Mit diesem Plan im Kopf stürzte ich mich tapfer in das nächste unangenehme Gespräch mit meinem Sitznachbarn und war froh, als mein Getränk endlich kam. Nun hatte ich kurz Zeit zum Durchatmen. Wenigstens das Ambiente war schön und ließ meinen Blick vorbei an meinem Gesprächspartner aus dem großen Fenster schweifen. Die Sonne ging gerade unter und verlieh dem abendlichen Treiben, welches sich ungefähr 25 Meter unter mir abspielte, etwas Entspanntes. Ich nahm einen Schluck von meinem Wein und versuchte, diese Entspannung zu übernehmen, als die Tür aufging und zwei junge Frauen Kurs auf unsere Gruppe nahmen. Die beiden fielen sofort auf. Die eine war groß und schlank und sah aus wie ein Bond-Girl. Ihre langen schwarzen Haare glänzten und fielen ihr über die Schultern. Die andere war kleiner und fülliger. Sie hatte eine Haarfarbe, die ich nicht definieren konnte, die ihr aber unglaublich gut stand. In diesem Moment war mir allerdings vollkommen egal, wie die beiden aussahen, ich war einfach erleichtert, nicht mehr allein in dieser Männerrunde zu sitzen. Endlich Leidensgenossen. Im nächsten Moment wurde ich aber direkt wieder unsicher. Ich war wirklich zu gutgläubig. Schließlich bestand genauso die realistische Möglichkeit auf ausgeprägtes Konkurrenzverhalten, und es gab eindeutig nichts Schlimmeres als Stutenbissigkeit. Egal, diesen Abend würde ich jetzt einfach aushalten.
Glücklicherweise täuschte mich mein guter Glaube dieses Mal nicht und so lernte ich Mara und Franzi kennen. Wir lachten noch oft über diesen Abend und die schrägen Typen! Seitdem waren wir auch nicht wieder bei einem der Stammtische gewesen, aber dieses eine Mal hatte sich vollkommen gelohnt.
Ich hatte nicht nur eindrucksvoll gesehen, auf welche entfernten Kollegen beziehungsweise Konkurrenten ich mich einstellen musste, sondern direkt auch neue Freundinnen gefunden. Ein absoluter Glücksgriff! Seitdem ging es bergauf mit mir und meinem Selbstwertgefühl und ich genoss mein neues Leben in vollen Zügen.
Der Frühling tat nun auch noch sein Übriges dazu.
Auch heute war wieder herrlichstes Frühlingswetter. Ich liebte diese Zeit. Wenn man langsam die dicken Pullis nach hinten in den Schrank schob und anfangen konnte, ordentlich Vitamin D zu tanken, war gleich alles so viel schöner und die schlechten Gedanken waren wie verflogen. Ich denke auch, das war ein Grund, warum ich mich gerade nicht wirklich mit meinen Lebensplänen auseinandersetzte, sondern einfach genoss, was ich hatte.
Franzi und Mara begrüßten mich mit einem mitleidigen Blick, als ich im „Schlößchen“ ankam. Das kleine Café am Rande der Altstadt war zu unserem absoluten Lieblingscafé an Sonnentagen geworden. Es war total klein, aber gerade das machte es so gemütlich. Auf der einen Seite war es irgendwie abgerockt, auf der anderen Seite mit so viel Liebe zum Detail gestaltet, dass man sich direkt wohlfühlte. Keine Spur mehr davon, dass es ursprünglich als Toilettenhäuschen gebaut wurde. Es war eine tolle Atmosphäre und es gab den besten Kuchen der Stadt. Letzteres war wohl das schlagende Argument.
„Du siehst schrecklich aus“, bemerkte Franzi, die natürlich schon wieder frisch geduscht aus dem Fitnessstudio kam und somit meine Vermutung bestätigte.
„Na vielen Dank auch!“, gab ich gespielt beleidigt zurück.
„Ist das der Kater oder das Alter?“, zwinkerte Mara mir zu und ich musste zugeben, dass es sich wahrscheinlich um eine Mischung aus beidem handelte. Wir bestellten Cappuccino und Schokoladen-Tarte und suchten uns ein schönes Sonnenplätzchen. Meine Sonnenbrille konnte ich leider noch nicht abnehmen, dafür schmeckte der Kaffee wieder gut. Mara und Franzi waren aus irgendeinem unerfindlichen Grund topfit. Sie quatschten aufgeregt über die Party und ich musste Mara und Franzi noch genaustens erklären, wie wir Dorf-Mädels zueinander standen.
Ich war immer noch froh, dass meine Sorge unbegründet war, dass sich die Mädels untereinander vielleicht nicht so gut verstehen würden und sich zwei Lager bildeten, zwischen denen ich vermitteln musste. Aber Mara und Franzi hatten meine Mädels ordentlich aufgemischt, was diese auch sehr unterhaltsam fanden. Noch auf dem Heimweg schrieb Eva mir eine Nachricht, wie schön sie die Feier fand und wie glücklich sie war, dass es mir gut ging. Als ich die Nachricht nach dem Aufstehen las, freute ich mich besonders über die lieben Worte meiner alten Freundin. In letzter Zeit hatte ich sie alle viel zu selten gesehen. Ich musste mich erst einmal in meiner neuen Heimat zurechtfinden und brauchte etwas Abstand zu meinem alten Leben, wo mich immer noch alles an Mirko erinnerte. Und die Mädels aus dem Dorf zu locken war schon immer schwer gewesen. So war unser Kontakt gerade etwas eingeschlafen, was meine Liebe zu ihnen natürlich nicht veränderte.
Obwohl ich gerade Eva sehr vermisste. Nach meiner Trennung war ich oft bei ihr. Wenn die Kinder im Bett waren, tranken wir zusammen Tee und sie hörte mir einfach nur zu. Ich wusste nicht, warum, aber in dieser Zeit konnte ich mit ihr am besten reden. Auch wenn eigentlich Becci meine und Lena Evas beste Freundin war. Aber Eva verstand mich in diesem Punkt einfach, was die beiden anderen nicht wirklich taten. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass Becci und Lena mich unterschwellig verurteilten, mein Leben mit Mirko leichtfertig weggeschmissen zu haben. In ihren Augen hätten wir uns einfach nochmal ordentlich aussprechen und es dann noch einmal miteinander versuchen sollen. Ich fand allerdings eindeutig, dass ich mehr als genug versucht und dass kein Mensch der Welt eine derartige Demütigung verdient hatte, die Mirko mir angetan hatte. Eva verstand mich da besser. Auch wenn sie meine Entscheidung zu gehen, traurig fand und sie sich das für sich selbst nie vorstellen konnte, hat sie mich immer unterstützt. An unseren gemeinsamen Abenden vertraute auch sie sich mir an. Sie würde sich neben ihrer Mutterrolle auch gerne ein bisschen mehr auf ihre Rolle als Frau konzentrieren.
Aus diesem Grund freute ich mich besonders, dass auch Eva offensichtlich eine schöne Zeit auf der Party hatte und auch einfach mal abschalten und Spaß haben konnte.
Ich merkte, dass Stille herrschte, während ich meinen Gedanken nachhing und wir alle lächelnd in unseren Kaffeetassen herumrührten. Die Sonne wärmte unsere Gesichter und die kühle Luft sorgte dafür, dass es meinem Kopf gleich besser ging.
„Herrlich!“, seufzte ich in die Stille. „Genau das, was ich heute brauchte!“
„Eindeutig“, pflichteten mir beide bei und wir genossen weiter glücklich schweigend unser kleines Nachmittagsfestmahl.
„Sagt mal, Mädels“, unterbrach ich die wohlige Stille. „Habt ihr eigentlich einen richtigen Plan? Also ich meine, wisst ihr genau, was ihr wollt vom Leben?“ Ich hatte kurz Zweifel, ob das wirklich das richtige Gesprächsthema für uns war. Über so etwas hatten wir uns bis jetzt noch nie unterhalten und ich hatte plötzlich Bedenken, die beiden würden mich auslachen wegen meiner plötzlichen Zukunftsgedanken. Aber ich war wohl noch so in meiner Kater-Melancholie gefangen, dass ich die Frage schon ausgesprochen hatte, bevor ich darüber nachdachte. Meine Sorge war auch, wie so oft, unbegründet.
„Ja, eigentlich schon“, kam es prompt von Mara. Mara würde im Herbst ihre Jugendliebe John heiraten. Und es überraschte mich weniger, dass sie meine Frage bejahte. Als Paar machte man sich ja wahrscheinlich schon mal eher Gedanken über die gemeinsame Zukunft.
„Oh, erzähl, Mara, werden wir bald Tanten?“, war jetzt auch Franzi interessiert.
Mara lachte. „Nein, sorry, da muss ich euch enttäuschen.“
„Wie?“, fragte Franzi schockiert. „Wollt ihr etwa keine Kinder?“
„Doch natürlich, aber wir sind uns einig, dass das noch ein paar Jahre Zeit hat. Wir lieben Bielefeld, es ist toll hier. Wir möchten erst noch hier bleiben und das Stadtleben genießen. Wir wollen erstmal noch die Nächte durchtanzen und so viel wie möglich verreisen. Über kurz oder lang wollen wir aber schon wieder zurück aufs Dorf. So in fünf bis sechs Jahren vielleicht. Mal schauen, wie es läuft.“
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