Wie es wohl wäre, wenn er diesen Abschaum umbringen würde, fragte sich Rodrigo. Vielleicht hätten sie es alle dann leichter im Leben. Er, seine beiden jüngeren Brüder Miguel und Pedro und die dreijährige Consuela, die Jüngste der noch lebenden Geschwister.
Das Grübeln des Jungen, der im Halbdunkel der muffigen Lehmhütte saß, wurde jäh unterbrochen. Die Mutter kreischte. Blut spritzte. Ein harter Faustschlag hatte sie getroffen. Von unten gegen das Kinn und schräg über die Nase.
Rodrigos Mutter krachte rückwärts gegen die Lehmwand, ruderte nach Halt suchend mit den Armen und rutschte dann seitlich weg. Sie hatte Glück, denn so entging sie dem wilden Fußtritt, der dem Fausthieb folgte.
Sie krümmte sich, wischte das Blut von der Nase. In wilden Strähnen hingen ihr ihre dunklen Haare vom Kopf. „Bastard, elender! Hurensohn! Gottverdammter räudiger Taugenichts. Besoffener, jämmerlicher Bock. Nichts kannst du, nichts. Nicht einmal deine eigene Frau verprügeln.“
Und dann gab sie es ihm zurück: ein Tritt mit dem Fuß von unten in die Weichteile. Der Säufer brüllte. Und während er noch schrie und sich krümmte, war sie schon wieder auf den Beinen und schlug mit der flachen Hand zu. Ein, zwei, drei Ohrfeigen, links, rechts, links. „Hier kriegst du, was du verdienst, verfluchter Mistbock, verfluchter!“
Er warf sich auf sie, mit verdrehten Augen, irrem Blick und mit taumelnden Bewegungen. Er drückte mit einer Hand ihren Hals gegen die Wand, mit der anderen riss er an ihren langen Haaren.
„Du Hure! Du elendige Hure! Ich bringe dich um. Du schlägst mich nicht noch einmal. Deinen Mann schlägst du nicht.“ Er drückte ihre Gurgel, würgte sie, dass ihr vor Schmerz und Atemnot die Augen weit hervortraten. Mit ihren Fäusten trommelte sie gegen seine Brust, kratzte ihn, trat heftig zu, wehrte sich mit Händen und Füßen.
Er ließ erst los und zuckte zurück, als sie ihn anspuckte. Mitten ins Gesicht! Das wüste Zuschlagen ging von vorne los. Sie wälzten sich im Staub, warfen sich gegen die morschen Bretterwände, kugelten sich, kamen wieder auf die Beine; so ging es rauf und runter. Sie war zwar schwächer, aber er war betrunken.
Rodrigo saß mit seinen drei jüngeren Geschwistern reglos in der Ecke. Wie immer, wenn der Alte und die Mutter sich prügelten, war es das Klügste, sich nicht zu rühren. Schnell bekam man sonst selbst einen Fußtritt ab, einen Faustschlag ins Gesicht, oder eins mit dem Ledergürtel oder dem Stock übers Kreuz.
Rodrigo legte schützend seinen Arm um Consuela. Die Dreijährige begriff nicht, was vorging. Sie weinte und kauerte sich an den großen Bruder. Der sechsjährige Pedro und der zehnjährige Miguel waren beide schon schlau genug, sich aus der Gefahrenzone zu bringen. Sie legten sich ganz flach auf ihre Strohmatten; nur ihre kleinen, schwarzen Kugelaugen bewegten sich und verfolgten das Geschehen. Ihre ausgemergelten Körper zitterten.
Rodrigo hatte keine Angst mehr. Zu oft schon hatte er solche Szenen miterlebt.
Der Saufbold war wieder einmal betrunken nach Hause gekommen. Wie so oft. Wie immer eigentlich. Die Mutter hatte gescholten. Wie immer. Eines der Hühner fehlte. Sie besaßen nur sieben. Hatte er das fehlende verkauft und das Geld versoffen? Hatte sie nicht aufgepasst und es war davongelaufen? Hatte es jemand gestohlen? Es war egal! In solchen Fällen redete man nicht lange.
Jetzt schnappte der Säufer den leeren Wasserkrug und schleuderte ihn gegen die Mutter. Das Geschoss verfehlte sein Ziel. Der Krug eierte auf die zusammengekauerte Gruppe der Kinder zu. Rodrigo zog geistesgegenwärtig den Kopf ein. Das Tongefäß krachte splitternd auf den Schädel von Consuela. Sie schrie laut auf und hielt sich die Kopfwunde. Ihre kleinen Finger färbten sich zwischen den struppigen Haaren schnell rot vom Blut, bevor sie bewusstlos zusammensackte.
Rodrigo starrte auf das jämmerliche Bündel: ein dünner, kleiner Körper, kaum Mensch, gekrümmt im Staub der Hütte.
Die Alten kümmerten sich nicht darum. Der Streit tobte weiter.
Mit einer fahrigen Bewegung strich Rodrigo über die klaffende Wunde am Kopf seiner Schwester. Er spürte das warme, klebrige Blut. In einem Impuls von Wut und Auflehnung sprang Rodrigo auf und stürzte sich auf die Tollwütigen. Er wollte auf sie einprügeln, sie zur Besinnung bringen. Ein Tritt des Säufers genügte, ihn wieder in seine Ecke zu scheuchen.
Jetzt änderte sich der Charakter des Streits. Der Alte warf sich über die Mutter und drückte sie fest mit seinem ganzen Körpergewicht auf den Boden. Sie wehrte sich zwar, wand und stemmte sich, doch im wilden Ringen behielt er die Oberhand. „Du Biest“, keuchte er. „Du kleines Biest, ich werde dich schon zähmen.“
Die Körper verschlangen sich noch fester ineinander, hoben und senkten sich. Mit einer Hand hielt er immer noch ihren Haarschopf gepackt, mit der anderen schob er ihr den lumpigen Rock über die Knie, fuhr mit der Hand ihre nackten Schenkel empor und drückte ihre Beine auseinander. Gleichzeitig öffnete er seinen Hosenladen und holte sein mächtiges Glied hervor. Rodrigo kannte diesen Verlauf. Scheinbar wehrte sich die Mutter, aber ihre Bewegungen wurden rhythmisch und das Stöhnen klang nun nach gieriger Lust. Die zwei verschwitzten, verdreckten Körper begannen, nacheinander zu suchen.
Drüben an der Wand lag blutverschmiert Consuela. Sie war noch immer bewusstlos.
Rodrigo sprang auf, zwei Sätze an der Wand entlang, und schon war er an der Stoffmatte, die den Eingang zur Hütte verdeckte, und wollte hinausschlüpfen. Da packte ihn die starke Hand des Alten am Fußknöchel: „Hier geblieben, Bürschchen!“
Rodrigo stolperte, kam zu Fall. Schon packte der Säufer ihn an den Haaren und zog ihn wieder in die Hütte hinein.
„Wohin so eilig, du kleines Stinktier?“ Fauliger Atem und der Geruch von billigem Fusel schlugen Rodrigo entgegen. Ihm fiel keine bessere Ausrede ein: „Zu den Schweinen, zu Pinzon!“
Pinzon, das war der Patron. Don Alonso Pinzon. Der reichste Mann von ganz Palos. Kaufmann, Schiffseigner und Seefahrer. Es gab einen Clan von Pinzons in Palos. Ihnen gehörte die halbe Stadt. Der Inbegriff von Reichtum. Sie besaßen Geschäftshäuser in Palos, ein Landhaus vor der Stadt, Schiffe im Hafen, Ländereien bis hinüber nach Huelva, auf der anderen Seite des Rio Tinto; Brüder, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, Söhne und Töchter, alle reich und angesehen. Und Don Alonso galt als der mächtigste und angesehenste in dieser Familie. Für ihn hütete Rodrigo die Schweine. Aber nicht in der Nacht. Das war eine dumme Ausrede gewesen.
„Du hältst mich wohl für einen Idioten, du erbärmliche Ratte.“ Rodrigo steckte kommentarlos einen Satz Ohrfeigen ein.
„Pinzon, Pinzon, Pinzon ...“, lästerte der Alte und rappelte sich auf, während er beiläufig sein Gehänge wieder in die Hose stopfte.
Die Mutter krabbelte auf allen Vieren zu Consuela, die wimmernd aus ihrer Ohnmacht erwacht war.
„Dieser Kotzensohn von Pinzon“, wütete der Alte weiter, fuchtelte mit den Armen und stierte mit glasigen Augen an die Decke. Es entstand eine kurze Pause, in der niemand zu atmen wagte. Sie kannten alle diese Ausbrüche. Jetzt holte er Anlauf, um sich über irgendetwas auszutoben.
„Dieser Lump von Pinzon fährt mit Don Fantastico übers Meer. Verflucht und geschissen. Stellt euch das mal vor. Colón, der feine Herr aus Genua, und Pinzon, der Hurenbock. Das ist schon der Grund, warum er ein Eselsarsch ist, weil er mit einem Genueser gemeinsame Sache macht. Und jetzt ist er auch noch verrückt geworden.“
Alle wussten, was er meinte. Es war seit Monaten das Thema Nummer eins in Palos: die bevorstehende Ausfahrt einer Flotte unter dem Kommando des Genuesen Christóbal Colón. Drei Schiffe sollten am nächsten Morgen auslaufen. Eines davon gehörte Don Alonso Pinzon.
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