Hatten Sie Rechte und Pflichten in Ihrer Familie?
Wurden Konflikte ausgetragen oder unter den Teppich gekehrt?
Haben Sie am Vorbild Ihrer Eltern gelernt sich zu entschuldigen, wenn Sie Fehler machen?
Viele Menschen geben den Erziehungsstil der eigenen Eltern unreflektiert an die nächste Generation weiter, obwohl sie eigentlich alles viel besser machen wollten. Reflektieren Sie Ihren Umgang mit Ihren Kindern: Wenn Sie feststellen, dass Sie Ihre Kinder verwöhnen oder vernachlässigen, denken Sie über die Gründe dafür nach und versuchen Sie, Ihren Erziehungsstil zu verändern. Lassen Sie sich dabei unterstützen, wenn Sie überfordert sind. Erziehungsberatung ist in Deutschland eine Leistung der Kinder- und Jugendhilfe.
Ich-Stärke und Frustrationstoleranz werden zwar in der Kindheit geprägt, entwickeln sich aber im Leben fortlaufend weiter. Sie können Ihre Frustrationstoleranz erhöhen, indem Sie bei zwei widerstrebenden Bedürfnissen ganz bewusst entscheiden, welchem Bedürfnis Sie Vorrang einräumen, und zu dieser Entscheidung stehen, auch wenn es sich gerade nicht besonders gut anfühlt. Beim Thema Selbstfürsorge stehen sich beispielsweise folgende Bedürfnisse gegenüber:
das Bedürfnis nach einer Ruhepause und das Bedürfnis, eine Arbeit zu Ende zu bringen oder etwas Wichtiges zu erledigen,
das Bedürfnis nach angenehmer Freizeitbeschäftigung und das Bedürfnis, sich für andere Menschen zu engagieren.
Egal wofür Sie sich entscheiden, Sie frustrieren jeweils eines der beiden Bedürfnisse. Prüfen Sie, ob sich bei Ihnen die Frustration einigermaßen gleichmäßig verteilt, ob Sie also manchmal das Bedürfnis nach Selbstfürsorge befriedigen (Ruhepause, angenehme Freizeitgestaltung) und beim nächsten Mal die fremdfürsorglichen Bedürfnisse (Arbeit erledigen, anderen Menschen helfen). Wenn Ihre jeweilige Entscheidung fundiert ist und Sie sich dazu bekennen, sinken die negativen Gefühle und Ihre Frustrationstoleranz steigt.
Besonders interessant sind die Fälle, in denen sich zwei eigene Bedürfnisse entgegenstehen, die einen unterschiedlichen Zeithorizont haben, etwa:
das Bedürfnis nach einer leckeren Mahlzeit und das Bedürfnis, einen schlanken Körper zu haben,
das Bedürfnis nach etwas Materiellem und das Bedürfnis, sein Geld zusammenzuhalten.
Hier geht es um momentane Selbstfürsorge (leckeres Essen, materielle Wünsche) und langfristige Selbstfürsorge (schlank bleiben, sparen), die sich idealerweise ebenfalls die Waage halten sollten: Lassen Sie es sich immer mal wieder im Moment gut gehen, behalten Sie aber auch Ihre mittel- und langfristigen Ziele im Blick. Führen Sie sich vor Augen, dass manche Vorhaben nur umsetzbar sind, wenn Sie Selbstdisziplin üben und kurzfristige Bedürfnisbefriedigung aufschieben oder ganz darauf verzichten. Ist das längerfristige Ziel attraktiv genug, steigt Ihre Frustrationstoleranz fast von allein.
Fällt es Ihnen oft schwer, ein kurzfristiges Bedürfnis aufzuschieben, um ein längerfristiges Bedürfnis zu befriedigen? Dann haben Sie vielleicht ein Problem mit Ihrem inneren Schweinehund, der Sie immer wieder dazu verführt, den Augenblick zu genießen und auf langfristige Ziele zu pfeifen. Lesen Sie mein Buch Den inneren Schweinehund bändigen für Dummies , um künftig eine friedliche Koexistenz mit Ihrem Bremser führen zu können.
Um eigene Bedürfnisse konsequent zu befriedigen, werden Sie immer wieder »Nein« sagen müssen – entweder zu anderen Menschen, die ihre Bedürfnisse für wichtiger halten, oder zu Ihren eigenen Bedürfnissen, die dem aktuellen Wunsch zuwiderlaufen. Bevor Sie heute Abend ins Bett gehen, schätzen Sie bitte einmal, wie oft Sie im Verlauf des Tages »Nein« gesagt haben und wie oft Sie »Nein« sagen wollten, dann aber doch ein »Vielleicht« oder »Ja« aus Ihrem Mund herauskam. Wenn Sie noch nicht müde sind, analysieren Sie die Situationen, die Ihnen eingefallen sind (oder verschieben Sie die Analyse auf morgen früh):
Sie wollten einen anderen Menschen nicht enttäuschen oder zurückweisen.
Sie haben es nicht gewagt, für Ihr Bedürfnis einzustehen.
Das Bedürfnis eines anderen Menschen erschien Ihnen wichtiger als Ihr eigenes.
Sie befürchteten unangenehme Konsequenzen, falls Sie »Nein« sagen würden.
Sie fühlten sich überrumpelt, erpresst oder unter Druck gesetzt.
Sie wurden manipuliert.
Ihnen fielen keine guten Gründe für Ihr »Nein« ein.
Das Wörtchen »Ja« ist Ihnen einfach so rausgerutscht.
In dem Moment war es bequemer, »Ja« zu sagen.
Sie wollten nicht ausgeschlossen werden oder etwas verpassen.
Sie sind froh, wenn Sie gebraucht werden, und stellen dafür Ihre eigenen Bedürfnisse zurück.
Ihnen war gar nicht bewusst, dass Sie eigentlich »Nein« sagen wollten.
Vermutlich fallen Ihnen noch ganz andere Gründe ein, weshalb es schwierig war, für Ihr »Nein« einzustehen. Seien Sie nicht böse auf sich, sondern nutzen Sie Ihre Analyse als Lernchance. Je besser Sie sich kennen, desto einfacher ist es abzuwägen, welche inneren und äußeren Konsequenzen das Neinsagen für Sie hat. Und je besser Sie die Konsequenzen abschätzen können, desto leichter können Sie sich für ein bewusstes »Nein« entscheiden, um Ihre Selbstfürsorge zu verbessern.
Es gibt einen einfachen Trick, mit dem man sich im Berufs- oder Privatleben vor der Übernahme unliebsamer Aufgaben schützen kann: Wenn die Frage kommt »Wer macht's?«, sollten Sie entspannt aus dem Fenster schauen, sich auf Ihre Hände setzen (damit Sie nicht voreilig aufzeigen) und den Mund halten. Irgendjemand anders wird die angespannte Stille nach der Frage nicht aushalten und sich melden – aber das sind dann nicht Sie. Wenn sich wider Erwarten doch niemand meldet und aller Augen sich auf Sie richten, lächeln Sie freundlich in die Runde und sagen weiterhin nichts. Falls Sie dann doch jemand direkt anspricht, hatten Sie schon mindestens 60 Sekunden Zeit, um sich genau zu überlegen, ob Sie die Aufgabe übernehmen möchten oder nicht. Sie möchten nicht? Dann sagen Sie das klar und deutlich – und zwar ohne sich zu rechtfertigen.
Neinsagen ist für viele Menschen nicht leicht, aber man kann es lernen. Fangen Sie am besten schon morgen damit an. Sie fördern mit dem kleinen Zauberwort »Nein« Ihre Selbstfürsorge und schützen sich vor Zeit- und Energiefressern. Folgende Schritte helfen Ihnen bei diesem Lernprozess:
Achten Sie darauf, wie es sich anfühlt, wenn ein anderer Mensch »Nein« zu Ihrem Anliegen sagt. Lernen Sie das »Nein« des anderen zu akzeptieren.
Verpacken Sie Ihr »Nein« angemessen, freundlich oder humorvoll.
Machen Sie Gegenvorschläge, die Ihren Bedürfnissen eher entsprechen.
Zeigen Sie Verständnis für das Anliegen des anderen, bitten Sie aber auch um Verständnis für Ihr Bedürfnis.
Prüfen Sie die Beziehung zwischen sich und dem anderen: Ist sie Ihnen so wichtig, dass Sie wirklich bereit sind, Ihr Bedürfnis zugunsten des anderen zurückzustellen? Falls dies der Fall ist, sagen Sie aus vollem Herzen »Ja«, denn damit bejahen Sie vor allem die zwischenmenschliche Beziehung.
Begründen Sie Ihr »Nein«, ohne in eine Rechtfertigungsschleife zu geraten.
Bleiben Sie konsequent, auch wenn man Ihnen schmeichelt, Sie zu überreden versucht oder an Ihr Verantwortungsbewusstsein appelliert.
Wenn Sie sich bedrängt fühlen, sagen Sie das deutlich. Dadurch verschaffen Sie sich wieder Raum.
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