»Bourne? Mindestens fünfzehn Meilen weit weg – da bist du kürzlich gewesen?«
»Nein, nein.«
»Sie unternimmt also gern ausgedehnte Spaziergänge, diese Frau, ja?«
»Ja«, sagte er, »ja.«
»Ist es das, was du so an ihr liebst?«
»Ich sagte Ihnen doch, ich liebe ihr Haar und ihre Schenkel und diesen Teil hier, wo es so macht.«
Es kümmerte ihn nicht, dass ich nicht sehen konnte, auf welchen Körperteil er gerade zeigte, und seine Vorstellung von diesem Körperteil – welcher es auch sein mochte – nahm ihn ganz gefangen, denn er versank in Tagträumereien, und sein Atem ging schnell und leise.
»Es gibt einen Unterschied zwischen Liebe und Verlockung«, sagte ich.
»Ich spüre keinen.«
»Trotzdem gibt es ihn.«
»Dann erlebe ich beides.«
Dieser dumpfe Schmerz in meinem Kreuz – wenn ich doch nur genug Platz zum Stehen gehabt hätte oder um mich zur Seite zu neigen. Ich knetete den Muskel mit der Faust. »Wie alt ist sie?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er, fügte aber unvermittelt hinzu: »Kein Kind. Eine richtige Frau.«
»Hattest du jemals körperlichen Kontakt mit ihr?«
»Anfassen? Nein, Pater.« Er schniefte. Ich habe genug Schniefen gehört, um zu wissen, dass es ein Zeichen für eine Lüge oder eine unvollständige Wahrheit ist. Wenigstens korrigierte er sich schnell. »Oder … ja, Pater. Aber nur ganz leicht, ich glaube, sie hat es nicht einmal bemerkt.«
»Wann war das?«
»Vor vielen Monaten, im letzten Sommer, beim Tanzen.«
»Ein Tanzfest in Bourne?«
Eine Pause. »Ja, Pater.«
Er war ein schlechter Lügner. Die Oakhamer gingen nicht zum Tanzen nach Bourne, und die Bourner hatten wahrscheinlich keine Tanzfeste, wegen Serle, ihrem verkniffenen Priester.
Ich fragte: »War es eine zufällige Berührung?«
»Ich weiß nicht, was Sie ›zufällig‹ nennen – ich hatte es nicht geplant, sah bloß ihre Brust, und meine Hand flog dorthin, ehe ich wusste, was ich tat, und in diesem Augenblick drehte sie sich um – ich glaube nicht, um mir auszuweichen, nur um der Drehung willen –, und meine Hand berührte ihre Brustwarze …« – ein kurzes Innehalten – »wie ein Blatt, das eine Knospe auf einem Zweig kitzelt.«
»Ein Blatt, das eine Knospe auf einem Zweig kitzelt?«
»Ja, Pater.«
»Von wem hat du denn diesen damenhaften Ausdruck?«
»Der ist mir selbst eingefallen, Pater.«
»Du wolltest sie – packen?«
»Nicht packen, bloß greifen.«
»Was macht das für einen Unterschied?«
Er beugte sich vor und hielt seine Hand nah an das Gitter, sodass ich sie sehen konnte, und schloss sie fest um das Haselholz. »Packen«, sagte er. Dann ließ er los und hielt die Hand in der Schwebe, und die andere ergriff und umklammerte sie eine Weile, ehe sie sie fallen ließ. »Greifen.«
»Du willst sagen, dass das Packen länger dauert?«
»Richtig, Pater. Ich wollte sie nämlich nicht einfangen und entführen.«
»Nur ihre Brust anfassen?«
»Aber sie ist in eine andere Ecke gewirbelt.«
»Und die Frau? Hat sie sich dir jemals genähert?«
»In meinen Träumen immer, jede Nacht, würde ich sagen, und sie ist dann ziemlich freizügig und bereitwillig. Dann sind da noch meine Tagträume, aber in denen ist sie ruhiger und hat mehr Kleider an.«
»Du musst mit den Tagträumen aufhören.«
Er seufzte und klang ungeduldig, enttäuscht.
Unvermittelt fragte ich ihn wieder: »Bist du sicher, dass es keine Frau von hier ist?«
»Ganz sicher.« Er wirkte jetzt sehr selbstbewusst, denn er hatte angefangen, seine eigene Lügengeschichte zu glauben. Wie leicht uns Menschen das fällt. Irgendetwas haben Lügen an sich, dass ich nichts auf sie zu sagen weiß. So saßen wir eine Weile schweigend da.
»Glaubst du an Vater, Sohn und Heiligen Geist?«, fragte ich schließlich; die Frage kam unvermittelt, und ich glaube, er war überrascht, doch seine Antwort klang nachdrücklich.
»Ja.«
»Die Menschwerdung Gottes?«
»Ja.«
»Die Auferstehung?«
»Ja.«
»Das Jüngste Gericht?«
»Ja.«
»Hast du deinen Vater und deine Mutter geehrt?«
»Ja.«
»Warst du übermäßig stolz auf deinen Verstand?«
»Nein.«
»Wiederhole dein Glaubensbekenntnis noch einmal.«
»Ich glaube an Gott, den mächtigen Vater, und an Jesus …«
»Den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus …«
Er übernahm wieder und holperte bis ans Ende. Wenn er das schaffte und sich in Disziplin und Gottesfurcht übte, wäre alles andere ohne Belang, sein Verlangen sowieso. Daran konnte man nichts ändern – für das Verlangen eines jungen Mannes gibt es kein anderes Heilmittel als das Altern, und selbst dieses Heilmittel wirkt nicht immer.
Als er seinen chaotischen Vortrag beendet hatte, atmete ich tief aus, beugte mich vor und stützte die Ellbogen auf den Knien ab. »Du musst das Glaubensbekenntnis lernen«, sagte ich. »Wort für Wort, und wenn das Verlangen dich überkommt, dann kannst du seine Worte verwenden, um den Bann des Verlangens zu brechen. Lerne, nach der Schönheit Christi zu verlangen. Wiederhole das Glaubensbekenntnis und das Ave fünfmal am Tag, einen Monat lang, außerdem jedes Mal, wenn das Verlangen besonders stark ist. Du musst deine nächtlichen Träume bezähmen und die Tagträume auch. Wenn du die nächtlichen Träume nicht bändigen kannst, musst du wenigstens die Tagträume bändigen, mithilfe des Glaubensbekenntnisses. Hast du das verstanden?«
»Ja.«
»Und denk nicht, dass deine Hand ein Blatt sei, das eine Knospe streift. Deine Hand ist deine Hand, sie steht im Dienst deines Herzens.« Und anderer Teile, dachte ich. »Sie ist kein unschuldiges Blatt.«
»Ich werde nie wieder in dieser Weise an sie denken.«
»Und meide diese Frau um jeden Preis. Die Strafe dafür, eine verheiratete Frau zu begehren, ist weit höher als bei einer unverheirateten.«
Er murmelte ein halbherziges »Ja«.
»Dafür, dass du ihre Brust berührt hast, musst du zwei Wochen lang täglich herkommen, eine Kerze unter dem Vesperbild – unserem Vesperbild – anzünden und ein Ave sprechen.«
Unser Vesperbild war nicht wie das von Newman, das kühn und leuchtend wie ein Eisvogel über Newmans eigenem Altar hing. Dem Jungen würde das nicht gefallen, diese Stallburschen hatten mit Kerzen und Vesperbildern genauso wenig am Hut, wie sie in den Refrain von »Ich künde von einer Magd« einstimmten. Das war Frauenkram.
»Und du kannst etwas für mich tun – bring Sarah Spenser Holz, Brot, Milch und Eier, es geht ihr nicht gut. Möglichst auch Schinkenspeck. Und nimm Kerzen aus der Sakristei mit. Bring ihr auch saubere Bettwäsche und sieh zu, dass das Feuer bei ihr brennt. Wenn sich Wasser auf dem Boden gesammelt hat, fege es hinaus.« Ich dachte voller Unbehagen an das Erbrochene, das ich am Vortag hinausgefegt hatte. »Mach da sauber. Sieh zu, dass es ihr nicht an Wasser fehlt. Janet Grant wird später für alles bezahlen.«
»Ja, Pater.«
»Dir wird ein Sündenerlass von vierzig Tagen gewährt, weil du vor der Fastenzeit zur Beichte gekommen bist. Du hast recht daran getan zu beichten. Komm wieder, falls das Verlangen stärker wird.«
Ich erwartete nicht, aus seinem »Danke, Pater« tatsächlich Dankbarkeit herauszuhören. Er gehörte nicht zu denen, die öfter als unbedingt nötig zur Beichte gehen, und es war unwahrscheinlich, dass er zurückkommen würde, wenn ihn das schlechte Gewissen ereilte. Aber als er mir dankte, klang doch eine gewisse Erleichterung über diese Möglichkeit an. Er näherte sein Gesicht dem Gitter, um mich zu sehen oder mir in die Augen zu blicken. Ja, ein wölfisches Gesicht, hager, dunkel und scharfäugig. Ralf Drake. Als er aufstand und den Vorhang zurückzog, zögerte er seltsamerweise. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, ich hätte vermutet, dass ihm eine Offenbarung oder ein Moment der Verzückung zuteilgeworden war, so wie es Menschen vor einem Marienbild oder einem Heiligenbild widerfährt. Dann stieß er ein seltsames kurzes Lachen aus und ging.
Читать дальше