1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Warum hatte er gezögert, warum hatte er gelacht? Weil er peinlich berührt war, dessen bin ich mir sicher – und zwar deshalb, weil die verheiratete Frau, die er liebte, meine Schwester war. Er wollte, dass ich es wusste, sie war die Einzige im Dorf, die kürzlich – am Freitag – einen schlaffen alten Knacker von außerhalb geheiratet hatte . (Und an dieser Einschätzung gab es einiges, mit dem ich übereinstimmte.) Sie lebte jetzt in Bourne mit ihrem Mann, John Endall, dessen Nachname mir ihr künftiges Schicksal zu beschreiben schien und dem dort zwanzig Joch Grasland gehörten. Unser kleiner Landarbeiter würde sie wohl nie mehr wiedersehen, es sei denn im Vorübergehen, wenn sie zu Besuch kam. Er würde nie wieder mit ihr tanzen.
Wie ist das, wenn man eine Frau liebt? Geht es nur darum, ihr Haar, ihre Schenkel, ihr dieser Teil hier zu lieben? Oder sie übermäßig zu verehren – ihren Kamm, ihren Fußabdruck, ihren Löffel, ihren Geruch, ihren Schatten, das Wasser, mit dem sie sich wäscht? Wenn ein Regentropfen ihren Hals berührt, ist es dann Liebe, nicht nur ihren Hals, sondern auch den Regentropfen zu verehren? Ist es ein Bann, ein Trick, ist es schiere, gebündelte Lust? Ist es Liebe, wenn es einen zur Tat treibt, oder ist es Liebe, wenn man der Tat widersteht? Bei meiner Priesterweihe hieß es, dass die Liebe mal eine Prüfung sein könne, die sich wie ein Geschenk anfühlt, und mal ein Geschenk, das sich wie eine Prüfung anfühlt, und dass nur ein Priester den Unterschied wissen könne. Aber was wusste ich? Vielleicht wird die Hand in der Liebe zu einem Blatt und die Brust meiner Schwester für diese besessene Hand zu einer Knospe. Vielleicht hatte ich von Ralf Drake verlangt, sich von den Täuschungen der Lust zu befreien, während er in Wahrheit die transformative Kraft der Liebe erlebte. Vielleicht hatten sich seine schmutzigen Hände in ihrer Gegenwart in ein Blatt verwandelt. Ja, das Herz kann Transformationen bewirken. Ich hätte Ralf Drake gern zurückgerufen und ihm eine Frage gestellt: Ist Liebe Seligkeit oder Hexenwerk? Denn ich weiß es nicht.
Robert Tunley. Niemand füllte den schmalen Spalt zwischen Trennwand und Vorhang so massig aus, bei keinem entwich der Atem so laut, wenn er sich niederließ. Die Glocke schlug eins. Ich bemühte mich, Klänge von draußen zu hören – vielleicht eine Citole, Trommeln, John Greens durchdringenden Dudelsack, mit dem er Tote zum Leben erwecken konnte, das fröhliche Zwitschern der Fiedel, das an eine betrunkene Singdrossel erinnert, dazu die Geräusche schneller Tanzschritte. Aber außer dem einzelnen halb verwehten Glockenschlag hörte ich nichts.
»Was ist draußen los?«, fragte ich, ehe Tunley mit seiner Beichte beginnen konnte. »Wird schon gefeiert?«
»So eröffnen Sie neuerdings die Beichte, Pater?«
»Ich wusste gar nicht, dass Konventionen dir so wichtig sind.«
»Sie sind der erste Priester, der zugibt, dass er etwas nicht weiß.«
Ich musste lächeln. Tunley lachte, doch mit geschlossenem Mund – was schade war, denn sein Lachen war normalerweise so derb und warm wie eine Pferdedecke. »Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, ich denke, es wird gefeiert«, sagte er. »Oben in New Cross. Jedenfalls wird getrunken, und man schreit sinnlos die Spatzen an. Wenn Sie das mit Feiern meinen.«
»Ich weiß nicht, wie man Spatzen sinnvoll anschreien sollte.«
»Dann gibt es heute schon zwei Dinge, die Sie nicht wissen.«
Tunley stieß etwas zwischen einem Gähnen und einem Seufzer aus. Ich wusste, wie er sich hinkniete: mit rundem Rücken, die Hände zwischen den Schenkeln und dem Bauch gefaltet. Die Augen tanzten in seinem fülligen, blassen Gesicht.
»Wirst du auch nach New Cross gehen und feiern?«, fragte ich.
»Nein«, sagte er. »Mein Bein schmerzt. Ich werde zu Hause sitzen und den Herrn verfluchen, weil wir wieder die Fastenzeit durchstehen müssen.«
Er spulte routiniert sein Ave ab. Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus . Schon der Klang trieb mich tief in mein Inneres, an einen Ort, der zugleich dunkel und licht war – mit seiner Stimme hätte Tunley eigentlich für die Kirche arbeiten müssen. Dann, ohne sich auch nur zu räuspern, sagte er: »Sie kennen den Hund von Mary Grant, den schwarzen. Ich habe ihn gestern Abend getötet.«
Selbst das klang melodiös, wie aus einem Lied, und die Wörter kamen aus seinem enormen Bauch. Niemand wusste, wie er es schaffte, so dick zu sein. Beneide den Mann, der im Herbst fett ist, und misstraue dem, der es im Frühling ist – so sagt man bei uns. Tunley jedoch war das ganze Jahr über dick, und er wurde das ganze Jahr über beneidet und misstrauisch beäugt.
»Mary Grants Hund?«, lautete meine unnütze Frage, denn genau das hatte er ja schon gesagt.
»Richtig, Pater, Mary Grants Hund.«
Das war natürlich der Hund, den Carter und ich am Morgen neben dem Weg gesehen hatten. Oder? Wenn ich es recht bedachte, wusste ich nicht, was für einen Hund Mary Grant hatte – oder gehabt hatte. Ich hatte ihn schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Es war überraschend genug, dass ich wusste, wie Mary selbst aussah, so selten, wie sie zur Messe kam. Wahrscheinlich ähnelte sie ihrer Tochter, die ich jeden Tag sehe. Allerdings sieht Janet Grant hübscher aus, so viel weiß ich dann doch.
»Wie hast du ihn getötet?«, fragte ich. Man fängt mit der leichten Frage an, dadurch ist es einfacher, die schwierigere Frage zu stellen: die nach dem Warum, dem Weshalb.
»Etwas Eisenhut in seinem Futter.«
»Eisenhut?« Dann murmelte ich: »Das ist kein schöner Tod.«
»Ich habe noch keine wirklich schöne Todesart gefunden.«
Der arme Hund. Ich stellte mir seine letzten Minuten vor, würgend und mit gekrümmtem Rücken, der Brustkorb, der sich hob und senkte wie die Flügel eines sterbenden Schmetterlings.
»Du weißt, dass der Hund Mary Grants einziger Gefährte war?«
»Jetzt nicht mehr.«
»Sag mir, warum du es getan hast.«
»Er hat gebellt und gejault, und ich konnte nie richtig schlafen.«
»Es liegt in der Natur eines Hundes zu bellen und zu jaulen …«
»Es liegt in der Natur eines Menschen zu schlafen.«
Ich sah zu den Dachsparren hoch, wie immer, wenn ich entmutigt war, und sagte: »Man kann ein Geschöpf nicht dafür töten, dass es tut, was in seiner Natur liegt.«
Der Hund, wie er dalag, die Zunge wie ein vertrocknetes rosafarbenes Blütenblatt aus dem Maul hängend. Mary war eine alte Frau. Ohne Freunde und ohne Gesellschaft, wenn man von ihrer Tochter absah, die mehr aus Pflicht als aus Liebe zu ihr ging.
»Ich will Ihnen sagen, was nicht in der Natur eines Hundes liegt«, entgegnete Tunley lebhaft. »Bei jedem Wetter draußen angebunden zu sein, ohne jede Freiheit, und Tag und Nacht wie eine blutrünstige Bestie jaulen zu müssen, während sein Herr – oder in diesem Fall seine Herrin – auf ihrem knochigen Arsch sitzt und jammert. Während ihr einziger Nachbar – ihr guter Nachbar, der ihr Brennholz bringt und ihr das Feuer anzündet und ihr Dach flickt – angespannt wie ein Dreschflegel ist und im Kopf selbst schon zu jaulen beginnt und fast verrückt wird vor Schlafmangel. Es ist eine Erlösung, dass der Hund jetzt tot ist. Für uns alle. Wenn ich nicht den Hund getötet hätte, dann Mary selbst. Ich bin also nicht gekommen, weil ich um Vergebung bitten will, sondern um Dank.«
»Du musst verrückt sein, wenn du zur Beichte gehst und Dank erwartest.«
»Verrückt bin ich, Pater – das sagen alle Frauen.«
»Und grausam. Du hast eine alte Frau in Verzweiflung gestürzt.«
»Diese dreiste Ziege war sowieso schon verzweifelt.«
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