Ich sprang schnell unter die Dusche, schlüpfte in Hosenanzug und Bluse und schwang mich auf mein Rad. Nur fünf Minuten später saß ich an meinem Schreibtisch. Gerade an Tagen wie diesen liebte ich meinen kurzen Arbeitsweg. Wie erwartet war tatsächlich noch keiner da und so machte ich mich, während mein PC hochfuhr, daran, unseren Eingangsbereich einladend zu gestalten. Ich stellte die Blumenkübel raus und dazu die Dropflags, auf denen groß unser Logo prangte. Immer, wenn ich unser Logo sah, war ich wieder einmal unendlich stolz, für dieses gefragte Immobilienbüro arbeiten zu dürfen. Auf dem Weg zu meinem Schreibtisch machte ich noch einen kurzen Stopp an der Kaffeemaschine und öffnete dann neugierig meine Mails.
Tatsächlich hatte ich derzeit einige Mietobjekte im Angebot, wobei die Nachfrage gerade in Stadtnähe durch die Decke ging. Singles, junge Paare und auch zwei Familien waren an der wunderschönen Altbauwohnung in Stadtnähe interessiert, und ich lud sie alle zu einem Termin für Donnerstag ein. Ich mochte diese Massentermine zwar nicht, aber es machte die Vorauswahl leichter. Erfahrungsgemäß sagten so auch viele von alleine ab, was mir sehr zugute kam. Absagen waren nicht meine Stärke. Am meisten nützte mir aber die Zeitersparnis, die mir so ein Termin einbrachte, denn die konnte ich gut gebrauchen. Mietobjekte waren nicht so lukrativ und deshalb war es immer besser, die Abschlüsse schnell hinter sich zu bringen. Ich hatte wirklich viel zu tun und dafür war ich sehr dankbar. Im Vergleich zu anderen Kollegen hatte ich mit meinen Mietwohnungen zwar die weniger lukrativen Objekte, aber im Gegensatz zu ihnen war mir das egal. Vielleicht musste ich ein bisschen mehr für mein Geld arbeiten, aber das war in Ordnung. Schließlich war aller Anfang schwer und ich liebte meinen Job. Außerdem war ich sicher, wenn ich mich erstmal etabliert hatte, würden auch größere Aufträge kommen. Alles zu seiner Zeit.
„Felicitas, schön, dich schon zu sehen! Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag! Hattest du eine schöne Feier?“ Unser Geschäftsstellenleiter stand, wie aus dem Nichts, mit einem riesigen Blumenstrauß vor mir.
„Oh, hallo Matthias, ich habe dich gar nicht gehört. Vielen, vielen Dank! Die Blumen sind wunderschön! Ja, das hatte ich!“
„Das freut mich. Und wie ich sehe, ist das mit der abfallenden Power ab 30 ein Mythos. Du bist fleißig wie eh und je! Läuft es gut?“
Ich musste lachen, dass auch er auf diesen „Ab 30 geht’s bergab“-Zug aufsprang. Eigentlich war er ganz und gar nicht der Typ dafür. Matthias war ein typischer Erfolgsmensch. Charismatisch, steile Karriere, schöne Frau, tolles Haus, zwei süße Kinder. Und dabei noch nett, witzig und gar nicht abgehoben. Er war jetzt Mitte 40 und weit weg davon, dass sein guter Lauf ein Ende nahm. Aber naja, sicherlich wollte er auch nur einen kleinen Witz machen.
„Ja, läuft gut. Mietwohnungen gehen ja weiterhin weg wie warme Semmeln.“
„Ach, Felicitas, ich bewundere dich dafür, dass du die Drecksarbeit machst und dabei auch noch Spaß hast! Unter uns, ich verstehe, dass du als blutige Anfängerin alles nimmst, was du kriegen kannst. Aber lass dich nicht zum Deppen machen. Nicht von deinen Kollegen und nicht von irgendwem sonst. Nettigkeit ist gut und schön, aber du musst auch an dich denken. Wenn das nächste große Ding reinkommt, ist es deins. Versprich mir, dass du es dir unter den Nagel reißt.“
Er hatte sich richtig in Rage geredet und kam mir vor wie einer dieser Motivationscoaches. Deshalb war er wohl auch der Chef. Ich war allerdings ein bisschen unsicher. Ich fand doch alles gut, so wie es war. Ich hatte immer genug zu tun, verdiente genug und das Verhältnis zu meinen Kollegen war bestens. Warum also etwas ändern? Und Ellenbogenausfahren war noch nie mein Ding. Matthias bemerkte mein Zögern und schmunzelte.
„Genau das habe ich mir gedacht. Ok, pass auf. Die nächste große Anfrage, die ich bekomme, werde ich dir weiterleiten. Das ist mein Geburtstagsgeschenk für dich. Du wirst den Kunden begeistern und, vertrau mir, dich selbst auch. Dann sehen wir mal weiter, ob du nicht Blut leckst und endlich mal die Krallen ausfährst.“ Er zwinkerte mir zu. Ich starrte ihn verblüfft an.
„Wow.“ Mehr brachte ich nicht heraus. „Danke!“
„Nichts zu danken. Hauptsache, es bleibt unter uns! Dafür bestell ich heute Abend auch noch einen Extra-Nachtisch“, witzelte er und schon war er in seinem Büro verschwunden.
Oh, da war ja was. Matthias hatte mich glücklicherweise unbewusst daran erinnert, dass ich ja versprochen hatte, meine Kollegen heute Abend zum Essen einzuladen. Natürlich hatte ich noch keinen Tisch reserviert, aber an einem Montag sollte es nicht so schlimm sein. Zumindest nicht bei denen, die keinen Ruhetag hatten. Innerlich verdrehte ich die Augen und speicherte mir schnell eine Erinnerung für 12 Uhr in mein Handy, mich dringend um einen Tisch zu kümmern. Jetzt würde ich eh noch niemanden erreichen. Da konnte ich mich besser wieder an die Arbeit machen. Obwohl das leichter gesagt war als getan, denn das Gespräch hatte mich etwas aus der Bahn geworfen.
Ich konnte es immer noch nicht ganz fassen. Matthias war wirklich super, er müsste das schließlich nicht für mich tun. Und direkt meldete sich auch schon mein schlechtes Gewissen meinen Kollegen gegenüber. Normalerweise verstieß das Zuschustern von Aufträgen gegen unseren Ehrenkodex im Büro. Was, wenn das rauskommen würde? Andererseits war Matthias der Chef und als dieser hatte er auch das Sagen. Und auch, wenn wir darüber nicht in aller Ausführlichkeit redeten, konnte ich mir ausrechnen, dass meine Kollegen im Vergleich über meinen umgerechneten Stundensatz lachen würden. Die Vorfreude überstieg meine aufkommenden schlechten Gedanken und ich entschied, dass ich mir meinen Tag heute nicht davon vermiesen lassen würde. Schließlich hatte ich es ja auch verdient, nach den ganzen Mietwohnungen mal ein tolles Verkaufsobjekt zu ergattern. Ich freute mich schon jetzt auf meinen ersten richtig großen Auftrag und konnte es kaum erwarten. Ich war offensichtlich immer noch am Grinsen, als meine Kollegen eintrudelten.
„Die 30 steht dir aber gut, Feli!“, begrüßte mich Timo, unser Sunnyboy, und nahm mich in die Arme.
„Alles Liebe, Feli“, beglückwünschten mich auch Sina, meine andere Kollegin und Maren, unsere Telefonistin.
„Heute Abend lassen wir die Sau raus, wir freuen uns schon! Wo geht’s hin?“
„Überraschung“, log ich in der Hoffnung, dass wir überhaupt noch irgendwo einen Platz bekamen. Wir tranken alle zusammen einen Kaffee und sprachen über unsere Wochenenden, dann mussten Sina und Timo auch los zu ihren Terminen.
Maren nahm mich noch einmal in die Arme. „Ach Feli, ich bin froh, dass du hier bist. Alleine mit den beiden war es schon immer etwas anstrengend. Seit du hier bist, reißen sie sich wenigstens etwas zusammen.“
Ich drückte Maren an mich. Ich wusste genau, was sie meinte. Timo und Sina waren super-lieb und witzig, hielten sich aber oft für etwas Besseres und ließen Maren das auch spüren. Sina hatte.offensichtlich auch ein Auge auf Timo geworfen. Dadurch wurde die ganze Sache nicht besser. Manchmal dachte ich, dass sie wohl am liebsten jeden Tag mit ihm alleine im Büro wäre. Obwohl weder von mir noch von Maren eine Gefahr in Sachen Timo ausging. Mir war Timo eindeutig zu glatt und Maren sicherlich eindeutig zu jung. Maren war ein richtiges Goldstück. Sie war Anfang 50, modisch unterwegs wie Anfang 20 und ein absoluter Gutmensch. Deshalb konnte sie sich oft aber nicht durchsetzen oder wollte es auch einfach nicht. Und in manchen Situationen wurde ihr das zum Verhängnis, noch schlimmer als mir. Und ich hatte mir ja jetzt eh vorgenommen, daran zu arbeiten.
Ich hatte Glück und ergatterte für 18 Uhr noch einen Tisch im Mellow Gold. Das war gar nicht so selbstverständlich, denn das Mellow Gold war ein relativ kleines Lokal. Es strahlte moderne Gemütlichkeit aus und war genau das Richtige für meine Kollegen. Wir machten uns direkt nach der Arbeit zusammen auf den Weg. Timo war wieder in seinem Element und zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Er erzählte von seinen letzten Dates und den „heißen Weibern“, die er aufgerissen hatte. Jetzt hatte er zwei Mädels am Start und wusste nicht, für wen er sich entscheiden sollte. Timo hatte keine Hemmungen. Das Letzte, was mir einfallen würde, wäre, mein Liebesleben vor meinem Chef auszubreiten, aber ihn störte das offensichtlich gar nicht. Er trug sein Herz auf der Zunge und trug damit immer bestens zu unserer Unterhaltung bei. Was von seinen Erzählungen stimmte und was er mal eben dazu erfand, um die Geschichte spannender zu machen oder einen Nutzen daraus zu ziehen, musste man allerdings immer genau abwägen. Timo war eben ein richtiger Verkäufer und zwar ein sehr erfolgreicher.
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