Adele kennt alle Bittgebete, genau wie der Priester: Sie sagt Assunta ins Ohr – aber wir hören es
alle –, es sei eine Schande, nicht einmal ein Rosenkranz oder ein Requiem für die armen Toten, als gelte es, ein Feuer zu löschen; und als sie sieht, dass der Priester sich in der stiller gewordenen Luft zwischen den Häusern davonmacht, ruft sie hinter ihm her, er möge zusehen, wie er zurechtkomme, heutzutage sind auch die Priester viel zu fett; aber wenn etwas geschieht, umso schlimmer für ihn: Unser Gewissen ist in Ordnung.
«Geht und holt die Reliquien heraus.»
Ihr Enkel, der gewöhnlich den Mund nur auftut, um den Zigarrenstummel auszuspucken, springt los mit einem: «Ich gehe ja schon! So schneit auch ihnen ein bisschen Schnee auf den Kopf.»
Daniele kann es kaum erwarten, bis auch er zu Worte kommt:
«Wisst ihr noch, was Matto 1917 gemacht hat, damals, als es länger als einen Monat regnete, ohne eine Minute aufzuhören? Als die Kühe nicht mehr wussten, wie sie sich auf den Beinen halten sollten? Als den Knechten auf der Joppe die Pilze hätten wachsen können? Wisst ihr noch, was er da tat? Er geht ins Zimmer, nimmt das Kruzifix vom Nagel, hängt es außen ans Fenster und sagt dann zu dem Gekreuzigten: ‹Lass auch du dich ein bisschen nass regnen.›»
«Wollt ihr wohl schweigen, ihr bösen Mäuler! Ihr seid, wenn ihr gewisse Dinge erzählt, schlimmer als der Unselige, der sie getan hat, und dann vor den Kindern, und bei einem Winter wie diesem! Wie soll der Herr uns helfen, wenn ihr so sprecht?»
Davide sagt, um abzulenken, das sei 1915 gewesen, nicht 1917. «Ja, 1915, zu San Pietro in den ersten Septembertagen», und er zieht eine Prise Tabak hoch. Er steht nicht bei den andern, sondern ein wenig für sich, aber auch er hat die Hände in der Tasche; manche behaupten, er schnuppere die Luft wie ein Fuchs. Er sagt, das Wetter ändere sich nicht, andernfalls lasse er sich den Kopf abschneiden.
«Wenn kein Wind von Norden aufkommt, kriegen wir neuen Schnee.»
Die große Neuigkeit indes ist Linda. Als sie am Mittag auf dem Schlitten von Naldo aus Meiringen heraufkam, um Tante und Schwestern zu überreden, sie sollten fortgehen, hat sie, wie erzählt wird, gesagt: «Was für eine Menge Schnee habt ihr hier oben!»
Ich kehre nach Hause zurück, betrachte mich im Spiegel, wasche mir die Hände, rasiere mir den mehrere Tage alten Bart. Nach dem Essen werde ich zu Verena spazieren, um Linda zu sehen. Unterwegs treffe ich Rosalias Katze, die von all dem Schnee auch schon ganz verwirrt ist, weil Rosalia sie überallhin mitschleppen muss. Gerade kommt sie unter einem mit Schnee bedeckten großen Hirtenschirm daher, um die Katze, die ihr entgegenläuft, wiederzuholen.
«Ich habe Linda gesehen», sagt sie zu mir, nimmt die Katze auf den Arm und geht sofort weiter.
Einer kehrt vom Stall heim, sicher weiß er schon, dass ich es weiß, aber er fragt trotzdem: «Ist Linda gekommen?»
Und kurz darauf ein Dritter: «Jetzt ist Linda gekommen!»
Man sieht, wir brauchen Neuigkeiten wie das liebe Brot. Der Papst könnte heute sterben, und wir, o ja, wir erführen es nicht einmal. Ich treffe Dionigi mit einem Korb quer über dem Rücken, er zeigt mir das ganz klein geschnittene Stroh; für das Kälbchen, sagt er, das heute Nacht geboren werden soll.
«Ruf mich, wenn es so weit ist, ich gehe zur Verena hinein.»
«Ah!» Und er lächelt mir zufrieden zu. So verlasse ich ihn, ich schaue zurück, ob er mir nachsieht, während ich zwischen den hohen Schneehaufen den Pfad hinunterrenne. Wenn man wie jetzt, da es schneit, hinter der Lampe über Verenas Tür unverwandt in den Himmel blickt, so erscheint er ganz ohne Bewegung; und nach einer Weile meint man, die Schneeflocken ständen still, während wir selbst in die Höhe hinaufschwebten. Ins Paradies?
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