Intertextuelle Referenzen tragen zu dem genannten Humoreffekt bei,4 der für die Darstellung der patronus-cliens -Problematik von wesentlicher Bedeutung ist – schon bei Horaz, vor allem aber bei Martial und Juvenal. Um einen weiten Rahmen möglicher Referenzen einbeziehen zu können, beziehe ich mich meistens auf ‚literarische Anspielungen‘, die beim Leser verschiedene Auswirkungen haben können.
Die Unterscheidung von System- und Einzeltextreferenz hilft, bei der Interpretation von intertextuellen Referenzen zu kurz greifende Schlussfolgerungen zu vermeiden. Nicht immer bedeuten Ähnlichkeiten zweier Autoren, dass der spätere Autor einen direkten Bezug (mit affirmativer oder oppositioneller Intention) zu dem vorausgehenden Werk und Autor herstellen wollte. Vielmehr muss man in Betracht ziehen, dass sich der nachfolgende Autor damit (auch) in eine Gattungstradition einreihen wollte. Daher gilt es, die Beziehung zwischen Martial und Juvenal auf jeweils beiden Ebenen zu berücksichtigen. So sind etwa motivische Fortführungen, die für die römische Satire seit Horaz auch die Gattungstradition der Komödie und bei Juvenal auch die Skoptik von Martials Epigrammatik integrieren, i.d.R. eher als Systemreferenzen zu anzusehen.
2) Plautus’ Menaechmus-Monolog: Differenzierung zwischen clientes und parasiti
Schon in der römischen Komödie ist eine Problematisierung des Verhältnisses zwischen Patronen und Klienten zu finden, allerdings ist dabei zwischen der für die Nέα Kωμῳδία typischen Figur des Parasiten und der des cliens zu unterscheiden. Beide Figuren werden allerdings öfter in der Forschung als Einheit unterschiedslos betrachtet.1 Zwar knüpft das Thema der patronus-cliens- Beziehung oft an die Schmarotzer-Problematik an, da sowohl griechische Parasiten als auch römische Klienten sich Merkmale teilen; dies geschieht aber erst bei späteren Autoren, insbesondere der satirischen Dichtung der Kaiserzeit. Bei einer genaueren Betrachtung ist es daher evident, dass vor allem in der Komödie solche Figuren zwei getrennte Typen darstellen. Sie dürfen also nur mit der gebotenen Vorsicht gleichgesetzt werden.
Parasiten sind eine typische Figur der griechischen Komödie.2 Gattungsspezifisch ist die Figur in der römischen Komödie bei Plautus am häufigsten eingesetzt.3 Plautus scheint dabei das griechische Modell auszuarbeiten; dabei integriert er zwar römische Elemente;4 eine solche Integration ist aber doch komplexer als eine vereinfachte Gleichsetzung der Figur mit dem römischen cliens . Im vorliegenden Kapitel steht eine Passage der Plautus-Komödie Menaechmi im Mittelpunkt, in der die ausdrücklich erwähnten römischen clientes sehr gut von den Charakteristika der ebenso vorkommenden Figur des griechischen Parasiten zu unterscheiden ist.
Doch dabei lassen sich auch Elemente erkennen, die bei späteren Autoren, insbesondere in Texten der satirischen Dichtung der Kaiserzeit, zu einer gewollten Gleichsetzung bzw. Parallelisierung der beiden Figuren führen werden: Eigenschaften der (Komödien-)Parasiten werden etwa bei Martial oder bei Juvenal nicht selten dazu eingesetzt, die Störung des idealen Gleichgewichts in der römischen Institution der clientela zu signalisieren. Dies ist allerdings bei Plautus noch nicht festzustellen.
a) Der cliens quidam im Menaechmus-Monolog
PlautusMen. 571–600Außer zwei kurzen Erwähnungen der clientes im Sinne von eigentlichen Klienten in der Asinaria (871) und in den Captivi (335)PlautusAsin. 871PlautusCapt. 335 wird vor allem im plautinischen Werk Menaechmi die patronus-cliens- Problematik ausdrücklich behandelt – und zwar gerade nicht in unmittelbarer Verbindung mit der dort vorkommenden Parasiten-Figur, Peniculus: Am Anfang der 4. Szene im 2. Akt beklagt sich Menaechmus, der sich offensichtlich selbst in der Lage eines patronus befindet, über die Hemmungslosigkeit mancher clientes , die ihm lästige und peinliche Aufgaben bei der Verteidigung vor Gericht auferlegen. Die polymetrische Monodie des Menaechmus, der sog. Menaechmus-Monolog (Plaut. Men. 571–600), ist für die plautinische Forschung von großer Bedeutung. Denn es handelt sich dabei auch um einen für das Verständnis der Entstehung des plautinischen Theaters aussagekräftiges Abschnitt.1 Hier aber soll uns der Monolog als erste literarische Inszenierung der patronus-cliens- Problematik in der römischen Literatur interessieren.2
Selbst wenn die Überlieferungssituation leider einen Text mit etlichen Schwierigkeiten bietet,3 ist er inhaltlich klar verständlich: Menaechmus beschwert sich über die Zeitverschwendung, die ihm aufgrund eines cliens quidam , den er vor Gericht verteidigen musste, entstanden ist. Dabei wird der durchaus fragwürdige Charakter des cliens von Menaechmus ausdrücklich betont und kritisiert. Dass Menaechmus offensichtlich von seiner Kritik selbst betroffen ist und aus seinem eigenen Schaden diese allgemeine Erkenntnis gewonnen hat, wird deutlich, wenn man die Schlussfolgerung in einer Gliederung des Gedankengangs nachvollzieht:4
A(571–7): Klage über den „dummen“ und „sehr lästigen“ Brauch ( mos ) der Römer5, viele clientes haben zu wollen und dabei nicht auf ihre Werte ( fides )6 zu achten, sondern nur auf ihr Vermögen ( res ).
BGründe der Klage:
1)(578–81): Klienten ohne Vermögen, aber moralisch gute Menschen ( si est pauper atque hau’ malus ) gelten für die Patrone allgemein als wertlos ( nequam ). Moralisch tadelnswerte, aber reiche Klienten ( si dives malust ) sind dagegen erwünscht ( frugi ).
2)(582–7): Schlechte Klienten ( litium pleni, rapaces viri, fraudulenti ) nutzen ihre Patrone aus, da diese die Pflicht haben, den Klienten unter allen Umständen zu helfen ( pro illis loquimur quae male fecerunt ).7 Die Patrone verlieren also nur ihre Zeit mit ihnen.
C(588–95): Der konkrete Fall von Menaechmus an diesem Tag: Ein cliens quidam brachte ihn in rechtliche Schwierigkeiten, da er ihn vor Gericht aussichtslos verteidigen musste ( apud aediles pro eius factis … dixi causam ) und dabei seine Zeit vergeudete ( neque quod volui agere aut quicum licitumst ).
D(596–600): Fazit: Menaechmus hat zu viel Zeit verschwendet ( hunc hodie corrupit diem ) und eilt daher schnell zu Erotium ( properavi abire de foro ).
A |
ut hoc utimur maxume more moro |
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molesto atque multum! atque uti quique sunt op- |
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tumi maxume morem habent hunc: clientes |
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sibi omnes volunt esse multos: bonine an |
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mali sint, id haud quaeritant; res magis quae- |
575 |
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ritur quam clientum fides quoius modi clue- |
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at. |
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B1 |
si est pauper atque hau’ malus nequam habetur, |
577–8 |
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sin dives malust, is cliens frugi habetur. |
579 |
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qui neque leges neque aequom bonum usquam colunt, |
580 |
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sollicitos patronos habent. |
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B2 |
datum denegant quod datum est, litium |
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pleni, rapaces viri, fraudulenti, |
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qui aut faenore aut periuriis |
584 |
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habent rem paratam, mens est in quo *** |
584a |
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eis viris ubi dicitur dies, |
585 |
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simul patronis dicitur. |
585a |
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quipp’ qui pro illis loquimur quae male fecerunt |
586 |
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[aut ad populum aut in iure aut apud aedilem res est.] |
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C |
sicut me hodie nimis sollicitum cliens quidam habuit, neque quod volui |
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agere aut quicum licitumst, ita med attinuit, ita detinuit. |
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apud aediles pro eius factis plurumisque pessumisque |
590 |
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dixi causam, condiciones tetuli tortas, confragosas: |
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haud plus, haud minus quam opus fuerat dicto dixeram controrsim |
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ut sponsio fieret. quid ille †qui praedem dedit? |
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nec magis manufestum ego hominem umquam ullum teneri vidi: |
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omnibus male factis testes tres aderant acerrumi. |
595 |
D |
di illum omnes perdant, ita mihi |
596 |
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hunc hodie corrupit diem, |
596a |
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meque adeo, qui hodie forum |
597 |
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umquam oculis inspexi meis. |
597a |
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diem corrupi optumum: |
598 |
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iussi adparari prandium |
598a |
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amica exspectat me, scio. |
599 |
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ubi primum est licitum, ilico |
599a |
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properavi abire de foro. |
600 |
Menaechmus I aus Epidamnus hatte sich zuvor zusammen mit seinem ausdrücklich genannten Parasiten Peniculus zum Forum begeben (212: nos prodimus ad forum ). Nun eilt er, da sich sein Parasit in der Verwirrung auf dem Forum verirrt hat, 446–462,PlautusMen. 446–462 allein zu seiner Geliebten, der meretrix Erotium, zurück, wo auf ihn eine Mahlzeit hätte warten sollen. Er beschwert sich über das Durcheinander auf dem Forum, denn dadurch kommt er recht spät zu seinem Termin. Dabei lauschen seine Ehefrau und Peniculus, die im Verborgenen bleiben,8 denn inzwischen sind Verwechslungsepisoden durch die Ankunft von Menaechmus II aus Syrakus verursacht worden, die die Ehefrau und den Parasiten irregeführt haben – bis jetzt handelt es sich offensichtlich um eine auf ein griechisches Komödienmuster zurückgehende Handlung.9 Menaechmus I äußert nun eine Zeitklage über den Sittenverfall, was für das Genre typisch ist,10 hier jedoch stark ‚romanisiert‘ wird.11 Dies macht nicht nur solche plautinischen Monologe zu einem besonderen Fall der frühen römischen Literatur, wie Fraenkel betont, sondern weist auch die Richtigkeit der Behauptung nach, dass es sich beim Menaechmus-Monolog um eine wesentlich plautinische Überarbeitung einer griechischen Originalhandlung handelt.12
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