Die nächste Ebene der Hilfe könnte man als halbformell bezeichnen. Das betrifft die unterschiedlichen Fachleute für Hilfen im Haus, beim Auto, beim Computer, bei audiovisuellen Geräten u.Ä. Hier wird Hilfe benötigt, damit etwas funktioniert; man ist persönlich nicht besonders beteiligt und zahlt für den Service oder die Information. In diesem Bereich macht man besonders viele frustrierende Erfahrungen, ob als Kunde oder als Helfer, denn wir gehen davon aus, dass Geräte leicht zu bedienen sein sollten, und sträuben uns gegen neue Begrifflichkeiten und Abläufe, etwa beim Computer.
Formelle Hilfe wird bei persönlichen, gesundheitlichen oder emotionalen Problemen gebraucht, bei denen medizinische, rechtliche oder geistige Unterstützung von Menschen benötigt wird, die dazu qualifiziert und approbiert sind. Wir gehen zu Ärzten, Anwälten, Priestern, Beratern, Sozialarbeitern, Psychologen und Psychiatern, um individuelle Unterstützung zu finden. Führungskräfte in Unternehmen und Organisationen lassen sich bei Leitungs- oder Leistungsproblemen beraten. Diese Hilfe ist ein professioneller und formeller Prozess, bei dem Verträge, Terminpläne und der Austausch von Geld oder anderen Wertgegenständen gegen Dienstleistungen eine Rolle spielen. Die meisten Untersuchungen über den Bereich des Helfens beschäftigen sich mit dieser formellen Ebene, obwohl informelle oder halbformelle Hilfen sehr viel häufiger sind und ihr Scheitern schwerwiegendere Folgen hat.
Wir werden untersuchen, ob sich diese formelle Hilfe von der alltäglichen informellen und halbformellen Hilfe unterscheidet. Was macht ausgebildete und approbierte Helfer erfolgreicher bzw. erfolgloser und was können wir von ihnen lernen, um Fertigkeiten in weniger formellen Settings zu verbessern? Genauso wichtig ist die Frage, was die professionellen Helfer von einer genaueren Untersuchung der Dynamik informeller oder halbformeller Hilfe lernen können.
Ein Fremder zeigt dem Touristen den Weg
Ein Vater erledigt die Hausaufgaben seines Kindes
Ein Ehemann berät seine Frau bei der Wahl eines Kleides für die Party
Eine Krankenschwester hilft dem Patienten, die Bettpfanne zu benutzen
Ein Freund ergänzt das Wort, das einem auf der Zunge liegt
Ein Gast bietet an, den Tisch abzuräumen und das Geschirr zu spülen
Ein Lehrer erklärt dem Schüler einen Begriff
Ein Computerexperte begleitet jemanden Schritt für Schritt bei der Lösung eines Problems
Ein Mitarbeiter beim Notruf oder bei der Telefonseelsorge berät einen Menschen in Not
Ein Kind zeigt einem Freund oder seinen Eltern, wie man das neue Telefon benutzt oder ein Videospiel spielt
Ein Berater hilft seinem Klienten, seine Fertigkeiten zu verbessern
Eine Operationsschwester reicht dem Chirurgen das richtige Skalpell im rechten Moment
Ein Footballspieler macht dem Läufer den Weg frei
Ein Coach berät einen Manager beim Umgang mit Untergebenen
Ein Schauspieler gibt beim Improvisationstheater seinem Partner das Stichwort für den Lacher
Ein Mitarbeiter der Arbeitsagentur hilft einem Arbeitslosen, einen neuen Job/einen neuen Beruf zu finden
Ein Fließbandarbeiter fertigt seine Teile so rechtzeitig, dass das
Fließband weiterlaufen kann
Ein Pfleger versorgt einen Kranken
Ein Anwalt berät seinen Klienten in Scheidungsfragen
Ein Sozialarbeiter hilft einer Familie, eine wirtschaftliche Krise zu bewältigen
Ein Psychotherapeut unterstützt seinen Klienten bei der Bewältigung von Verhaltens-oder emotionalen Problemen
Ein Pfarrer hilft einem Gemeindemitglied beim Umgang mit Schuld, Trauer oder Angst
Ein Arzt stellt einem Patienten die Diagnose und verschreibt Medikamente
Ein Beerdigungsunternehmer hilft einer trauernden Familie, mit dem Tod fertig zu werden
Ein Berater bemüht sich, die Abläufe in einer Organisation zu verbessern
Abb. 1: Die vielfältigen Formen der Hilfe
Anbieten / Anleiten / Befähigen
Beistehen / Beraten / Coaching
Consulting / Counseling / Empfehlen
Erklären / Fördern / Geben
Haushalt führen / Katalysieren / Kümmern
Lehren / Liefern / Mentoring
Pflegen / Rat geben / Steuern
Stützen / Überreichen / Verbessern
Verschreiben / Versichern / Aufklären
Abb. 2: Andere Begriffe für Helfen
Helfen ist ein gesellschaftlicher Prozess
Hilfe wird gegeben und angenommen, und deshalb konzentriere ich mich auf die Frage, wie die helfende Beziehung definiert und verstanden werden kann. Dieser Fokus führt wiederum zu einer Diskussion über Beziehung im Allgemeinen. Was bedeutet eine gute Beziehung, in der wechselseitiges Vertrauen und offene Kommunikation möglich sind?
Alle Beziehungen werden von kulturellen Regeln bestimmt, die vorgeben, wie man sich in der Beziehung zu anderen zu verhalten hat, damit es zu einem gefahrlosen und produktiven sozialen Austausch kommt. Wir bezeichnen diese Regeln als gutes Benehmen, Takt und Manieren. Dieser Ebene des offenen Verhaltens liegen feste Regeln zugrunde, die eingehalten werden müssen, wenn die Gesellschaft funktionieren soll. Manche sind situationsabhängig, aber es gibt in jeder Kultur eine Gruppe universeller Regeln, deren Verletzung Ächtung und Isolation zur Folge hat. Ein solcher Verstoß im Laufe einer Interaktion führt dazu, dass wir verletzt, beleidigt, peinlich berührt sind und an der Qualität der Beziehung zweifeln. Der Klient, der das Gefühl hat, keine Hilfe gefunden zu haben, verliert das Vertrauen und ist verletzt, während der Helfer sich ablehnt oder ignoriert fühlt.
Helfen ist also eine Beziehung, aber der Prozess des Anbietens und Annehmens halbformeller oder formeller Hilfe beginnt meist mit einer individuellen Initiative. Das heißt, man muss begreifen, wie aus dem anfänglichen Kontakt zwischen potentiellem Helfer und potentiellem Hilfesuchenden eine Beziehung wird, die zur Hilfe führt. Eine helfende Beziehung entsteht, wenn jemand hilft , Hilfe anbietet oder Hilfe sucht. Ein Teamleiter sucht sich eine Reihe von Leuten und setzt einen Prozess des Aufbaus von Beziehungen in Gang, der dazu führt, dass sich die Mitglieder des Teams gegenseitig helfen. Ein Berater hilft einem Manager, Arbeitseinheiten so zu strukturieren, dass sie sich gegenseitig helfen und die Ziele der Organisation erreicht werden können. Und auch wenn eine Gruppe oder Gemeinschaft erkennt, dass sie kollektiv Hilfe braucht, muss jemand dieses Bedürfnis artikulieren und ins gemeinsame Bewusstsein holen, damit der Prozess einer helfenden Beziehung in Gang kommt.
Wir müssen uns also zunächst auf die Frage konzentrieren, wie aus persönlicher Initiative eine Beziehung entsteht. Wer die Dynamik des Beziehungsaufbaus kennt, kann eine effektivere helfende Beziehung entwickeln.
In den folgenden Kapiteln werde ich einige grundlegende Regeln für Beziehungen und ihre Anwendung auf die helfende Beziehung untersuchen. Wir werden die ungleichen, unklaren Rollen in der helfenden Beziehung betrachten, die verschiedenen möglichen Rollen der Helfer in einer ausgeglichenen und angenehmen Beziehung, den Aufbau einer solchen Beziehung und die Interventionen im Verlauf der Entwicklung der Beziehung zwischen Klient und Helfer.
* Diese Kapitel ist auf Deutsch in leicht geänderter Form zuerst erschienen in: Profile 17 (2009), 5-9; aus dem Amerikanischen von Irmgard Hölscher.
2. Kapitel
Ökonomie und Theater – Das Wesen der Beziehung
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