München im Mai 2013
Prof. TCM (Univ. Yunnan) Li Wu
Die Grundlagen der TCM
Ganzheitlich heilen
Haben Sie oft Schwierigkeiten einzuschlafen? Leiden Sie unter einem nervösen Magen oder verspannten Nacken? Bedingt durch eine immer höhere Stressbelastung nehmen solcherlei Beschwerden in den westlichen Ländern in den letzten Jahrzehnten stetig zu. Und wenn auch viele Menschen darunter leiden, so werden die meisten dieser „Zipperlein“ doch als typische Zivilisationsbeschwerden mehr oder weniger hingenommen.
Dabei kann die TCM gerade bei solchen Beschwerden oft viel mehr ausrichten als die klassische Schulmedizin.
Für all diejenigen, die sich nicht damit abfinden wollen, nichts gegen solche Alltagsleiden zu unternehmen, bietet die TCM eine erstaunliche Bandbreite an Therapie- und Behandlungsmethoden.
Dieses Buch versteht sich als Einführung in die Methoden der TCM. Es informiert über ihre Grundlagen und Hintergründe, zeigt auf, warum die Methoden der chinesischen Medizin gerade bei vielen der heute verbreiteten Gesundheitsbeschwerden so hilfreich sein können, und bietet schließlich Übungs- und Heilprogramme für die ganze Woche. Wir wollen Ihnen so vermitteln, wie Sie Ihrem Körper mit wenig Zeitaufwand etwas Gutes tun können.
Viele Patienten spricht die TCM deshalb so an, weil sie als ganzheitliche Medizin eine Trennung zwischen Körper, Geist und Seele nicht kennt und den Menschen deshalb als Einheit betrachtet und behandelt. Diese Akzeptanz ihrer Grundlage und die Erfolge der einzelnen Behandlungsmethoden zeigen: Methoden wie Akupunktur, Akupressur und andere Massageformen, bestimmte Ernährungsprinzipien, die Atemübungen Qi Gong und die Heilgymnastik Tai Chi machen die TCM zu einem wirkungsvollen System, in dem Vorbeugung und Gesunderhaltung eine wichtige Rolle spielen.
Anders als im Westen versteht man in China unter Gesundheit nämlich weniger die Abwesenheit von Krankheit als eine ganz bestimmte Lebensweise, die sich durch einen achtsamen und verantwortungsvollen Umgang mit sich selbst auszeichnet.
In der chinesischen Medizin geht es also vor allem um die Vermeidung von Krankheiten, nicht um deren Bekämpfung.
Ideal ist auch die Verbindung von westlicher Medizin mit chinesischem Heilwissen. So kann eine TCM-Behandlung zum Beispiel nach einer Operation oder einer medikamentösen Behandlung ausgleichend und regenerierend wirken. Dass sich mit Methoden der TCM eine ganze Reihe von Beschwerden nachweislich gut behandeln lassen, ist inzwischen ein anerkannter Fakt. Deshalb übernehmen mittlerweile viele Krankenkassen beispielsweise bei der Schmerztherapie die Kosten für eine Akupunkturbehandlung. Allerdings ist es in solchen Fällen sicherlich hilfreich, vor der Selbstbehandlung auch einen Arzt zu Rate zu ziehen.
Jede Medizin ist auch Ausdruck der Gesellschaft und Kultur eines Landes, in der sie entstanden ist. Auch die chinesische Heilkunde ist eng mit dem kulturellen Kontext Chinas verwoben und wird getragen von einer Philosophie der Verbindung von Gegensätzen und ganzheitlichem und beziehungssensiblem Denken. Dabei werden Mystik und die wirklich sichtbare Realität nie so als Gegensätze betrachtet, wie wir es in unserer westlichen Denkweise kennen, sondern verschmelzen zu einem System. So wird in der chinesischen Weltsicht dem Zusammenhang einer Krankheit mit der natürlichen und sozialen Umwelt eines Betroffenen sehr viel mehr Beachtung geschenkt.
Diese ganzheitliche Sicht auf den Menschen ist eine der wichtigsten Grundlagen der TCM. Körper, Geist und Seele bilden diesem Ansatz zufolge eine Einheit und sind bestimmte Ausprägungen der universellen Lebensenergie Qi.
Krankheiten werden in der TCM demzufolge auch nicht als Beschwerden einzelner Organe betrachtet, sondern als Störung des Gesamtorganismus. In engem Zusammenhang damit steht die Theorie der Meridiane, also der Leitbahnen, die die einzelnen Organe sowie das Körperinnere und die Körperoberfläche miteinander verbinden und auf denen die Lebensenergie Qi fließt. Wie wir später noch sehen werden, spielen diese vor allem in der Akupunktur, der Heilmassage, aber auch in der Heilkräuterkunde eine wichtige Rolle.
Die ganzheitliche Sicht auf den Menschen bedeutet aber auch, dass dieser nie getrennt von seiner Umwelt betrachtet wird. In der Philosophie des Daoismus, die auch der TCM zugrunde liegt, ist der Mensch Teil des von Energie erfüllten Universums, unseres Planeten und der uns umgebenden Natur.
In dieser Weltsicht hängt alles voneinander ab und ist miteinander verbunden. Ein TCM-Arzt hat also auch immer die Abhängigkeiten von seelischen und körperlichen Symptomen und Umweltfaktoren im Blick und versucht, aus ihnen Rückschlüsse auf mögliche Disharmonien zu schließen.
Die theoretische Basis, auf der die TCM heute fußt, geht bereits auf das zweite Jahrhundert v. Chr. zurück. Zu diesem Zeitpunkt entwickelten chinesische Gelehrte die theoretischen Grundlagen wie die Yin-und-Yang- und die Fünf-Phasen-Theorie sowie die Theorie der Meridiane.
Der geistige Hintergrund der chinesischen Heilkunde
→ Körper, Geist und Seele bilden eine Einheit.
→ Für die Gesundheit ist ein ausgeglichener Energiefluss im Körper verantwortlich. Wird dieser gestört oder blockiert, kommt es zur Krankheit.
→ Jede Energie soll ausgewogen zwischen zwei Polen vorhanden sein. Ist zu viel oder zu wenig Lebensenergie (Qi) vorhanden, wird ein bestimmter Körperteil krank, und das wirkt sich über die Leitbahnen (Meridiane) auf den gesamten Körper aus.
Das Kräftegleichgewicht von Yin und Yang
Eines der Schlüsselkonzepte der TCM ist der Gegensatz von Yin und Yang. Er taucht erstmals in einem Dokument aus dem 11. Jahrhundert auf und wird auf die Beobachtung zurückgeführt, dass in der Natur alles einem dynamischen Wandel bzw. dem Zusammenspiel gegensätzlicher Elemente unterliegt: Yin und Yang repräsentieren symbolisch diesen universellen Prozess einer sich dauernd verändernden Wirklichkeit. Beide Seiten sind untrennbar miteinander verbunden und ergänzen sich gegenseitig: Wenn das Dunkle weicht, kommt das Helle, um dann wieder dem Dunklen Platz zu machen. Den Tag gäbe es nicht ohne die Nacht, Winter nicht ohne Sommer, Ruhe nicht ohne Aktivität und Dunkelheit nicht ohne Licht.
Diese Polarität bestimmt unser Leben, denn auch im Menschen selber finden sich diese zyklischen Abläufe wieder. Alle Funktionen unseres Körpers haben einen Yin- und einen Yang-Anteil: Wir streben nach Ruhe bei Hektik, nach Entspannung bei Anspannung, nach Kälte bei Hitze, nach Leere bei Sattheit etc. Bei Überanspruchung des einen Aspekts bzw. einer Störung der Harmonie gerät das System durcheinander und es kommt zu Yang- oder Yin-Schwäche-Zuständen, die sich in bestimmten Beschwerden äußern. Krankheit ist dieser Logik zufolge immer ein Ungleichgewicht von Yin und Yang.
Bei Betrachtung dieser Polaritäten fällt auf, dass Yin und Yang zwar Gegensätzliches darstellen, diese Gegensätze einander aber brauchen. Es geht also stets darum, einen harmonischen Ausgleich der beiden Aspekte zu schaffen, da jede einzelne Kraft im Ungleichgewicht (gesundheitlichen) Schaden anrichten kann.
Die wertfreie Bedingtheit der beiden Aspeke Yin und Yang wird von diesem kreisförmigen Zeichen veranschaulicht:
In der TCM werden auch die Bestandteile des menschlichen Körpers in Yin und Yang eingeteilt. So entspricht unsere Vorderseite Yin, unsere Rückseite hingegen Yang; unsere obere Hälfte ist mehr Yang als die untere. Links gilt als Yang und rechts als Yin, Knorpel und Sehnen als Yang und Haut und Knochen wiederum als Yin.
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