Andreas Müller
Mehr ausbrüten, weniger gackernDenn Lernen heißt: Freude am Umgang mit Widerständen Oder kurz: Vom Was zum Wie Reihe: LernCoaching ISBN Print: 978-3-0355-0059-2 ISBN E-Book: 978-3-0355-0060-8
Gestaltung: lernenbewegt, Roland Noirjean, Beatenberg
2. Auflage 2013
Alle Rechte vorbehalten
© 2013 hep verlag ag, Bern
www.hep-verlag.com
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort – Das Gelbe vom Ei
Eine kleine Auslegeordnung
LRF 1: Orientierung
LRF 2: Auseinandersetzung
LRF 3: Arrangements
LRF 4: Evaluation
LRF 5: Interaktion
LRF 6: Lernort
Menschenbild
Rollenverständnis
Lernverständnis
Funktionsverständnis
Die Wie-Wende
Literatur
Links
Das Gelbe vom Ei
LernCoaching heißt …
… den Lernenden zum Erfolg zu verhelfen
Veränderungen prägen das heutige Leben. Change happens. Das Tempo nimmt zu. Ein statisches Schulsystem passt schlecht in eine dynamische Welt.
Die Sozialisierungshintergründe von Kindern und Jugendlichen weichen zunehmend voneinander ab. Ein konstruktiver Umgang mit Vielfalt ist gefragt: diversity management.
Heterogenität ist so gesehen nicht ein Problem – sondern eine Chance. Aber das setzt eine neue – oder andere – Lernkultur voraus. Und eine neue – oder andere – Professionalität.
Dazu gehören auch Beziehung und Erziehung: jene Kompetenzen ins Visier nehmen, die nicht nur abschlussfähig machen, sondern anschlussfähig – an relevante Lebenssituationen.
Das Ziel: in integraler Weise die Voraussetzungen schaffen für erfolgreiches Lernen. Denn zum Erfolg gibt es keine Alternative.
Aber: Erfolg setzt Leistung voraus. Lernen heißt also: konstruktiv mit Schwierigkeiten und Widerständen umgehen. Lernende müssen Freude entwickeln am Umgang mit Widerständen.
Eine Voraussetzung dafür: Selbstwirksamkeit. Und damit das Gefühl von Machbarkeit. Das wird unter anderem sichergestellt durch individuelle Ziele. Und Verbindlichkeiten.
Vereinbarungen haben aber nur Sinn, wenn sie Folgen haben.
Im Klartext: Verbindlichkeiten gilt es einzufordern. Das hat mit Wertschätzung zu tun.
Damit ist klar: LernCoaching ist eine Art Einforderungsdidaktik. Das erfordert manchmal Mut zu konstruktiver Unpopularität. Motto: Mehr Tugend für die Jugend.
Lernen – und Verstehen – kann der Mensch nur selbst. Das tut er auch: selbst und ständig. Dabei braucht er in differenzierter Weise Unterstützung – Hilfe zur Selbsthilfe.
Ziel von schulischem Lernen ist die Förderung der Selbstgestaltungskompetenz. Dazu muss das Denken die Richtung ändern – weg von der Pädagogik, hin zur Autagogik 1.
LernCoaching wirkt durch …
… ein bewusstes Gestalten lernrelevanter Faktoren
Lernen — auch schulisches — ist keine eindimensionale, monokausale Angelegenheit. Im Gegenteil: Der individuelle Konstruktionsprozess namens »Lernen« gestaltet sich höchst komplex und entzieht sich weitgehend der äußeren Einflussnahme. Anders gesagt: Es wird nicht gelernt, was gelehrt wird.
Ein bisschen mehr als nur dem Zufall nachhelfen kann LernCoaching dennoch. Durch entsprechend professionelles Handeln lassen sich die lernrelevanten Faktoren (LRF) beeinflussen – mit dem Ziel, Lernen erfolgswahrscheinlich zu gestalten.
LRF 1: Orientierung
Inhaltliche Landkarte. Wo stehe ich? Wo will ich hin? Wie komme ich dorthin?
LRF 2: Auseinandersetzung
Verstehen. Lernkompetenz und Lernnachweise durch individuelle Zielformulierungen.
LRF 3: Arrangements
Vielfalt »organisieren«. Ermöglichungsstrukturen. Aktivitätsschwerpunkt bei Lernenden.
LRF 4: Evaluation
Förderdiagnostik. Leistungen mit Referenzwerten in Beziehung bringen. Einforderungskultur.
LRF 5: Interaktion
Lösungs- und entwicklungsorientiert. Fragen statt sagen. Angebote machen.
LRF 6: Lernort
Umgebung als Determinante – »dritter Pädagoge« und Inspirationsquelle.
LernCoaching ist nicht einfach eine andere Arbeit im System. Es ist auch – und vor allem – Arbeit am System. Es geht darum, auf die lernrelevanten Faktoren bewusst Einfluss zu nehmen und so die individuelle Erfolgswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Denn zum Erfolg gibt es keine Alternative.
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Autagogik versteht sich als übergeordnetes Konzept für selbstkompetentes, selbstwirksames Lernen. Der Begriff setzt sich zusammen aus griech . autós, »selbst, aus eigener Kraft« und ágein »führen«. |
Eine kleine Auslegeordnung
Wir alle sind ein Produkt unserer eigenen Geschichte: Alles, was jetzt – in der Gegenwart – geschieht, ist das Ergebnis von Entscheidungen, die wir vorher einmal getroffen haben. Mit anderen Worten: Jede Zukunft hat eine Herkunft.
Und Lernen, das sind die Schritte zwischen Herkunft und Zukunft. Schritte hinterlassen Spuren. Auf diesen »Gebrauchsspuren« (Spitzer 2006) bewegt sich unser Denken. »Gute« Spuren ausbauen oder neu anlegen, das ist also – ein bisschen plakativ – das Ziel schulischen Lernens. Dazu müssen die Lernenden aktiv sein, etwas tun. Sie müssen vor allem lernen, konstruktiv mit Schwierigkeiten und Widerständen umzugehen. Und eben nicht: Widerstände zu umgehen.
Das bedeutet: Es geht darum, sich auseinanderzusetzen – mit Dingen, mit anderen Menschen, mit sich selbst. Sich auseinandersetzen wiederum, das funktioniert nicht per Mausklick oder Knopfdruck. Denn sich auseinandersetzen heißt: Widerstände meistern, nicht mit der erstbesten Lösung zufrieden sein. Und es heißt auch: Umwege gehen. Denn: Umwege erhöhen die Ortskenntnis. Für die Schule bedeutet das im Kern:
Lernende müssen Freude entwickeln am Umgang mit Widerständen und Schwierigkeiten.
Das Leben ist gestaltbar. Das Lernen auch. Alles – jede noch so kleine Aufgabe – lässt sich verwandeln in etwas, das wirklich Sinn macht. Es ist letztlich eine Frage des angeborenen oder erlernten Widerwillens, sich in die langweilige Ecke drängen zu lassen. Oder den Widerwillen, die eigene Phantasie auf das Format einer karierten Heftseite zu beschränken.
Lernen versteht sich also keineswegs als ein lineares und monokausales Geschehen. Wissen lässt sich nicht bequem von einem Kopf (jenem des Lehrers) in einen anderen (jenen des Schülers) übertragen. Lernen ist ein individueller Konstruktionsprozess. Wissen wird stets neu konstruiert. Lernen ist – neurobiologisch gesehen – eine Umstrukturierung neuronaler 2Verbindungen. Es entstehen Gebrauchsspuren. Auf diesen – ausgetretenen – Wegen verläuft unser Denken. Wer lernt, legt also auch neue Wege an. Neue Denkspuren. Diese Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen (Spitzer 2006).
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