Unbesiegt
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Unschuldig in der Todeszelle
von
Charles D. Flores
Das Projekt-Seminar Warrior Within und Werner Pistracher danken allen Sponsoren
Förderverein des Gymnasiums Weißenhorn
Elektro Trübenbach
Firma Oster GmbH.
Weinhandlung Hinträger
Schlegelsche Buchhandlung
Unbesiegt – Unschuldig in der Todeszelle
Charles D. Flores
Copyright: © Werner Pistracher
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-7845-3
Übersetzung: Werner Pistracher in Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern des Nikolaus-Kopernikus-Gymnasiums Weißenhorn
Vorwort
1. Mit gezinkten Karten 5
2. Die Todesfahrt 13
3. Willkommen im Todestrakt 22
4. Der absolute Tiefpunkt 31
5. Erste Freunde 36
6. Nachforschungen 44
7. Unter Wilden 57
8. Missbrauch 69
9. Ein Fortschritt 74
10. Freiheit 83
11. Ein wunderbarer Freund 90
12. Psychospielchen 93
13. Zeit absitzen 102
14. Mom und Dad 108
15. Lebenswichtige Freundschaften 112
16. Zurück ins Loch 118
17. Der Geschmack des Todes 128
18. Hinrichtung 133
19. Herzlich wenig 140
20. Phase drei 148
21. Der neue Todestrakt 163
22. Freier Vogel 174
23. Gesetzeslimbo 180
24. Selbstmord 185
25. Ausgangssperre und Durchstöbern 191
26. Erneuter Abschied 201
27. Tod um Tod 214
28. Hilferuf aus dem Loch 221
Nachwort
Wie hätte ich damals ahnen sollen, dass sich die Dinge so entwickeln würden? Ich wollte doch nur meinen Unterricht in der 10. Klasse anschaulicher gestalten als ich bei Marianne Zimmer von Amnesty International anrief und nach unschuldigen Todeskandidaten fragte. Wie hätte ich wissen können, dass die unscheinbare texanische Adresse, die damals durch den Hörer in mein Leben schlüpfte so viel in meinem Leben auf den Kopf stellen würde?
Seit 13 Jahren schreibe ich Charles regelmäßig und bewundere, wie er in seiner Situation so viel Lebensmut versprühen kann und noch Kraft hat zu kämpfen. Stell dir vor: Ein Raubmord ist passiert. Alle DNA-Spuren am Tatort sind von anderen, nicht von dir. Du wirst verdächtigt, aber eine Augenzeugin entlastet dich bei einer ersten Gegenüberstellung. Du hast mehrere Zeugen, die wissen, dass du nicht mal in der Nähe des Tatortes warst. Dann hält der Staatsanwalt ein paar Reden, die Augenzeugin ändert ihre Aussage, du trägst plötzlich die Beweislast und landest in der Todeszelle, ohne dass ein einziger Entlastungszeuge gehört wird.
Charles ermöglicht uns aber nicht nur einen Blick hinter die Kulissen des Todestraktes und seine täglichen Routinen, sondern er gibt uns auch die Chance, in seine persönliche Gefühlswelt einzutauchen und seine Zellennachbarn als Menschen kennenzulernen. Er kritzelt dieses Buch mit einem Bleistift als er 2006 im Bunker landet - als Bestrafung dafür, dass er Details über menschenunwürdige Zustände an eine Menschenrechtsorganisation weitergegeben hat.
Im Englischen trägt das Buch den Titel „Warrior Within“. Dieser sperrt sich gegen eine einfache Übersetzung. Alles was mir im Deutschen dafür einfiel, zeigte immer nur einen Aspekt: „Der Krieger im inneren“ hätte zwar den Kampf gegen das System gut einfangen können, aber wer das Buch liest wird schnell feststellen, dass es auch um die innere Kraft geht, die ihn immer noch ungebrochen durchs Leben gehen lässt, den Kämpfer in seinem Inneren. Nur durch ihn ist Charles immer noch „unbesiegt“.
Werner Pistracher
Kapitel 1
Mit gezinkten Karten
Da saß ich nun. Es war der 1. April, der letzte Tag meines Mordprozesses. Ich war so müde, so fertig, so ausgezehrt von diesem Albtraum. Mehr als drei volle Monate lang musste ich montags bis freitags von neun Uhr morgens bis sechs Uhr abends im Gerichtssaal sitzen - so lange brauchten meine Pflichtverteidiger, um die Jury auszuwählen. Dann erst begann der eigentliche Prozess, ein Mordprozess, bei dem mein Leben an einem seidenen Faden hing.
Der tägliche Gang zum Gericht selbst machte mich physisch völlig fertig. Jeden Morgen um sechs Uhr dreißig musste ich aufstehen, um mich für meinen Tag im Gericht zu duschen und anzuziehen, aber ich hatte keinen Wecker. Wenn ich Glück hatte, kam ein Wachmann an meiner Zelle vorbei und sagte mir, dass es Zeit sei, mich vorzubereiten. Meistens allerdings kam keiner.
Ich wurde damals in einer Einzelzelle verwahrt, Einzelhaft weil ich angeblich ein hohes Sicherheitsrisiko darstellte. Jeder, den der Staat für ein Kapitalverbrechen anklagt und zum Tod verurteilen möchte, erhält automatisch den Status eines hochgefährlichen Gefangenen. Die Größe meiner Zelle betrug dreieinhalb mal dreieinhalb Meter. In dieser Zelle gab es eine Vormauerung aus Beton, auf der meine fünf Zentimeter dünne Matratze lag. Am einen Ende dieser Vormauerung stand ein kleiner Stahltisch, der mit der Vorderwand der Zelle verschraubt war. Er war so plaziert, dass ich am einen Ende der Vormauerung saß, wenn ich Briefe schreiben, essen oder lesen wollte. In dieser Zelle strahlte das Neonlicht 24 Stunden pro Tag. Zu jeder Tages- und Nachtzeit leuchtete also ein grelles Licht in jeden Winkel der Zelle. Man konnte ihm nicht entkommen. Der Grund dafür war, dass man sicher stellen wollte, dass ich nicht ausreichend schlafen konnte und dadurch unausgeglichen war. Die Verantwortlichen im Gefängnis wussten, dass ein unausgeglichener Gefangener mit Schlafentzug leichter zu kontrollieren war. An der Rückwand der Zelle befand sich eine Waschbecken-Klo-Kombination aus Edelstahl mit einem Edelstahlspiegel darüber. In der anderen hinteren Ecke gab es eine kleine Duschwanne. In dieser Zelle war ich ein Jahr lang jeden Tag 23 Stunden. Kein Fernsehen, kein Radio, nichts um mir irgendwie die Zeit zu vertreiben, abgesehen von meinem Zugang zu einer Handvoll Taschenbüchern.
Wenn mein Zeitgefühl mich nicht im Stich ließ, war ich um sieben Uhr fertig, wenn das Transportteam mich abholte. Es waren damals zwei Wachleute, die regelmäßig auftauchten, um mich zum Gerichtsgebäude auf der anderen Straßenseite zu eskortieren. Bevor ich die Zelle verlassen durfte, musste ich meine Kleidung ausziehen und mich nackt vor die Wachen hinstellen, damit sie in meiner Kleidung nach gefährlichen Gegenständen stöbern konnten. In Wahrheit nehmen sie den Gefangenen dabei ihre Würde und die letzten Reste ihres Selbstwertgefühls. Wie gesagt, Gefangene ohne Würde und Selbstwertgefühl sind leichter zu steuern, es ist einfacher für die Verantwortlichen, weil sie sie nach diesen Prozeduren ohne Probleme wie eine Schafherde gängeln können. Das Gefängnis raubt dir nicht nur die Freiheit, es versucht dir auch deine Persönlichkeit wegzunehmen.
Danach bekam ich meine Kleidung zurück und durfte meine Unterhose und die Socken anziehen. Dann wurde die Zellentür geöffnet und mindestens zwei Wachleute kamen in die Zelle herein. Ich musste beide Arme über meinen Kopf halten und völlig ausatmen, damit sie den ferngesteuerten Schockgürtel an meinem Oberkörper befestigen konnten. Dieser Gürtel musste auf die nackte Haut gelegt werden. Der Schockgürtel bestand aus einem breiten, elastischen Kunststoffband, mit dem der Körper mehrfach und unglaublich straff umwickelt wurde. Direkt über meinen Nieren wurde daran sorgfältig die Steuerungsbox angebracht. Diese war 20 mal 20 Zentimeter breit und etwa acht Zentimeter dick. Weil damit der Schock verabreicht wurde, musste sie zu jeder Zeit eng am Körper anliegen. Mit diesem Gürtel konnten sie meinen Körper einen Schock zwischen 50000 und 70000 Volt verpassen. Der Schockvorgang dauert ungefähr acht Sekunden. Er wird manuell per Funk ausgelöst und führt dazu, dass man die Kontrolle über die Gliedmaßen verliert, zu Boden fällt, uriniert und sich die Hosen vollmacht. Wenn sie mich zwangen diesen Schockgürtel zu tragen, hatten sie absolute Kontrolle über meine Psyche. Sie zwangen mich dazu, ständig über diesen schrecklichen Schock nachzudenken und die Schmach, die es wäre, mir die Hosen vollzumachen.
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