Dass es in den meisten Fällen nicht zu einer Begegnung zwischen Forscherin und Eltern kam, wurde teils implizit, häufig aber explizit gewünscht und so wurde auch die Übergabe des Aufnahmegeräts sowie die Aufnahme selbst entsprechend organisiert (vgl. auch ten Have 2007: 84). Mondada (2013: 38) nennt das Setting, die Vertraulichkeit sowie die Bereitschaft der Teilnehmenden als wichtige Einflussfaktoren, welche die Entscheidung zur Gestaltung des Aufnahmeprozesses mitgestalten: „The decision depends on the setting, the intimacy of the action recorded and the degree of collaboration from the participants“. Im vorliegenden Projekt wurden von den Teilnehmenden mehrheitlich Vorbehalte bezüglich Datenschutz sowie Störung des natürlichen Gesprächs geäussert und insofern wurde von der Anwesenheit der Forscherin (und dadurch auch von der teilnehmenden Beobachtung als zusätzliche Erhebungsmethode) abgesehen.
Mit der Abgabe der Kontrolle über den Aufnahmeprozess an Gesprächsbeteiligte geht ein gewisses Risiko einher, welches sich auch auf die vorliegenden Daten auswirkt. So wurden zwar die Lehrpersonen jeweils instruiert, das Aufnahmegerät so früh wie möglich ein- und so spät wie möglich auszuschalten, damit auf der Aufnahme möglichst die Gesprächsränder für die Analyse zugänglich sind. Teilweise wurde jedoch das Gerät erst nach der Begrüssung und informellen Vorphase des Gesprächs eingeschaltet oder schon vor der Verabschiedung ausgeschaltet und so sind die für Vor- und Nachphasen typischen Praktiken nicht in allen Fällen vollständig vorhanden.
Ebenfalls aufgrund der Besorgnis um Datenschutz und Störung der Gespräche vonseiten der Schulen, war es im gegebenen Kontext nicht möglich, die Interaktionen auf Video aufzuzeichnen,1 obwohl dadurch das Interaktionsgeschehen detailgetreuer hätte analysiert werden können. Je ganzheitlicher die fokussierte soziale Praxis aufgenommen wird, desto eher kann gewährleistet werden, dass die soziale Wirklichkeit annähernd in ihrer Gesamtheit abgebildet wird – obwohl dieser Anspruch wohl nie ganz erfüllt werden kann (vgl. Mondada 2013: 55). Seit die technischen Möglichkeiten bestehen, werden daher Videodaten in der Gesprächsforschung bevorzugt, da die Körperlichkeit bei der Kommunikation eine grosse Rolle spielt und so auch mit registriert werden kann (vgl. Mondada 2013: 39). Ten Have (2007: 72) fügt an, dass auch dann grundsätzlich Videodaten empfohlen werden, wenn in der Analyse nicht spezifisch auf visuelle Aspekte der Kommunikation eingegangen wird, da diese Daten bei der Transkription (z.B. bei der teilweise unklaren Zuordnung von Sprecherbeiträgen in Mehrparteieninteraktionen), aber auch bei der Detailanalyse helfen können. Auch lassen sich Pausen mit Videodaten klarer interpretieren, da Schweigen oder fehlende Antworten nicht unbedingt bedeuten, dass keine Interaktion stattfindet. Eine Beschränkung auf Audiodaten birgt also die Gefahr, dass an gewissen Stellen keine abschliessenden Aussagen zur lokalen Bedeutung der interaktiven Praktiken gemacht werden können. Neben den genannten Vorzügen von Videoaufnahmen besteht jedoch auch die Gefahr, durch die Installation von Videokameras die Aufnahmesituation stärker zu beeinflussen oder gar zu stören (vgl. auch Kotthoff 2012b: 5). Audioaufnahmen können hingegen mit inzwischen sehr kleinen und unauffälligen Geräten in hoher Qualität erzielt werden und es wurde mir von Lehrpersonen bestätigt, dass die Aufnahmesituation dadurch schon nach wenigen Minuten in Vergessenheit geraten sei.
Erhebung ethnografischer Daten
Für die weitere Einbettung der Daten im Kontext dienen einerseits die Vor- und Nachbesprechungen mit den Mitgliedern der Schulleitungen (vgl. auch die Diskussion zu dem Feldzugang), den Lehrpersonen sowie vereinzelt den Eltern. Andererseits diente ein kurzer Fragebogen dazu, weitere Eckdaten zu den Gesprächsteilnehmenden zu erhalten sowie Angaben zur Gesprächssituation einzuholen. Es wurde dabei nach dem Gesprächsanlass gefragt und weiter interessierte, welche eigenen Anliegen oder Erwartungen die Gesprächsteilnehmenden an das Gespräch hatten und wie sie mit dem Verlauf des Gesprächs zufrieden waren.
Die Rücklaufquote der Fragebögen war leider gering und da teilweise aus Gründen des Datenschutzes die Studienteilnehmenden weder mit Namen bekannt sind, noch je von mir gesehen wurden, war eine erneute Nachfrage meinerseits nicht in jedem Fall möglich. Die Fragebögen werden aufgrund der schmalen Datengrundlage nicht systematisch ausgewertet, sondern dienen bei der Präsentation des Datenmaterials zu einer detaillierteren Beschreibung. So fliessen bei der Besprechung des Korpus ergänzende Hinweise zu den Gesprächen ein (Kap. 3.2.1) und in einem weiteren Teil werden ausgewählte Metakommentare aus den Fragebögen diskutiert (Kap. 3.2.2).
Bei der Aufbereitung der Daten ist gemäss Deppermann (2008a: 32ff.) so vorgegangen worden, dass zuerst von jedem Gespräch ein Inventar erstellt wurde. Jedes Gesprächsinventar enthält einerseits Informationen zur Aufnahmesituation sowie zum Bearbeitungsstand des Gesprächs und andererseits dokumentiert es den Ablauf des Gesprächs.
Unter den allgemeinen Angaben wird festgehalten, an welcher Schule sowie wann und mit wem das Gespräch geführt wurde und wie lange es gedauert hat. Weiter werden die Sprechersiglen eingeführt, die für die Zuordnung im Gespräch verwendet werden und anonymisiert sein müssen. Für die vorliegenden Daten wurde entschieden, gesprächsübergreifend die institutionellen Rollenbezeichnungen zu verwenden, also L für Lehrperson , M für Mutter , V für Vater (bzw. in einem Fall P für Partner ), S für SchülerIn sowie in einem Fall H für Heilpädagogin . Häufig reicht jedoch die blosse Einführung von Sprechersiglen nicht, da die Namen der Gesprächsteilnehmenden sowie teilweise weitere sensible Daten wie Personennamen, Schulnamen, Ortsnamen, Datumsangaben etc. in den Gesprächen explizit genannt werden und aus Datenschutzgründen anonymisiert werden müssen. Bei den Decknamen, den sogenannten Maskierungen , wurde jeweils darauf geachtet, dass die Silbenstruktur sowie beispielswiese die ethnische oder regionale Zugehörigkeit mit den entsprechenden Merkmalen der originalen Benennungen übereinstimmen (vgl. Deppermann 2008a: 31).
Der zweite Teil des Gesprächsinventars dokumentiert den Gesprächsablauf und erfasst hierfür die groben thematischen und strukturellen Entwicklungen im Gespräch. Dadurch dient das Gesprächsinventar dem vereinfachten Auffinden von Phänomenen und Gesprächsphasen. Weiter wird jeweils angegeben, wer wann spricht und in welchen Sequenzen es Auffälligkeiten gibt (z.B. in Bezug auf Geräusche, Veränderungen in der Teilnehmendenkonstellation etc.). In einer letzten Spalte werden Hinweise und Notizen für mögliche Forschungsfragen angebracht. Diese Informationen werden häufig erst nach genaueren Analysen ergänzt oder aber verändert und präzisiert. Die Gesprächsinventare ermöglichen einen raschen Überblick über die Einzelgespräche und dienen der Identifizierung von spezifischen Phänomenen und Sequenzen, die für die Analyse transkribiert werden. Ausserdem lassen sich davon ausgehend die makroskopischen Entwicklungen nachzeichnen (vgl. Deppermann 2008a: 32).
Die nächsten Schritte können unterschiedlich organisiert sein: Entweder erstellt man vollständige Transkripte aller Gespräche und beginnt dann mit der Selektion von Analysesequenzen (so beispielsweise empfohlen bei Hutchby & Wooffitt 2008: 69ff.), oder man wählt ausgehend von den Inventaren die für die Analyse relevanten Passagen und transkribiert entsprechend nur diese Auswahl. Deppermann (2008a: 37) schlägt Letzteres vor, um „zeitintensive Transkriptionen [zu sparen], die nicht ausgewertet werden“. In der vorliegenden Arbeit wurde ein gemischtes Vorgehen gewählt: Etwa von der Hälfte des Korpus wurden mithilfe der FOLKER-Transkriptionssoftware (Schmidt & Schütte 2010; 2011)1 komplette Minimaltranskripte nach GAT 2 (Selting et al. 2009) erstellt. Vor allem zu Beginn schien es wichtig, in die detailreiche Tiefe der Gespräche einzutauchen und beim mehrfachen Anhören, was für eine Transkription unabdingbar ist, die Spezifika der Gespräche besser zu erkennen. Nach den ersten Analysen wurde jedoch aus Zeitgründen auf komplette Transkriptionen verzichtet. Die Transkriptionen wurden bei den restlichen Gesprächen nur für die ausgewählten Phänomene angefertigt. Für diejenigen Auszüge, die für die Detailanalyse ausgewählt wurden, wurden detaillierte GAT 2-Basistranskripte ausgearbeitet.
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