Ganze Familien kannte man nur noch beim Übernamen, es war eine Pest, und man musste überlegen, wer nun gemeint sei, wenn einmal ein Fremder sich erkundigte, wo der und der wohne, und dabei den richtigen Namen nannte. Unsere Sippe wurde die Harjes genannt, dann gab es die Hopsis, die Hüschthotts, die Jokaschtänka, die Kannalles und viele mehr, und immer wieder gab es neue Namen und kuriose Erfindungen ohne Ende und Erbarmen.
In der Scheune gab es nur Gerümpel: Einen Wisch altes Heu, Holzkisten und kaputte Körbe, die wir zu einer Hütte zusammengebastelt hatten, altes Werkzeug, Dachziegel – zehn verschiedene Sorten, eine Anzahl alter Sprossenfenster, aneinander gelehnt und alle mit einem Loch in der obersten Scheibe rechts, seit Dumeni (den Onkel Blau nur Demuni nannte) mit dem Flobert eine .22 Standard durch die Reihe gejagt hatte, ferner alte Pflüge, Eggen, Feldgerät. Was davon wertvoll gewesen war, hatten sie dem Cadusch in den siebziger Jahren halb umsonst gegeben. Der Kessler hatte die Hunderter auf den Tisch gelegt, schon bevor der Handel abgeschlossen war, und da hatten sie gedacht, es sei wer weiß wie viel. Dann gab’s da noch zwei Beigen Bretter, Spinnweben, Heublumenstaub, Vogelnester im Gebälk, Mäusenester unterm Tenn.
Am Scheunentor hing ein Vorhängeschloss.
Sakkerment Buben!, machte Onkel Blau, früher hätte man so was einmal versuchen sollen. Ihr könnt etwas erleben, wenn ich nochmals einen sehe, der die Scheunenwand hochklettert. Und das Gebiss stand ihm ein wenig vom Gaumen ab, sodass er aussah wie ein kranker Tiger mit einer Schublade in der Schnauze.
In der Scheune spielten wir Tomsoier und Hackelberifin, mit den Mädchen Blindekuh und sonst noch allerlei, und vor der Scheune rumpelte Onkel Blau sein Sakkerment. Denn in die Scheune kam er nicht mehr, seit er einmal den Dumeni hatte packen wollen, dieser auf die Tennreite geflüchtet war, Onkel Blau wütend hinterher, der Knirps hob flugs zwei Ziegel hoch und war hopp! ab durch die Latten auf dem Dach. Blau musste zwei weitere Ziegel wegnehmen, um folgen zu können, dachte schon, jetzt habe er diesen Lump. Der Lump aber stand zuunterst an der Traufe und – Wenn du herunterkommst, spring ich.
Das war dem Onkel Blau doch in die Knochen gefahren, sakkerment. Ein letztes – Wart, wenn ich dich kriege! – und dann Abgang durch die Ziegel und hinunter aufs Tenn und zur Scheune hinaus, von oben bis unten verdreckt.
Einmaleins rückwärts
man hat einen Vater und eine Mutter
man hat zwei Großväter und zwei Großmütter
man hat vier Urgroßväter und vier Urgroßmütter
man hat acht Ururgroßväter und acht Ururgroßmütter
man hat sechzehn Urururgroßväter und sechzehn
Urururgroßmütter
man hat zweiunddreißig
vierundsechzig
Was die Deutschsprachigen Stammbaum nennen und wir stemma oder genealogia, ist ein Eichenwald, sagte in bedeutungsschwerem Ton Onkel Riget, Bruder der Großmutter väterlicherseits. Und er fuhr mit dem Gedächtnis eines Elefanten fort:
Einer deiner zweiunddreißig Ururururgroßväter, der Urgroßvater deiner Urgroßmutter, Mutter von Großmutter Fina, Crest Adalbert Genelin, geboren am 1.12.1730, war Landeshauptmann gewesen. Er war verheiratet mit Maria Baselgia, geboren am 16.9.1735, von Sumvitg. Sie hatten zwei Söhne und drei Töchter: Giachen Antoni, Maria Amarita, Maria Madleina und Bistgaun Andriu. Die Familie deiner Ururururgroßmutter Baselgia war in Laus-Sumvitg sehr begütert. Bistgaun Andriu, dein Urururgroßvater, wurde am 18.4.1814 mit Barla Turtè Faller von Sumvitg getraut. Dein Urururgroßvater ließ sich also in Laus nieder, um dort die Güter seiner Mutter zu bestellen. Die Eheleute Genelin-Faller hatten drei Kinder: Maria Margreta, Maria Barla Catrina und Giachen Adalbert. Giachen Adalbert ist der Vater deiner Urgroßmutter. Maria Margreta, geboren am 5.3.1815, ist am am 28.8.1841 ins Kloster St. Johann in Müstair eingetreten und hat die heilige Profess am 10.8.1843 abgelegt. Sie lebte im Kloster unter dem Namen Maria Ignazia und starb in Müstair am 24.7.1867. Die zweite Schwester deines Ururgroßvaters, Maria Barla Catrina Genelin, war mit Giusep Mattias Violand von Sumvitg in Cumpadials verheiratet. Sie hatten zwei Töchter und einen Sohn: Giulia, Giusep und Paula. Giulia war die Patin deiner Urgroßmutter und ist in Valdauna gestorben. Giusep war in Cumpadials verheiratet und hatte eine große Familie. Landammann Violand war ein Sohn von diesem Giusep. Paula, die zweite Tochter, hatte Emanuel Schmid de Grüneck in Bubretsch-Surrein geheiratet. Er war der Bruder des späteren Bischofs von Chur. Onkel Emanuel war der Pate meiner Schwester Josefina.
Was die Deutschsprachigen ‹Rätoromanen› nennen und wir ils Romontschs, ist ein Zoo, sagte Großvater mit gewichtiger Stimme, als ob er die Weisheit mit dem großen Löffel aus einem mächtigen Kessel geschöpft hätte. Vater!, sagte Großmutter mit einem drohenden Blick. Aber mein Großvater fuhr fort: «Ich sage immer, lieber neu-gotisch als romanisch-depressiv.»
Er hatte sich die Hosen aus Trunser Tuch bis fast unter die Achseln hochgezogen, und das gab den Buben das Gefühl, im Zirkus zu sein.
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