Gebrauchsspuren
Schulisches Lernen – ist es auf Nachhaltigkeit ausgerichtet – folgt dem Ziel zu verstehen. Verstehen meint: Informationen umwandeln in Bedeutung. Oder: aus etwas Fremdem etwas Eigenes machen. Kapieren, nicht kopieren. Denn: Aha!, das beglückende Gefühl, etwas verstanden zu haben, ist ein hochgradig emotionales Erlebnis. Wenn der Groschen fällt, steigt das Dopamin 3. Das produziert Glücksgefühle.
Und so macht Lernen Freude. Es ist Freude an Leistung. An der eigenen! Etymologisch gesehen sind nämlich Lernen und Leistung gleichbedeutend. Und damit wird zum Ausdruck gebracht: Lernen, Verstehen und die Freude daran sind das Resultat einer Leistung. Oder eben: das Ergebnis eines konstruktiven Umgangs mit Schwierigkeiten.
Der Prozess des Lernens hat also im Grunde genommen nichts mit dem Was zu tun. Sondern einzig und allein mit dem Wie! Auf die Frage »Was lernst du?« gibt es so gesehen keine vernünftigen Antworten. Die Englischvokabeln von Kapitel 12. Das Kürzen von gemeinen Brüchen. Der Verlauf der Schlacht bei Bibrakte. Das sind allenfalls zukünftige Ergebnisse von Lernaktivitäten. Das Lernen selber findet aber immer in der Gegenwart statt. Hier und jetzt. Lernen ist Tun. Und die entsprechenden Aktivitäten antworten nur auf die Frage nach dem Wie!
a u f g e p i c k t
Um sich selbst zu erkennen, muss man handeln. Albert Camus
Es ist das Wie des Lernens, das die Spuren von der Herkunft in die Zukunft legt.
Kompetenzen
Wer kreativ und konstruktiv sein Lernen (und sein Leben) gestalten will, braucht Kompetenzen. Kompetenzen sind Fähigkeiten und Fertigkeiten, die von Lernenden entwickelt werden und sie befähigen, bestimmte Tätigkeiten in variablen Situationen auszuüben.
Oder ein bisschen genauer (Weinert): »Kompetenzen sind die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.« Lernen zielt also darauf ab, Kompetenzen zu entwickeln.
Dabei geht es einerseits um fachliche Kompetenzen. Um den Aufbau eines lebendigen und anwendungsbezogenen Fachwissens. Je mehr Wissen ein Lernender hat und je besser es strukturiert ist, umso leichter kann er damit »spielen« und neue Informationen damit in Beziehung setzen.
Es geht damit auch um methodische Kompetenzen. Oder neudeutsch: um learning skills. Ums Handwerk also. Und um die Werkzeuge dazu. Ein vielfältiges Strategie- und Methodenrepertoire erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit. Weshalb sonst sagte Abraham Maslow: Wer als einziges Werkzeug einen Hammer kennt, für den ist jedes Problem ein Nagel.
a u f g e p i c k t
Was nicht in die Wurzeln geht, geht nicht in die Krone. Friedrich Georg Jünger
Und es geht um Anschlusskompetenzen. Um Haltungen und Einstellungen. Dazu gehört der Umgang mit sich selber. Aber auch der Umgang mit anderen: Kommunikations-, Konflikt- und Integrationsfähigkeit. Und dazu gehört: beginnen, die Dinge nicht vor sich herzuschieben wie eine Wanderdüne. Und auch: zu Ende führen. Freude an der Widerständigkeit.
Wer den Anforderungen mehr oder weniger systematisch aus dem Weg geht, wird permanent von so etwas wie einem schlechten Gewissen verfolgt sein. Wer im Grunde genommen weiß, was er sollte, und es trotzdem nicht tut, findet sich nicht so toll. Und wer sich selber nicht mag, ist, so jedenfalls glaubt Friedrich Nietzsche, »fortwährend bereit, sich dafür zu rächen«. Schule muss also auch ein Ort sein, der den Lernenden gute Gründe gibt, sich selber zu mögen.
Die Bereitschaft, aktiv zu werden, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, ist gekoppelt an die Wahrscheinlichkeit, damit erfolgreich zu sein. Es braucht Selbstwirksamkeitsüberzeugungen 4. Es braucht den Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Auch das ist eine Gebrauchsspur. Und das heißt im Klartext:
Die Schule muss ein Ort sein, den die Lernenden als erfolgreich erleben.
Denn eben: Zum Erfolg gibt es schlichtweg keine Alternative.
Lernrelevante Faktoren
Lernen und Lernkompetenz – dahinter verbirgt sich ein komplexes Geschehen. Lernen ist immer individuell und persönlich. Und es entzieht sich weitgehend der Fremdsteuerung. Der Mensch lernt selbst und ständig.
Damit ist klar: Der Komplexität des Lernens ist mit einfachen Strickmustern nicht beizukommen. Jedenfalls nicht nachhaltig. Das gilt auch und gerade für schulisches Lernen. Und dieses schulische Lernen wird mit höherer Wahrscheinlichkeit erfolgreich und Sinn stiftend, wenn es gelingt, das Zusammenspiel der lernrelevanten Faktoren bedürfnisgerecht zu gestalten.
Lernen lässt sich nicht in Einzelteile zerlegen. Die Erfolgsfaktoren wirken integral durch die Dynamik ihrer Rückkoppelungsprozesse. Aufgabe von LernCoaches ist es deshalb, für ein optimales Zusammenwirken zu sorgen, die sechs lernrelevanten Faktoren im Hinblick auf eine individuelle Erfolgswahrscheinlichkeit möglichst günstig zu beeinflussen.
❶ Orientierung
Grundlage ist eine transparente und einsichtige Orientierung – quasi eine inhaltliche Landkarte. Es geht darum, zu wissen, was man können könnte. Es geht darum, die Erwartungen abzustecken (Referenzwerte). Und es geht um das Bewusstsein der eigenen Situation.
❷ Auseinandersetzung
Das Ziel heißt: Verstehen. Aus etwas Fremdem etwas Eigenes machen. Einer Spur folgen und konstruktiv mit Widerständen umgehen. Lernnachweise auf individuellem Herausforderungsniveau sind das Ergebnis eigener Zielformulierungen.
❸ Arrangements
Offene und bedürfnisgerechte Arbeitsformen führen zu einer Verlagerung des Aktivitätsschwerpunktes. Umgang mit Vielfalt auf der Grundlage einer Vereinbarungs- und Einforderungskultur. Lernorganisation ist immer auch (und vor allem) Selbstorganisation.
❹ Evaluation
Den Evaluationsabsichten kommt eine präformierende Wirkung zu. Kompetenzorientiertes Lernen verlangt nach entsprechendem Umgang mit Lernleistungen: referenzieren, präsentieren, reflektieren, dokumentieren. Förderung statt Selektion, Checks and Balances.
❺ Lernort
Der Lernort wirkt als »dritter Pädagoge« determinierend auf das Verhalten (z. B. Aktivitätsschwerpunkt). Räume dienen der Funktionalität, der Ästhetik und der Inspiration. Außerschulische Lernorte systematisch einbeziehen. Strukturierte Materialien als Lernanlässe offerieren.
➏ Interaktion
Eine lösungs- und entwicklungsorientierte Interaktion folgt der Logik des Gelingens. Das setzt ein Interesse an den Lernenden und an ihrem Erfolg voraus. In einer Kultur des Voneinander- und Miteinanderlernens werden Betroffene zu Beteiligten.
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