Rückblickend war es einfach nur erbärmlich, aber das merkte ich damals natürlich nicht. Noch erbärmlicher war es, dass der Höhepunkt meines persönlichen Albtraums eigentlich meine Rettung war.
4 - Die Sonne ruft
Mein Handy klingelte und ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. Ich war verwirrt und musste mich kurz sammeln, als ich so professionell wie möglich antwortete.
„Weber?“
„Mensch Feli, was ist mit dir denn los? Biste noch nicht ganz fit?“ Typisch Franzi! Sie war die absolute Powerfrau. Wahrscheinlich hatte sie heute auch schon eine Sporteinheit hinter sich. Weiß der Geier, wie sie das schaffte.
„Sorry, ich dachte, du bist jemand für eine Besichtigung.“
„Es ist SONNTAG!“
„Jaja, ich habe aber nicht nur Geschäftskunden, die sich für Gewerbeflächen interessieren. Familien rufen eben eher am Wochenende an, wenn sie selbst nicht arbeiten müssen.“, erinnerte ich sie in gespieltem Entsetzen und freute mich gleichzeitig riesig, ihre Stimme zu hören.
Erst jetzt bemerkte ich die Tränen, die über meine Wange liefen. Oh Mann, dieser Typ muss mich doch endlich mal kalt lassen. Es war nicht so, dass ich noch oft an ihn dachte. Aber wenn ich es tat, warf es mich regelmäßig aus der Bahn. Nicht, dass ich ihn zurückwollte, um Gottes Willen. Trotzdem machte mich der Gedanke an diese Zeit immer noch fertig. Umso mehr freute ich mich über Franzis Anruf und die willkommene Ablenkung.
„Streber!“, lachte Franzi, die nicht verstehen konnte, dass ich immer für meine Kunden da war und auch noch Spaß daran hatte. „Also was ist, Feli? Lust auf einen Kaffee mit Mara und mir, oder lässt das dein Zustand noch nicht zu? Das Wetter ist viel zu schön, um den ganzen Tag auf der Couch zu hängen und deine Kunden können dich auch unterwegs erreichen, wenn es denn unbedingt sein muss.“
Das stimmte. Trotzdem hätte ich nichts Anderes unternommen, als auf der Couch zu arbeiten und vermutlich weiter meinen trüben Gedanken nachzuhängen. Deshalb kam Franzis Anruf wie bestellt!
Tatsächlich haben mir Franzi und Mara nicht zum ersten Mal, ohne es zu wissen, dabei geholfen, aus einem Loch zu kommen. Heute war es nur ein kleines, damals ein viel größeres! Ich war so dankbar, die beiden kennengelernt zu haben. Ohne sie würde ich mich in Bielefeld sicher noch nicht so wohl fühlen.
Bielefeld ist zwar nicht weit weg von meinem Heimatdorf und ich konnte meine Familie und meine Freunde immer noch regelmäßig sehen. Dennoch wäre mir mein Neustart ohne die beiden nicht so gut gelungen.
Wir lernten uns gleich in meinen ersten Wochen hier kennen. Bevor ich nach Bielefeld kam, arbeitete ich als Immobilienkauffrau in einer Hausverwaltung. Ich mochte meinen Job und mit Senna war es auch wirklich immer ein schönes Arbeiten. Trotzdem hatten alle meine Kollegen hauptsächlich den Anspruch, viel Freizeit zu haben, und nicht den Anspruch, in irgendeiner Art neue Ideen umzusetzen. Ich hatte schon länger das Gefühl, dass mich, obwohl ich die Immobilienbranche mochte, Wohnungseigentümerversammlungen und die Prüfung von Betriebskostenabrechnungen nicht mehr ausfüllten und ich gerne etwas Anderes ausprobieren würde. Aber so richtig getraut, etwas zu ändern, hatte ich mich auch nicht. Zumal solche Pläne in meinem Umfeld auch nicht gerade auf offene Ohren stießen. Ich war schließlich auch nicht unglücklich und der Bereich Immobilien interessierte mich nach wie vor. Bis zu der Sache mit Mirko. Nach der Trennung wusste ich mir nicht anders zu helfen, um Abstand zu gewinnen. Ich hatte das Gefühl, einfach mal raus zu müssen. Bevor ich wirklich wusste, was ich tat, hatte ich mich zu einem Immobilienmakler-Lehrgang angemeldet. Die Wochen in Frankfurt taten mir unglaublich gut. Der Abstand und die Gespräche mit den anderen Kursteilnehmern gaben mir genug Motivation für einen Neustart.
Obwohl meine Liebsten mir nach der Trennung blinden Aktionismus andichteten und nicht wirklich nachvollziehen konnten, warum ich unbedingt etwas Neues ausprobieren wollte, war ich unglaublich glücklich mit meiner Entscheidung, diese Weiterbildung zu machen und mich anschließend in anderen Städten umzuschauen.
Selbstständig zu sein, brachte natürlich immer ein gewisses Risiko mit sich, aber mit einem der bekanntesten Maklerbüros Bielefelds im Rücken war ich überzeugt, den Schritt wagen zu können. Letzteres war übrigens auch das ausschlaggebende Argument, mit dem ich meine Familie von meinen – zugegeben für sie spontan wirkenden – Plänen überzeugen konnte. Es nahm ihnen die Angst, dass ich vollkommen den Verstand verloren hatte und mich in den Ruin stürzen würde. Aber auch Bielefeld erschien mir sehr vielversprechend, die Innenstadt wurde in den letzten Jahren immer attraktiver. Natürlich gab es auch weniger gute Gebiete. Aber generell galten viele der zehn Stadtbezirke als lukrativ, gerade im Bereich Wohnen, nicht zuletzt, weil die Bielefelder Uni immer mehr Studenten anlockte und sich viele namenhafte Firmen in der Region zu beliebten Arbeitgebern entwickelt hatten. Zum einen gab es hier die typischen Studentengegenden, zum anderen aber auch die, die grün, teuer, idyllisch, vorstädtisch und exklusiv waren. Für mich klang das alles super-interessant und die Nähe zu meiner Heimat war natürlich auch ein Pluspunkt. Ich wollte schließlich nicht auswandern, sondern nur neu starten.
Aber meine ambitionierten Pläne reichten nicht aus, das war mir klar. Ich musste mir auch neue Kontakte aufbauen, beruflich und privat! Facebook sei Dank fand ich auch relativ schnell eine Möglichkeit. Jeden zweiten Dienstag im Monat gab es einen Immobilienstammtisch. Laut meinen neuen Kollegen „reine Zeitverschwendung“, aber ich wollte der ganzen Sache wenigstens eine Chance geben. Also machte ich mich an jenem Dienstag alleine auf den Weg ins The Berstein, einem coolen Bistro über den Dächern der Stadt im Herzen Bielefelds. Ich fuhr mit dem Fahrstuhl hoch und fühlte mich direkt wie eine der Businessfrauen aus den amerikanischen Filmen, als ein „Ping“ meinen gewünschten Halt ankündigte und mich die Fahrstuhltüren direkt in das beeindruckende Restaurant entließen.
Ich war beeindruckt von dem stylischen Ambiente, hatte aber zugegeben ein etwas mulmiges Gefühl, weil ich nicht wirklich wusste, was mich nun erwartete. Laut Gruppenbeschreibung wurden immerhin regelmäßig 60 Teilnehmer erwartet.
Als ich zum Tisch kam, war ich erleichtert, dass das wohl maßlos übertrieben war. Mich musterten lediglich zehn Augenpaare, als ich mich dazusetzte. Die Neugier auf neue Mitglieder trat in dieser bis dahin männlichen Runde schnell in den Hintergrund und ich fand mich in Prahlereien über Bestandsgrößen und berufliche Erfolge wieder. Tatsächlich hätte ich das alles sogar super-interessant gefunden, wäre nicht jedes Gespräch von einem herablassenden Blick begleitet worden.
Daran war ich selbst schuld. Meine natürliche Gutgläubigkeit ließ mich natürlich direkt alle Karten auf den Tisch legen und ich stellte mich als neue Kollegin vor, die sehr gespannt war, was das Immobilienmakler-Dasein in Bielefeld bereithielt.
Anfänger und gleichzeitig Frau zu sein, schien in diesen Kreisen nicht so förderlich. Mein Ausschnitt dafür eher. Innerlich wurde ich bereits sauer auf mich selbst, dass ich wirklich so naiv an die Sache rangegangen war und dass meine Familie offensichtlich doch recht hatte, dass hier niemand darauf wartete, um mich mit offenen Armen zu empfangen.
Es würde nicht einfach werden, sich in meiner neuen Welt zu behaupten und das auch noch mit einem angeschlagenen Selbstbewusstsein. Letzteres wurde durch solche Situationen natürlich nicht wirklich gefördert. Aber ich schwor mir, wenigstens diesen Abend durchzuziehen, ohne mir jegliche Unsicherheit anmerken zu lassen, und zuhause könnte ich mich dann nochmal neu sortieren.
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