1 ...8 9 10 12 13 14 ...25
6 Sprachgebrauch und -kompetenz
6.1 Allgemeines
Umfragen von Sievers (1975), Toft (1982), Byram (1986), Pedersen (1986) und vom Deutschen Schul- und Sprachverein (2004) zeigen, dass Deutsch, die offizielle Minderheitensprache, die Familiensprache von weniger als einem Drittel der Minderheit ist. Diese Zahl bestätigt, dass die nationale deutsche Zugehörigkeit und Angehörigkeit zur Minderheit auf dem Bekenntnisprinzip und nicht auf der Familiensprache beruhen. Toft (1982) wertete die Antworten aus 412 Fragebögen von Mitgliedern der wichtigsten Minderheitenorganisation aus: Die Ergebnisse (72,4 % und 70,7 %) zeigen, dass der dänische Dialekt Sønderjysk die am häufigsten in der Familie verwendeten Varietät ist.
Häufigste Umgangssprache |
Deutsch |
Sønderjysk (Dialekt) |
Dänisch |
N |
mit den Eltern |
23,7 |
72,4 |
3,9 |
644 |
mit den Kindern |
27,8 |
70,7 |
1,5 |
273 |
Tab. 1:
Sprachverhalten innerhalb der Familie (nach Toft 1982: 44, Tabelle 19.b)
Der Deutsche Schul- und Sprachverein hat im Jahr 2003 309 Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern in elf Schulen zu ihrer Muttersprache befragt. Die Schlussfolgerung in Bezug auf die vorherrschende Familiensprache war:
Im Zusammenhang mit einer Unterrichtsmilieuuntersuchung wurde 2003 der Sprachgebrauch der Schüler der 5.–10. Kl. und deren Eltern ermittelt. Bei Vater und Mutter wurde nach der Haussprache, beim Kind nach der „bevorzugten Sprache“ gefragt. Den Schülern, die auch die Frage nach der Haussprache der Eltern zu beantworten hatten, waren die Kategorien „Deutsch“ – „Dänisch“– „Sønderjysk“ – „andere“ vorgegeben. Einige Schüler machten aber auch ihr Bewusstsein von ihrer Zwei-/Mehrsprachigkeit deutlich, indem sie mehrere Sprachen ankreuzten. Das Ergebnis zeigte starke regionale Unterschiede. Es ergab für 11 Schulen (309 Schüler) folgendes Ergebnis:
Deutsch wird am ehesten als Muttersprache in Familien verwendet, in denen ein Elternteil oder beide Elternteile oder Großeltern südlich der deutsch-dänischen Grenze aufgewachsen sind. Zu diesen Familien gehören Lehrer, Minister, Bibliothekare und Journalisten, die in der Minderheit arbeiten. Sie sind Deutsch-Muttersprachler und geben Deutsch als Muttersprache an ihre Kinder weiter. Je kürzer die lokalen Wurzeln, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Deutsch eine Haussprache ist. Das ist wahrscheinlich in Pattburg/Padborg an der Grenze zu Deutschland der Fall. Die Familien mit tiefen Wurzeln in Nordschleswig sprechen eher den dänischen Dialekt Sønderjysk als Muttersprache. Dieser Dialekt wird auch von der Mehrheitsbevölkerung gesprochen und gilt inzwischen als neutral hinsichtlich der nationalen Zugehörigkeit. In der Mehrheit der Bevölkerung nimmt die Verwendung dieses Dialektes als Muttersprache jedoch ab, und Standarddänisch wird übernommen. Diese Entwicklung hat in der Minderheit noch nicht stattgefunden, aber in der DSSV-Umfrage von 2004 hat Standarddänisch schon bemerkenswert hohe Werte. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die dänischsprachigen Mehrheitskinder in Minderheitenschulen gehen, um zweisprachig in Dänisch und Deutsch zu werden. Die Schulen haben in den letzten zehn Jahren ihre Türen für diese Gruppe geöffnet und werben auch in dänischen Tageszeitungen, um solche Schüler anzuziehen. (Familien, die in der Umfrage eine andere Sprache als Familiensprache angeben, zum Beispiel Migranten, könnten ebenfalls zur Mehrheit gehören.)
Die Längsschnittstudie „Mødet mellem sprogene i den dansk-tyske grænseregion“ (‚Treffen zwischen den Sprachen der dänisch-deutschen Grenzregion‘) (Pedersen 1983–2013) hat unter anderem einen qualitativen Einblick ergeben in die individuelle Sprachkompetenz im Deutschen von Kindheit an im deutschen Kindergarten, in der Schule sowie im Erwachsenenalter. Die Schüler, die mit Deutsch als Zweitsprache die Minderheitenschule verließen, beherrschten Nordschleswigdeutsch mündlich und Standarddeutsch schriftlich, aber als Erwachsene war ihre Deutschkompetenz abhängig von ihrer Verbindung mit den Minderheiteninstitutionen und -verbänden. Mehrere Personen ohne engeren Kontakt hatten Schwierigkeiten, fließend Deutsch zu sprechen, hatten lexikalische Lücken und Unsicherheiten in der Syntax. Diejenigen, die in Minderheitenarbeit tätig waren, beherrschten Nordschleswigdeutsch immer noch.
6.3 Sprachgebrauch (Schriftsprache)
Beim Schreiben wird die Wahl zwischen Hochdeutsch, Standarddänisch und Sønderjysk durch den Kontext bestimmt. Hochdeutsch wird intern in der Minderheit und im Kontakt mit Deutschland verwendet. Standarddänisch wird für Adressaten innerhalb der Mehrheit verwendet. Die Minderheit möchte jedoch auch ihre Minderheitensprache Deutsch im Kontakt mit Behörden verwenden können; manchmal wird es akzeptiert, manchmal nicht, offenbar in Abhängigkeit von der Sprachkompetenz des Empfängers. Der Dialekt Sønderjysk hat keine standardisierte Schrift. Er wird jedoch in verschiedenen Kontexten verwendet, um eine regionale Identität und einen Gruppenzusammenhalt zu unterstreichen. In der Öffentlichkeit wird er vor allem von der Schleswigschen Partei in der Kommunikation mit den Wählern (Pedersen 2011) und in den sozialen Medien genutzt. In einer Studie über die Sprachwahl junger Minderheitsmitglieder bei Facebook (Westergaard 2013, 2014, 2015) wird gezeigt, dass ihre Kommunikationsstrategien vielfältig sind. Sie verwenden ihre drei Sprachen für verschiedene Zwecke und Adressaten: Standarddänisch für einen gemischten Mehrheit- und Minderheitenkontext, Sønderjysk für sønderjysksprechende Freunde aus der Minderheit und Deutsch, wenn es um die Minderheitenschule geht. Vor allem im Dialekt sind Code-Switching zu Deutsch und deutsche Lehnwörter ebenso präsent wie in der mündlichen Sprache in dieser dreisprachigen Gruppe. Der Gebrauch von Sønderjysk bei Facebook durch die jungen Mehrheitsmitglieder ist nach Westergaard (2015) hingegen ein anderer. Der Dialekt ist nicht die wichtigste Sprache der Kommunikation, sondern wird nur symbolisch verwendet. Dieser Unterschied kann ein Indiz dafür sein, dass Sønderjysk für die Minderheit noch stärker als Wir-Code fungiert und in höherem Maße Gruppenzusammenhalt impliziert als für die Jugendlichen der Mehrheitsgesellschaft.
6.4 Sprachgebrauch in den Minderheitenorganisationen
Aus Interviews und teilnehmenden Beobachtungen geht hervor, dass sich der Sprachgebrauch im BDN seit 1955 nicht verändert hat und Deutsch nach wie vor das bevorzugte Kommunikationsmittel ist. In Bezug auf die Minderheit als solche war die Sprachpolitik des BDN stets darauf ausgerichtet, die deutsche Sprache zu fördern und zu schützen. Dänisch wird für Informationen wie zum Beispiel auf den Webseiten des BDN und in der Kommunikation mit den Mitgliedern der Mehrheit verwendet. Deutsch ist die offizielle Sprache der Organisation in Wort und Schrift. In seinem Verwaltungszentrum, dem Deutschen Generalsekretariat, wird Deutsch auch in der alltäglichen Kommunikation gesprochen, wobei es zu Abweichungen zwischen dem offiziellen Sprachgebrauch der deutschen Sprache und der informellen Kommunikation zwischen den Delegierten in der BDN-Delegiertenversammlung kommen kann. So können informelle Gespräche in Deutsch oder im dänischen Dialekt Sønderjysk stattfinden. Eine ähnliche Sprachverteilung ist bei der Neujahrstagung und beim „Deutschen Tag“ zu beobachten.
Читать дальше