenommen und genossen haben, lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit langsam von dem Sinneseindruck weg. Bewahren Sie sich den Genussmoment und erinnern Sie sich im Laufe des Tages immer wieder daran.
Vielleicht schaffen Sie es, jeden Tag alle fünf Sinne zu trainieren. Oder Sie konzentrieren sich an einem Tag auf jeweils einen Sinn. Gönnen Sie sich Zeit und machen Sie möglichst viele unterschiedliche Erfahrungen. So wächst Ihr Genussrepertoire und Sie haben immer wieder neue Erlebnisse. Viel Spaß!
Sinneseindruck |
Genussvorschläge |
Sehen |
Farben, Formen, Strukturen, optische Täuschung, Landschaft, Kaleidoskop, Sternenhimmel, Lavalampe, Wellen, Menschen, Tiere |
Hören |
Rascheln, Plätschern, Rhythmen, Klänge, Musik, Stimmen, Lachen, Stille |
Riechen |
Frische Kräuter, Blumen, ätherisches Öl, Parfüm, Duftkerze, Natur, frische Wäsche |
Schmecken |
Obst, Kaffee, Tee, Saft, Schokolade, Chili, Gewürze, Salzgebäck, Bitterstoffe |
Tasten |
Handschmeichler, weicher Stoff, raue Oberfläche, Barfußparcours, Sand, Schaumbad, Knete, Igelball, Hautcreme |
Tabelle 2.1: Genusstraining für alle Sinne
Genusstraining ist in der Behandlung psychischer Erkrankungen hilfreich, denn Menschen mit einer Depression, Angststörung, Traumafolgekrankheit oder Suchterkrankung haben oft verlernt zu genießen. Wenn Sie selbst erkrankt sind, sprechen Sie Ihren Therapeuten auf ein Genusstraining an. Sind Menschen in Ihrer Umgebung psychisch krank, laden Sie sie ein, sich gemeinsam mit Ihnen auf Genuss einzulassen.
In seinem Buch Psychologie des Seins beschreibt Abraham Maslow, dessen Bedürfnispyramide Sie weiter vorne in diesem Kapitel kennenlernen, den Gipfel des individuellen Glücks und nennt dafür folgende Kriterien:
Die Gipfel-Glückserfahrung ist selbstlos und selbstvergessen, darin kann der Einzelne sich als übermenschlich erfahren.
Die Glückserfahrung beseitigt alle menschlichen Ängste und lässt die Welt als Einheit erscheinen.
In der Glückserfahrung werden Raum und Zeit unwichtig, sie besitzt einen Wert an sich und ist ehrfurchtgebietend.
Haben Sie in Ihrem Leben schon solche Glückserfahrungen gemacht? Versuchen Sie sich in diese Erfahrungen erneut hineinzufühlen: Wie lange hielt die Erfahrung jeweils an? Mit welchen Sinneseindrücken war sie verbunden? Können Sie das Glücksgefühl erneut aufrufen? Welche Auswirkungen hatte diese Gipfel-Glückserfahrung auf Ihr weiteres Leben? Je bewusster Sie Glückserfahrungen erleben und abspeichern, desto gelassener und zufriedener werden Sie im Alltag. Denn Sie wissen, dass das große Glück immer wieder auf Sie wartet und dass Sie sich in Glücksmomenten vollkommen fallen lassen können.
Nehmen Sie im Sinne der Selbstfürsorge Ihr Genusstraining ernst und beachten Sie die folgenden sieben Grundregeln aus der Kleinen Schule des Genießens des Psychologen Rainer Lutz:
Genuss braucht Zeit.
Genuss ist erlaubt.
Genuss geht nicht nebenbei.
Weniger ist mehr.
Aussuchen, was gut tut – Genuss ist individuell.
Ohne Erfahrung kein Genuss – erschließen Sie sich neue Genussbereiche.
Genuss ist alltäglich.
Askese kann den Genuss sogar noch erhöhen: Nach harter körperlicher Arbeit schmeckt das Essen doppelt gut, nach längerem Alkoholverzicht reicht schon ein kleines Glas Wein für die Entspannung aus, nach einer Zeit der sexuellen Enthaltsamkeit ist eine zärtliche Berührung besonders elektrisierend. Genießen Sie Ihr Leben, das ist Selbstfürsorge pur!
Kapitel 3
Stärken und Begabungen fördern
IN DIESEM KAPITEL
Die Persönlichkeit lebenslang weiterentwickeln
Auf eigene Talente konzentrieren
Schwächen positiv umformulieren
Fürsorglich mit innerem Widerstand umgehen
Selbstfürsorge ist umso wirksamer, je besser Sie sich kennen. Jeder Mensch hat eine einzigartige Persönlichkeit mit individuellen Stärken und Begabungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Sie sind genetisch vorbestimmt, werden durch äußere Faktoren wie Erziehung und Lebensumstände beeinflusst und entwickeln sich ein Leben lang weiter. Durch Selbstfürsorge können Sie Ihre Stärken optimal entfalten, Ihre Begabungen und Fähigkeiten fördern und neue Fertigkeiten entwickeln. Wenn Sie sich immer wieder auf Ihre Bedürfnisse und Wünsche besinnen, Ihre Stärken ernst nehmen und sich fürsorglich mit Ihren Schwächen auseinandersetzen, erhöhen Sie Ihre Lebensfreude, erreichen Ihre Ziele und bleiben gelassen und gesund. In diesem Kapitel erfahren Sie, wie Sie Ihre Stärken entdecken, sich umfassend kennenlernen und Ihre Persönlichkeit entfalten.
Die eigene Persönlichkeit weiterentwickeln
Die Persönlichkeit ist in ständigem Wandel begriffen. Sie entwickelt sich im Laufe des Lebens weiter und je nach Lebenssituation rücken Persönlichkeitsanteile in den Vorder- oder Hintergrund. Beantworten Sie die folgenden Fragen möglichst ehrlich und spontan mit Ja oder Nein:
Haben Sie eine aufmerksame Selbstwahrnehmung?
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