Der tragende Grund für den meditativen Weg, der Höhen und Tiefen mit sich bringt, ist eine Sehnsucht, dem Göttlichen in seinem Leben Raum zu geben. Mit ihr beginnt der Weg, sogar dann, wenn sie nicht unmittelbar spürbar ist. Davon erzählt die Geschichte eines jungen Mannes. Als ihn ein Rabbi nach seiner Sehnsucht nach Gott fragt, wird er traurig und muss zugeben, dass er meistens so viel zu tun hat, dass die Sehnsucht im Alltag untergeht. Als er jedoch die Frage hört, ob er Sehnsucht danach hat, Sehnsucht zu haben, Gott zu lieben, hellt sich sein Gesicht wieder auf, da er dies bejahen kann. Die Geschichte endet mit der Aussage des Rabbis: „Das genügt. Du bist auf dem Weg.“ Diese Sehnsucht, und sei es die Sehnsucht nach der Sehnsucht, ist die Kraft, die bewirkt, in der Meditation dabeizubleiben, auch wenn sich Schwierigkeiten zeigen.
Die Sehnsucht nach Gott kann nur gestillt werden, wenn der Mensch bereit ist, sich selbst zu begegnen. Die großen Meister aller spirituellen Traditionen wissen um den Zusammenhang von Selbst- und Gotteserfahrung. Es sind zwei Seiten einer Medaille, die untrennbar zueinandergehören und einander vertiefen. Im Mönchtum wird der Weg zu Gott seit jeher über die Selbstbegegnung gewiesen. Stille Zeiten sind hierbei eine große Hilfe. Bereits im 4. Jahrhundert bringt der Wüstenvater Evagrius Ponticus dies kurz und bündig auf den Punkt: „Willst du Gott erkennen, lerne vorher dich selber kennen.“ Jede wahre Selbstbegegnung ist somit auch ein weiterer Schritt auf dem Weg zu Gott. Ist die Bereitschaft, sich selbst zu begegnen, jedoch nicht gegeben, besteht die Gefahr des „spiritual bypassing“. Es ist der Versuch, der eigenen Wirklichkeit auszuweichen, Illusionen aufrechtzuerhalten und persönliche Herausforderungen mit Hilfe der Meditation zu umgehen. Dies verhindert die eigene Entwicklung und blockiert den Weg zu Gott.
Therapien unterstützen den Menschen darin, sich aufrichtig selbst zu begegnen. Im direkten Kontakt kann der Therapeut z. B. behutsam auf innere Blockaden der Persönlichkeitsentwicklung eingehen, abgespaltene Gefühle wieder ins Bewusstsein bringen und damit die Ich-Identität stärken. In der Meditation hingegen geht es nicht darum, das eigene Ich zu stärken, sondern es loszulassen, um der göttlichen Dimension in sich Raum zu geben. Bevor man jedoch sein eigenes Ich in der Meditation loslassen kann, muss man es erst einmal entwickelt haben. Ebenso kann man Gefühle erst dann loslassen, wenn man sie zugelassen hat. Die Meditation, obwohl sie auch therapeutisch wirkt, ist also kein Therapieersatz. Man würde zudem die Meditation verzwecken, für die jedoch ein absichtsloses Dasein in der Gegenwart Gottes kennzeichnend ist. Therapien können den Zugang zum meditativen Weg ebnen, falls er sonst verschlossen bliebe. Bei mangelndem Realitätssinn, fehlender Selbstdistanz oder bei schweren, nicht therapeutisch aufgearbeiteten Traumatisierungen ist von dieser Form der Meditation abzuraten, ebenso wenn eine akute Krise vorliegt. Hier ist menschliche Zuwendung vonnöten und professionelle psychologische Unterstützung zu empfehlen. Die langen Zeiten der Stille und das „Auf-sich-selbst-zurückgeworfen-Sein“ könnten dazu führen, dass sich schwierige innere Zustände sogar noch verstärken.
Das Einfache verwahrt das Rätsel des Bleibenden und des Großen. Unvermittelt kehrt es bei den Menschen ein und braucht doch ein langes Gedeihen. Im Unscheinbaren des immer Selben verbirgt es seinen Segen . 8
(Martin Heidegger)
Im Laufe der Geschichte haben große Heilige, Mystiker und Mystikerinnen in der konkreten Meditationspraxis, wie bereits erwähnt, oft unterschiedliche Gesichtspunkte hervorgehoben und mitunter recht unterschiedliche Anweisungen gegeben. Dies bedeutet, dass es nicht die Praxis bzw. nicht nur eine Praxis der christlichen Meditation gibt. Große Unterschiede lassen sich bereits in der äußeren Form finden. Die Meditation während des Gehens, wie sie in den „Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers“ beschrieben wird, ist zum Beispiel eine Form, die in unserem Kulturkreis wenig bekannt ist. Franz Jalics lehrt das Jesusgebet in Verbindung mit der Wahrnehmung der Hände und des Atems. Es ist die Meditationsweise, die ich seit vielen Jahren praktiziere und auf die ich mich in diesem Buch beziehe.
1.Die äußeren Gegebenheiten
Die christliche Spiritualität kennt neben der Meditation ein breites Spektrum von Gebetsformen: das vorformulierte, das betrachtende, das reflektierende, das spontane, das affektive Gebet oder den Rosenkranz. Da das Gebetsleben, d. h. die Beziehung zu Gott, nichts Statisches ist, sondern sich entfaltet wie das Leben selbst, ist jede dieser Gebetsformen, zur rechten Zeit gepflegt, wertvoll und hilfreich.
Um die Meditation in den Alltag zu integrieren, ist es hilfreich, bestimmte äußere Gegebenheiten zu berücksichtigen. Der zeitliche Freiraum, der für die Meditation notwendig ist, hängt von der jeweiligen Arbeits- und Lebenssituation ab. Einem Rentner stehen andere zeitliche Möglichkeiten zur Verfügung als einem Manager, der noch voll im Berufsleben steht, oder einer Mutter in der Familienphase. Die Meditationszeit sollte auf jeden Fall geschützt sein. Dies bedeutet z. B., dass das Handy ausgeschaltet wird und die Menschen, mit denen man zusammenlebt, um diese stille Gebetszeit wissen. Der Raum sollte nach Möglichkeit ruhig und gut gelüftet sein. Wenn es die räumliche Situation zulässt, ist es vorteilhaft, bei sich zuhause eine Meditationsecke einzurichten. Von ihr kann stets eine stille Einladung für das Gebet ausgehen.
Die gewählte Sitzweise ist für den Meditierenden nicht ohne Bedeutung. Wie bereits den Mönchsvätern bekannt war, besteht eine wechselseitige Einwirkung von Körperhaltung und geistiger Haltung. So unterstützt ein entspannt aufgerichteter Oberkörper das aufmerksame Dasein. Dies ist auch im Alltag gut zu beobachten. Bei einem Gespräch, bei dem man mit Interesse dabei ist, richtet man z. B. den Oberkörper fast automatisch auf und signalisiert dadurch seinem Gegenüber: „Ich bin jetzt ganz Ohr“, „Ich bin jetzt ganz bei dir und aufnahmebereit“. Beim Fernsehen ist weder eine wache Aufmerksamkeit noch ein aufgerichteter Oberkörper notwendig. Der Fernseher läuft und läuft, ob man nun sein Interesse auf ihn richtet oder nicht und ungeachtet der eingenommenen Sitzposition.
Die entspannt aufrechte Körperhaltung ist auf einem Stuhl, einem Meditationshocker, einem Sitzkissen oder auf zusammengefalteten Decken möglich. Manche meinen, man müsse bei der Meditation unbedingt knien oder gar einen Lotussitz einnehmen. Dies sind Äußerlichkeiten. Bei der Meditation kommt es auf die innere Haltung an. Aus diesem Grund sind alle Sitzweisen gleich gut. Sie sollten der körperlichen Konstitution entsprechen und es ermöglichen, während der Meditation aufrecht, ruhig und gesammelt zu bleiben. Ein unbequemer Sitz und eine gekrümmte Körperhaltung führen leicht zu Verspannungen. Bei gesundheitlichen Einschränkungen ist es natürlich sehr wohl möglich, dass man den Oberkörper anlehnt. Man kann auch eine liegende Position einnehmen. Einem gesunden Menschen ist diese Position aber nicht zu empfehlen, da man leicht in ein Dösen abgleitet. Bei allen Sitzweisen ist darauf zu achten, dass der Kopf natürlich aufgerichtet ist, weder zur Seite noch nach vorne oder nach hinten geneigt ist. Bei mehreren Meditationseinheiten hintereinander empfiehlt es sich, die Sitzpositionen zu wechseln.
In der Regel schließt man während der Meditation die Augen. Sie können jedoch ebenso geöffnet bleiben. Der Blick ruht dann aber auf einem Punkt am Boden, ohne diesen zu fixieren. Um einem Dösen oder Träumen vorzubeugen, empfehlen die Mönchsväter, mit geschlossenem Mund zu meditieren. Des Weiteren empfehlen sie, dass zur Stunde des Gebets das Essen schon verdaut sein sollte. Diese praktischen Hinweise unterstützen das wache Dasein – damals wie heute.
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