Sprechende können sich selbst in die Rede einbeziehen und dadurch eine eingebettete Figur animieren, was durch Redewiedergabe oder durch metakommunikative Äusserungen (z.B. Ich wollte damit ausdrücken, dass… ) erreicht werden kann. Die Figur entspricht in diesem Fall dem bzw. der eingebetteten AnimatorIn, weshalb auch von zwei AnimatorInnen gesprochen werden kann:
[T]wo animators can be said to be involved: the one who is physically animating the sounds that are heard, and an embedded animator, a figure in a statement who is present only in a world that is being told about, not in the world in which the current telling takes place. (Goffman 1981: 149)
Es geht Goffman in dieser ersten Darstellung erst um das Einbetten der eigenen Figur, wenn wir nämlich beim Sprechen auf uns selbst verweisen. Dabei macht er den Unterschied zwischen dem beschriebenen Setting und dem tatsächlichen Setting der Äusserung. Jedoch zeigt Goffman an späterer Stelle, dass der Begriff der eingebetteten Figur nicht nur auf die sprechende Person zutrifft und also eine Figur nicht unbedingt dem bzw. der eingebetteten AnimatorIn entsprechen muss, sondern auch eingebettete AutorInnen und AuftraggeberInnen möglich sind:
Following the same argument, one can see that by using second or third person in place of first person we can tell of something someone else said, someone present or absent, someone human or mythical. We can embed an entirely different speaker into our utterance. (Goffman 1981: 149, Hervorhebung im Original)
Goffman (1981: 128, 151) spricht also von einem Wechsel der Beteiligungsrollen ( change in footing ), wenn Sprechende durch die Wiedergabe fremder oder eigener Rede (oder Gedanken) Figuren einbetten. Dieser Wechsel zeigt sich insbesondere darin, dass die drei vorgestellten Rollen (AnimatorIn, AutorIn und AuftraggeberIn) nicht mehr durch dieselbe Person ausgeführt werden, sondern teilweise an die Figur übergehen. Wie aus den zitierten Stellen hervorgeht, kann es sich bei der eingebetteten Figur um die eigene Person handeln, um eine andere – anwesende oder abwesende – Person, oder gar um eine fiktive Person.
Für Levinsons leicht abweichende Aufgliederung der Beteiligungsrollen auf der Produktionsseite – bei ihm production roles genannt – sei auf seine Darstellungen verwiesen (Levinson 1988: 170ff.). Hier möchte ich v.a. auf einen Punkt eingehen, nämlich auf seinen Hinweis, dass sich bei der indirekten Redewiedergabe auch die übermittelnde Person (AnimatorIn bzw. transmitter bei Levinson) an der Ausgestaltung des Gesagten beteiligt und eine Trennung der Rollen folglich schwierig ist. So lässt sich nicht genau unterscheiden, bei wem die inhaltliche (AutorIn bzw. composer bei Levinson) und soziale Verantwortung (AuftraggeberIn bzw. motivator bei Levinson)3 liegt und folglich ist die eingebettete Figur nicht ohne Weiteres als Verantwortende für Form und Inhalt anzusehen (vgl. Levinson 1988: 177). Eine begriffliche Bestimmung kann in solchen Fällen kaum zufriedenstellend vollzogen werden.
Levinson bezieht seinen Hinweis auf die indirekte Redewiedergabe und vollzieht damit eine gängige Trennung zwischen direkter Redewiedergabe, welche eine wörtliche Übernahme der Originaläusserung meint, und der indirekten Redewiedergabe, welche nur den Inhalt, jedoch nicht die Form des tatsächlich Geäusserten wiedergibt. Dass sich jedoch auch bei der direkten Redewiedergabe keine klare Trennung der Beteiligungsrollen ziehen lässt und Sprechende bei der Realisierung einer direkten Redewiedergabe ebenfalls die Form und auch den Inhalt mitgestalten können, zeigt die jüngere Forschung zur Redewiedergabe (vgl. z.B. Brünner 1991; Ehmer 2011; 2013; Günthner 1997; 1999; 2000a; 2002; 2009; Imo 2009; König 2013; Kotthoff 2005; 2008; Mayes 1990). So bezweifelt beispielsweise Günthner (1997: 229), ob die exakte, wortwörtliche Redewiedergabe überhaupt möglich sei (man bedenke dabei auch die Prosodie, Stimmqualität, Pausen etc.) und betont, dass Faktoren wie Intention, Kontext und lokale Interpretation der Redewiedergabe die Äusserung beeinflussen:
[D]ie Darstellungsweise der zitierten Rede orientiert sich an den interaktiven Absichten, dem kommunikativen Kontext und der gemeinsamen Interpretationsaushandlung der Interagierenden. (Günthner 1997: 229)
Die interaktiven Absichten beim Gebrauch der Redewiedergabe können vielfältig sein und finden v.a. in den Arbeiten von Günthner Beachtung. Als eine der wichtigsten Funktionen hebt Günthner (1997; 1999; 2000a; 2002; 2009), aber auch andere AutorInnen (z.B. Bublitz & Bednarek 2006; Ehmer 2011; Kotthoff 2005), die Bewertungsleistung der Redewiedergabe hervor. Die Bewertung kann sich dabei sowohl auf die Person beziehen, die für das Gesagte ursprünglich verantwortlich war, als auch auf die Form oder den Inhalt des Gesagten:
Evaluation is the central pragmatic function of reported speech. It can be related to its three main components: the source (who is responsible for the reported proposition), the reporting expression (referring to the source’s saying), and the reported proposition(s) (what is reported). (Bublitz & Bednarek 2006: 550)
Neben der Intention spielt der Kontext eine wichtige Rolle. So spricht Günthner (1997: 229) bei der Redewiedergabe grundsätzlich von einer De- und Rekontextualisierung , da eine zitierte Äusserung jeweils aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgegriffen und in einen neuen Kontext integriert wird, was unweigerlich eine Veränderung des Gesagten mit sich bringt. Und schliesslich erfährt die neu eingebettete Rede auch eine neue Bedeutung durch die Interagierenden, die sich interaktiv dazu positionieren.
In Bezug auf die Beteiligungsrollen heisst das, dass der bzw. die AnimatorIn immer auch das Geäusserte mitverantwortet, sowohl inhaltlich als auch wertend. Um die verschiedenen Beteiligungsrollen innerhalb des Geäusserten zu markieren, verwenden Sprechende u.a. prosodische Verfahren, weshalb auch von einer „Stimmenvielfalt“ oder „Polyphonie“ gesprochen werden kann (Günthner 2002; vgl. auch Kotthoff 2008; Tannen 2007).
In den aufgenommenen Beurteilungsgesprächen sind nicht nur direkte Redewiedergaben interessant, sondern es weisen sich im Besonderen diejenigen Formen der Redewiedergabe als funktional aus, die sich nicht auf tatsächlich Geäussertes, sondern auf imaginierte Aussagen oder Gedanken beziehen. Diese Form der Redewiedergabe wird von Ehmer (2011) erstmals im Detail untersucht und mit dem Begriff animierte Rede eingeführt.4 Es handelt sich dabei um die „Einbettung einer Figur in die eigene Äusserung“ (Ehmer 2011: 63), wobei es sich nicht um reale Vorkommnisse, sondern um mögliche Szenarios oder Zuschreibungen handelt. Es werden also fiktive Dialoge, Monologe oder Gedanken meist fremder Figuren (aber auch der eigenen Figur) von den Sprechenden bzw. AnimatorInnen in der Form direkter Redewiedergabe dargestellt. Diese Äusserungen, Handlungen oder Verhaltensweisen sind fiktiv, da ihnen keine Originaläusserung vorausgeht. Unter einem Szenario verstehe ich gemäss Brünner (2005: 313) „einen verbalen Entwurf einer kontrafaktischen Situation“, wobei sie sich dabei nicht explizit auf die Redewiedergabe bezieht, jedoch die wörtliche Rede als häufiges sprachliches Mittel erwähnt (vgl. Brünner 2005: 323). Szenarios werden von Brünner und Gülich (2002: 81) als eine Form der Veranschaulichung herausgearbeitet, die insbesondere einen verbesserten Adressatenbezug herstellen und somit in direktem Zusammenhang mit dem Recipient Design zu verstehen sind. Veranschaulichung wird als Verfahren verstanden, welches „auf der Annahme bestimmter Schwierigkeiten in der Verständigung [operiert]“ (Brünner & Gülich 2002: 22) und die Hauptfunktion besitzt, dass sich die Gesprächsbeteiligten das Dargestellte besser vorstellen können (vgl. Brünner & Gülich 2002: 78; vgl. auch Beiträge in Birkner & Ehmer 2013).
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