1 ...6 7 8 10 11 12 ...44 Indem Balthasar die Einheit und Interdependenz zwischen Natur und Gnade analytisch löst und eben dadurch erhellt, stellt er zugleich auch die Weichen für die nähere Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und Philosophie. Weil „Übernatur und Gnade die letzte ontologische Form der gesamten Welt (sind), so ist es notwendig, daß all ihr Tun und Denken, ihr Leben und ihr Philosophieren je schon eingebettet ist in diese höchste Seinsform.“ 51Die Natur als Gegenstand der Philosophie, ist immer schon eine gnadenhaft erhöhte. „Darum (ist) auch alle Philosophie von einem – bewussten oder unbewussten – theologischen Apriori umgriffen.“ 52Zwar haben nach Balthasar Philosophie und Theologie je eigene, gegenläufige Formalobjekte – Philosophie betrachtet danach primär weltlich Seiendes, um von dort zum absoluten Sein vorzustoßen 53, während Theologie vom Geheimnis Gottes, wie es in der Offenbarung sich zeigt, aus auf die Welt zudenkt 54– aber die Materialobjekte sind unlösbar verflochten. Die konkrete Welt, wie Philosophie sie vor sich hat, steht immer schon in (positiver oder negativer) Beziehung zum Gott der Gnade. ‚Reine Natur‘ ist eine in der faktischen Welt nicht existente Abstraktion.
Analoges gilt für die Erkenntnisfähigkeit. Auch hier erweist sich wieder das Ineinander von ontischer und noetischer Dimension als zwei Aspekte der einen Wirklichkeit. Nach Balthasar verfügt die Philosophie über kein eigenes Werkzeug, weil eben „auch das konkrete Auge der Vernunft immer schon entweder ein durch das Licht von Glaube und Liebe gereinigtes und geschärftes, oder aber ein durch Erbsünde oder persönliche Schuld verdunkeltes“ 55ist.
Vor diesem Hintergrund erwartet Balthasar als angemessene Haltung der Philosophie die Anerkennung ihrer Grenze als weltliche Wissenschaft, die „auf einen anderen, mehr als nur weltlichen Abschluss angewiesen und auf diesen hingeordnet“ 56, d. h. von der Theologie zu vollenden ist. Den Grundfehler aller rein philosophischen Entwürfe erkennt er in dem Versuch, die Antwort auf die Seinsfrage vom Endlichen her zu entwerfen. Damit wird seiner Überzeugung nach das Verdankt-Sein, dessen Erkenntnis, wie eingangs dargestellt, die philosophische Frage allererst auslöst, systematisch geleugnet. 57Philosophie muss sich so im Sinne Balthasars unweigerlich selbst verfehlen, indem sie „jeder Transzendenz entratend, in absolutistische Immanentismen oder logizistische Formalismen“ 58verfällt.
Für ebenso gefährlich erachtet er es aber, „wenn man den Menschen an seiner natürlichen Vernunftbewegung vorbei und im Gegensatz zu ihr zu Gott führen will; denn ein solcher (theologischer; S. H.) Positivismus verdächtigt und verketzert den der Natur eingezeichneten Weg und zwingt sie, aus Opposition zu einem positivistischen Christentum, in den Atheismus.“ 59Das philosophische Formalobjekt ist also keineswegs in die Theologie hinein aufzulösen. „Sofern … der vernunftbegabte Mensch in der Offenbarung nicht überrannt, sondern geachtet wird, schließt das für eine die Offenbarung ins Wort bringende Theologie unbedingt ein, daß sie ihre eigene Wahrheit nicht ohne Philosophie finden kann, Theologie also nirgends ohne Philosophie, rationales Denken auskommt.“ 60Daher postuliert Balthasar die Integration von Theologie und Philosophie zu einer Wissenschaft der „ Theosophie “ 61. Aber, um es noch einmal pointiert zu sagen, „es geht von Balthasar nicht um eine Synthese, in der Philosophie und Theologie als prinzipiell gleichberechtigte Glieder in einer dialektischen Relation miteinander vermittelt wären.“ 62Was er beiden Disziplinen dagegen abverlangt, ist „Eingliederung in eine Einheit, die vorgegeben ist, um Bewahrung und Hineinordnung in eine gegebene Ordnung und Struktur “ 63, wie sie im absoluten Prius der Gnade bei relativem Prius der Natur gegeben ist, im klaren Bewusstsein des „ständige(n) Gestelltsein(s) unseres Denkens in eine Entscheidung für das Wort Gottes, nicht bloß inhaltlich, sondern schon formal im Denkakt selber“ 64. Diese scheinbare Verdemütigung menschlichen Denkens, seine Unterordnung unter das theologische Apriori, bezeichnet im Sinne Balthasars gerade seine Würde, weil sie Ausdruck gnadenhafter Erhöhung menschlicher Vernunft ist. In diesem Sinne bedeutet ihm die Unterordnung der Philosophie unter die Theologie keineswegs fremddienliche Versklavung 65, sondern vielmehr Erfüllung ihrer wahren Bestimmung. Dennoch aber bleibt für von Balthasar wahr, dass Theologie, weil durch ihre gnadenhafte Erhöhung der Philosophie immer notwendig überlegen, „über den Gebrauch des philosophischen Gedankengutes keine letzte Rechenschaft schuldig“ 66ist.
Das balthasarsche Programm der Integration , so ist deutlich geworden, „fordert eine strenge Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Theologie, welche Zusammenarbeit aber nur möglich wird, wenn beide Disziplinen innerlich füreinander offen sind. Das ist nur möglich, wenn die Analogie zwischen göttlichem Urbild und weltlichem Abbild von beiden Seiten wieder zentral zu denken versucht wird.“ 67Damit rückt nun Balthasars Philosophieverständnis vollends in den Blick: Philosophie im wahren Sinne des Wortes ist für ihn gleichbedeutend mit Metaphysik. Nur wo menschliches Denken sich der ewig bleibenden Frage nach dem Sein des Seienden stellt und sich von ihr in einer Bewegung der Selbsttranszendenz vor die Frage des absoluten Seins führen lässt, so seine unumstößliche Überzeugung, wird es sich selber gerecht. „Der Weg zum Sein, der der Weg der Vernunft überhaupt ist, ist der Weg zu Gott.“ 68Nur seinsmetaphysisches Denken, als demnach einzig wahre Philosophie, ist ob seiner Offenheit auf das Absolute hin anschlussfähig für Theologie. Seine ‚Theosophie‘ kann Balthasar daher auch als unterscheidend christliche Metaphysik 69bezeichnen.
2.1.2 Unterscheidend christliche Metaphysik
Seine originär eigenen Konzeptionen entwickelt von Balthasar in aller Regel in kritischer Auseinandersetzung mit anderen Denkern und ihren Aussagen. Dabei dienen ihm sowohl die Theologie- und Philosophiegeschichte, aber auch Literatur, Musik und bildende Kunst aller Epochen als Hintergrundfolien. Auf dieses ganz eigentümliche methodische Vorgehen wird später noch ausgiebiger einzugehen sein. 70Es ist an dieser Stelle aber bereits in Rechnung zu stellen, weil gerade auch Balthasars grundlegende Gedanken zu der Frage, welcher Gestalt eine moderne, den Herausforderungen unserer Zeit gerecht werdende Metaphysik sein müsste, aus seiner Kritik an der neuzeitlichen Metaphysik neuscholastischer Prägung erwachsen. Um seine zentralen Anliegen genau verstehen und richtig einordnen zu können, ist es also unerlässlich, zunächst einmal seine Kritik zumindest in groben Linien nachzuzeichnen, um anschließend die Konturen seines eigenen Entwurfs in Abgrenzung von diesem Umriss hervortreten zu lassen.
2.1.2.1 Seinsvergessenheit der neuzeitlichen Metaphysik
Jedes ernsthafte philosophische Bemühen ist, wie bereits deutlich wurde, nach Balthasar seinem Wesen nach „auf die authentische metaphysische Frage als Mitte hin(ge)ordnet: Warum ist überhaupt Etwas und nicht lieber Nichts?“ 71In der Erfahrung der grundsätzlichen Nicht-Notwendigkeit alles weltlich Seienden gerät der Mensch in Staunen über das Wunder des Seins. „Das aber besagt …, daß es nicht nur verwunderlich ist, daß Seiendes in der Differenz zum Sein sich über das Sein wundern kann, vielmehr ebenso, daß das Sein als solches und von sich her bis zum Ende ‚wundert‘, sich als Wunder, wunderlich und wunderbar benimmt. Dieses Ur-Wunder festhaltend zu bedenken, müsste das Grundanliegen der Metaphysik sein“. 72Gerade diesem Anspruch wird nun aber, so sein Befund, neuzeitliche Philosophie nicht gerecht. Vielmehr ist sie seiner Auffassung nach tiefster Seinsvergessenheit verfallen. Er beobachtet „eine schicksalshafte Erblindung, die ganze Geschlechter befällt: die äußerste Fragwürdigkeit der seienden Welt verstellt den Ausblick auf das umgreifende Sein, die metaphysische Urfrage an dieses wird gar nicht mehr gestellt“ 73.
Читать дальше