Die Folgen dieser Diagnose sind für Pauline verheerend. Sie gestalten sich wie eine Serienschaltung in der Beleuchtungskunst, ein Impuls löst den anderen aus, Abzweigungen im Strompfad sind nicht vorgesehen. Generell wird für alle Handlungen von Pauline Schmid eine «Verminderung der Zurechnungsfähigkeit» angenommen: «Zahlenmässig lässt sich der Grad dieser Verminderung nur schätzen. Es scheint uns aber die durch die Debilität und Affektlabilität gegebene Herabsetzung der Urteilsfähigkeit doch so gross zu sein, dass man die Verminderung der Zurechnungsfähigkeit als ziemlich schwerwiegend, etwa um 50 %, einschätzen darf.» Auch die angeforderte Prognose, bei der die Ärzte das Feld der Diagnostik verlassen und fraglos vom Gewesenen auf Künftiges schliessen, gestaltet sich entsprechend düster: «Prognostisch scheint uns der Fall ungünstig. Weder die Debilität noch die Charakterschwäche lassen sich beeinflussen.» Paulines Schwächen sind als genetische Defekte unheilbar, sie braucht, will man künftigen Schaden verhindern, enge fürsorgerische Begleitung. «Dass Frau Schmid in einem Milieu, in dem sie unter ständiger Aufsicht steht, sich einigermassen halten kann, hat sie in der Anstalt bewiesen. Sobald sie aber auf sich allein angewiesen wäre, sobald Pflichten an sie herantreten und sie auch gewisse Rechte besitzt, wird sie wieder versagen.» Die Ärzte gehen in ihrer Prognostik noch einen Schritt weiter, ergänzen das klinische Terrain mit Armutsanalysen: «Sie hat durch ihr bisheriges Verhalten gezeigt, dass sie nicht fähig ist, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen und dass sie durch die Art ihrer Lebensführung sich und andere gefährdet, sowie sich und ihre Familie der Verarmung aussetzt.» Der Satz liest sich bitter im Wissen, dass sich Pauline seit ihrem 14. Lebensjahr selbstständig und ohne Unterstützung durchs Leben schlagen musste. Die abschliessende Empfehlung der Psychiater, die Strafgefangene in einem ersten Schritt zu entmündigen, ist für diese zwingend und wird skeptisch ergänzt durch den Hinweis auf weitere zu erwartende Massnahmen. «Ob es gelingen wird, sie unter Aufsicht eines Vormundes zu einem geregelten Leben und zu einer Beherrschung ihrer kriminellen Neigungen zu bringen, ist aber unsicher.» Die Ärzte schlagen deshalb vor, die Klientin im Falle einer Scheidung – ansonsten hat sie ja bereits ihren Ehemann als Vormund – «an eine Stelle unter genügender Aufsicht zu plazieren und beim nächsten, zu erwartenden Rückfall» eine länger dauernde «korrektionelle Versorgung» anzuordnen. Einig sind sich die Ärzte auch darin, dass Pauline mit ihrem «moralischen Defekt» unfähig ist, Kinder zu erziehen: «Man sollte ihr weder den kleinen Jakob noch das zu erwartende Kind anvertrauen, sondern ihr die elterliche Gewalt über die Kinder entziehen.» Und sollte die Frau geschieden werden und später neue Heiratspläne schmieden, wird bereits jetzt ihre Eheunfähigkeit klinisch bestätigt, mit dem Appell an den künftigen Vormund, dereinst entsprechend zu intervenieren. Am Schluss ihres Gutachtens zeigen sich die urteilenden Psychiater fast schon grosszügig: «Gegen eine der Bevormundung vorhergehende Anhörung der Patientin haben wir ärztlicherseits nichts einzuwenden.»
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